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Steiniger Weg
Autobiografie des Tänzers Carlos Acosta
Carlos Acosta „Kein Weg zurück – Die Geschichte
eines kubanischen Tänzers“, Schott Verlag, 2008, 367
Seiten, 24,95 Euro
Hinter jedem Karriere-Glanz liegen unerbittlicher Fleiß und
Ströme von Schweiß – beim Tänzer im Sinne
des Wortes. Und um wie viel schwieriger, auch psychisch zermürbender,
ist der Weg nach oben, wenn der Tänzer ins Exil gehen muss,
wenn er dazu noch die „falsche“ Hautfarbe hat. Ein
dunkelhäutiger „Schwanensee“- oder „Dornröschen“-Prinz?
Ein schwarzer Romeo? Und das im traditionellen Londoner Royal Ballet?
Früher völlig undenkbar, heute immerhin möglich – aber
es muss doch knochenhart erarbeitet werden, wie die Autobiografie
des 35-jährigen Kubaners Carlos Acosta so eindringlich schildert.
Carlos Acosta, Sohn einer weißen Mutter aus gutbürgerlichem
Haus und eines schwarzen LKW-Fahrers, wächst in Havannas Vorort-Arbeiterviertel
Los Pinos auf. Der Alltag ist beherrscht von Lebensmittelkarten,
Schlangestehen an den Geschäften, von nie reparierten Wasserleitungen
und lecken Dächern. Obwohl María und Pedro Acosta bereits
geschieden sind, leben sie aus finanziellen Gründen in einer
kleinen Wohnung zusammen mit Carlos, seiner Schwester und der aus
einer Jugendverbindung der Mutter stammenden weißen Halbschwester
Berta. Wenn die weißen Tanten zu Besuch kommen, darf nur
Berta mit an den Strand zum Baden. Die weißen Verwandten
in Venezuela wollen bei einem Emigrationsplan auch nur Berta und
Mama María aufnehmen. Und so bleibt die integre María
mit ihrer „schwarz-weißen“ Familie in Kuba.
Frühe seelische Verletzungen, die durch die Liebe seiner Mutter
und dann die harte Schulung des Balletts in den Hintergrund treten.
Denn Carlos‘ Vater, der einmal einen Ballettfilm gesehen
hatte und davon völlig fasziniert war, erhofft für seinen
leidenschaftlich breakdancenden und offensichtlich bewegungs-begabten
Neunjährigen eine kostenlose staatliche Ausbildung. Ballett
hatte ja bereits ab der kubanischen Revolution 1959, nicht zuletzt
aufgrund der Beziehungen zum großen Bruder UdSSR, einen kulturell
hohen Stellenwert.
Die Schilderung dieser Kindheit zwischen dem heißen Wunsch
nach einer Freundesclique und Fußball-Ruhm – Pelé ist
das große Idol – und der Strenge des zur Disziplin
antreibenden Vaters, ist faszinierend und spannend. Man ist berührt
von den verschiedenen Familientragödien – Krankheit
der Mutter, Bertas Schizophrenie –, von der Sehnsucht eines
einsamen, sich gedrillt fühlenden Ballettinternat-Schülers
nach elterlicher Zuwendung. Die Familie, die Heimat bedeuten Acosta
viel. Nur weil sein Vater ihm mit Weitsicht bewusst macht, dass
er sich im kubanischen Nationalballett über Jahre durch eine
rigide Ensemble-Hierarchie hochtanzen müsse, entschließt
sich Acosta zum Weggang aus Kuba.
Die Etappen vom English National und (US-)Houston-Ballet bis
zum illustren Londoner Royal Ballet, das bis Ende der 50er- Jahre überhaupt
keine Ausländer engagierte, zeichnet Acosta (mit streckenden
privaten Ausschmückungen) nach, und lässt auch die Ehren-Galas
vor Prinzessinnen und Königinnen, die Gastspiele in aller
Welt (auch in München) nicht aus. Der Preis für den Jubel
des Publikums sind Auftritte bei schmerzenden Muskeln und Sehnen
und Karriere gefährdende Verletzungspausen. Was und wie Carlos
Acosta über seine Ängste, seine Selbstzweifel, das nicht
immer einfache Einleben in eine neue Compagnie schreibt, ist exemplarisch
für diesen Beruf. Dass Acosta auch seine Liebesbeziehungen
einbringt, sei ihm zugestanden. Statt der kolportagehaften erotischen
Details hätte man allerdings lieber etwas mehr über Tanztechnik
und Rollengestaltung erfahren. Malve Gradinger
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