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Das Jahr der Kulturhauptstädte Europas 2010,
Pécs,
Istanbul und Ruhrgebiet, neigt sich dem Ende zu. Ein Höhepunkt
des Programms an der Ruhr war eine Aufführung von Gustav Mahlers
8. Symphonie, der „Symphonie der Tausend“, wie sie
wegen ihrer exorbitanten Orchester- und Chorbesetzung genannt
wird, in Duisburg – genau am 100. Jahrestag der Uraufführung
in München, dem 12. September 2010.
Natürlich musste die Besetzung in Zeiten der Superlativ-Events
die der Uraufführung noch einmal kräftig übersteigen:
statt der damals 1.029 Mitwirkenden standen diesmal rund 1.330
auf dem Podium.
Die Künstler in den Kollektiven, Profis
wie Amateure, sollten ohne gesondertes Honorar auftreten; schließlich war mit Lorin
Maazel ja schon ein überaus teurer Dirigent zu bezahlen. Die
VdO hatte daher angeregt, die Veranstaltung wenigstens mit einem
kulturpolitischen Appell zu verbinden – etwa nach dem Motto:
Hier bekommen Sie unsere professionellen Künstler in beeindruckender
Weise unhonoriert zu hören; aber dass es sie in dieser Zahl
gibt, ist nicht selbstverständlich: Politik und Regierungspräsidenten,
die sich gerade in Nordrhein-Westfalen ohne direkte demokratische
Legitimation zu Kulturabwicklern aufschwingen, planen die Ver-ödung
des Bodens, auf dem dies gewachsen ist! Erfreulicherweise zogen
die Veranstalter sofort mit. Der tatsächlich im Programmheft
abgedruckte Appell, der neben der VdO von GDBA und DBV mitgetragen
wurde, musste dann aber doch etwas seichter ausfallen, denn aus
dem Plan, die Opernchöre des Kulturhauptstadtraums auf breiter
Front in die Produktion einzubinden, wurde nur wenig. Er scheiterte
allerdings nicht etwa an der Weigerung der Chöre, freiwillig
mitzuwirken, sondern teils an der mangelnden Kooperation von Intendant/inn/en,
die plötzlich entdeckten, wie wichtig die Chöre doch
für die eigene Probenarbeit ihrer Häuser sind, teils
an ungeschicktem Operieren der Festspielleitung. Immerhin aber
konnten mehr oder weniger große Abordnungen der Opernchöre
aus Bielefeld, Dortmund, Essen und Köln der Veranstaltung
noch ein professionelles Rückgrat verleihen. Trotz der Widrigkeiten wurde das Ganze zu einem höchst beeindruckenden
Klangerlebnis; Anerkennung dafür gebührt allen an der
Einstudierung Beteiligten, zuvorderst dem Essener Opernchordirektor
Alexander Eberle. Dass insbesondere die Artikulation der Texte
durch die überwiegend eingesetzten Laienchöre besser
hätte ausfallen können, störte letztlich nur wenig. Natürlich sonnte sich im Lichte von so viel Kunst auch jede
Menge europäischer, nationaler und regionaler Polit-Prominenz;
nach dem Konzert sprachen der frischgebackene Bundespräsident
und die noch frischer gebackene Ministerpräsidentin zu Mitwirkenden
und Gästen. Beide hoben hervor, was für ein wunderbares
Erlebnis es doch sein müsse, an solch einer Veranstaltung
mitwirken zu dürfen. Kein Wort jedoch davon, dass für
viele derer, denen dieses Erlebnis zuteil wurde, die Kunst zugleich
hart erarbeiteter Lebensunterhalt ist, der ihnen höchst gegenwärtig
aufgrund des grassierenden Wahns, durch Kürzungen der Kulturetats
irgendwelche maroden öffentlichen Haushalte sanieren zu können,
massiv entzogen zu werden droht. Dass der Bundespräsident
kein kulturpolitisches Statement abgab, ist schade, aber nicht
zu kritisieren – schließlich gehört dies nicht
zu seiner Kompetenz. Dass aber die Ministerpräsidentin sich
ebenfalls um eine Aussage zur Stützung der bedrohten Kulturlandschaft
ihres Landes herumdrückte und lediglich bekannte, sie wünsche
sich „in diesem Jahr“ (!!!) noch einige schöne
Kulturereignisse, ist zutiefst ernüchternd.
Ursprünglich wollte das Ruhrgebiet bei seiner Bewerbung um
den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ mit seinem kulturellen
Angebot für sich als attraktive, geistig rege und innovative
Wirtschaftsregion werben – mit demselben Angebot, mit dessen
Abbau es jetzt absurderweise allenthalben den der Steinkohle zu
ersetzen ansetzt. Der ursprünglich vorhandene volkswirtschaftliche
Verstand ist offenbar in den Startlöchern steckengeblieben.
Die Gelegenheit jedenfalls, einem breiten Publikum für die
Bedrohtheit der weltweit einmalig dichten Kulturlandschaft des
Ruhrgebiets die Augen zu öffnen und den dringenden Handlungsbedarf
deutlich zu machen, haben die Veranstalter nicht wirklich genutzt.
Das Motto der Kulturhauptstadt „Wandel durch Kultur – Kultur
durch Wandel“ erweist sich so letztlich als Mogelpackung!
Bleibt dennoch zu hoffen, dass Nordrhein-Westfalen nicht nach dem
Ende des Kulturhauptstadtjahres dem Beispiel des Nachbarlandes
Niederlande folgt, wo die neue Regierung sich die Zerschlagung
der Orchesterlandschaft vorgenommen hat. 2011 wird es zeigen… Tobias Könemann
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