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Behütet, beschützt – verlassen?
Das Symposium „TanzTransition“ in Berlin · Von
Stefan Moser Wie bereits in der vergangenen Ausgabe von „Oper & Tanz“,
angekündigt, lud die VdO aktive Tänzerinnen und Tänzer
für den 1. Februar 2009 zum ersten Symposium „TanzTransition“ nach
Berlin ein. Dieses Symposium sollte der VdO in erster Linie Aufschlüsse
darüber liefern, wie sich die momentane Situation zum Thema
Karriereübergang aus Sicht der unmittelbar Betroffenen darstellt
und welche Maßnahmen oder Initiativen den aus dem Berufsleben
ausscheidenden Tänzerinnen und Tänzern selbst als am
ehesten hilfreich erscheinen. Die VdO hat es sich seit geraumer
Zeit zur Aufgabe gemacht, auch in diesem Bereich aktiv und unterstützend
tätig zu sein. Um dieser Aufgabe jedoch umfänglich und
kompetent gerecht werden zu können, schien es absolut notwendig,
die Stimme derer zu hören, die dieser Problematik direkt ausgesetzt
sind: Ziel war es, deren Sorgen, Nöte und Bedürfnisse
zu erfahren. Aktuellster Anlass zur Durchführung des Symposiums
war jedoch ein Vorstoß der Versorgungsanstalt der deutschen
Bühnen (VddB) bei deren Verwaltungsratssitzung vom 24. Oktober
2008. Die VddB hatte auf dieser Sitzung Gedanken zu möglichen
Modifikationen der Regularien zur Auszahlung der so genannten „Tänzerabfindung“ skizziert.
Sowohl aus versicherungsmathematischen als auch aus sozial- und
kulturpolitischen Gründen sieht sich die VddB veranlasst, Änderungen
der bisherigen Modalitäten zu thematisieren, und ein weiteres
Spitzengespräch zu dieser Angelegenheit ist bereits für
den 04. März 2009 terminiert. Da die VdO mit Sitz und Stimme
im Verwaltungsrat der VddB solche Entscheidungen mittragen muss,
war es nach Meinung der VdO-Geschäftsführung und des
Bundesvorstands höchste Zeit, die Meinung der tatsächlich
Betroffenen einzuholen, um anstehende Entscheidungsprozesse nicht
ausschließlich auf theoretische Betrachtungen, Statistiken
und Aussagen einzelner mit der Materie befasster Spezialisten zu
stützen.
Um die bei dem ersten Symposium dieser Art erwünschte Diskussion
und den Meinungsaustausch mit entsprechender Substanz zu unterfüttern,
wurden als Hauptdiskussionspartner verschiedene Experten eingeladen:
Sabrina Sadowska (Mitglied des Präsidiums der Bundesdeutschen
Ballett- und Tanztheaterdirektorenkonferenz BBTK und der AG Transition
der ständigen Konferenz Tanz e.V.), Judith Frege-Reimold (ehemalige
Tänzerin in Hamburg, Stuttgart, Berlin sowie diplomierte Tanzpädagogin),
Kathy Pope (ehemalige Tänzerin Deutsche Oper Berlin, Charakterdarstellerin
und Initiatorin des Education-Programmes des Staatsballetts Berlin),
Tobias Könemann (Justitiar und designierter Geschäftsführer
VdO), Gerrit Wedel (Justitiar VdO) und Stefan Moser (Tänzer
Bayerisches Staatsballett, Mitglied des Bundesvorstands der VdO,
Personalratsvorsitzender Bayerische Staatsoper). Transition Zentrum Tanz ist unbedingt notwendig
Nach einer kurzen Begrüßung durch Stefan Moser als Mitglied
des Bundesvorstands und Hauptinitiator des Symposiums sowie einer
Vorstellungsrunde der Anwesenden eröffnete Frau Sadowska das
Treffen mit einem Impulsreferat, das in erster Linie die Notwendigkeit
der Gründung eines Transition Zentrum Tanz in Deutschland
(TZTD) erläuterte. Die Ursprünge dieser Initiative sind
in der Gründung der BBTK zu finden, in der sich nach kurzer
Zeit die AG Transition formierte. Nach dem ersten internationalen
Symposium zum Thema Transition im Jahre 1995 in Lausanne wurden
Kontakte mit der Zentralen Bühnen-, Film- und Fernsehvermittlung
(ZBF) gesucht. Anfängliche Aktivitäten zur spezielleren
Betreuung des betroffenen Personenkreises verliefen jedoch im Sande,
vor allem wohl, als dann die ZBF innerhalb der Bundesagentur für
Arbeit (BA) in die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV)
integriert wurde. Nach der Gründung der ständigen Konferenz
Tanz e.V. im Jahr 2006 in Berlin wurde das Thema wieder verstärkt
diskutiert und es kristallisierte sich sehr schnell der Bedarf
eines TZTD heraus. Sabrina Sadowska initiierte daraufhin eine Projektstudie
zur Modellentwicklung, welche die Basis für die nachfolgenden
Betrachtungen bildet. Nach Ausführungen von Sabrina Sadowska
sind die bestehenden Einrichtungen (zum Beispiel BA und Deutsche
Rentenversicherung Bund) nicht ausreichend ausgestattet, geschult
und flexibel, um ihrer Verpflichtung, auch dieses sehr spezielle
Klientel bei einem Karriereübergang zu betreuen, nachzukommen.
Anhand verschiedener Beispiele aus dem europäischen und internationalen
Ausland schilderte Sadowska, wie Transition Zentren arbeiten können,
wie sie strukturiert sind, wie sie sich finanzieren und die Betroffenen
auch finanziell unterstützen und wie sie die Arbeit der verantwortlichen
staatlichen Stellen beratend und praktisch ergänzen. Die Einrichtung
eines derartigen Zentrums in Deutschland wird von Sabrina Sadowska
vehement betrieben, da sich die Situation der betroffenen Tänzerinnen
und Tänzer, auch auf Grund der allgemeinen Arbeitsmarktsituation,
stetig verschlechtert. Die Diskussionsrunde war sich einig, dass
die Einrichtung eines solchen Zentrums absolut begrüßenswert
wäre. Die Finanzierung des Zentrums durch eine Stiftung scheint
aus vielerlei Gründen geboten. Sabrina Sadowska ist aus diesem
Grund in erheblichem Umfang mit dem Thema Fundraising beschäftigt
sowie mit der Aufgabe, Partnerschaften mit der freien Wirtschaft
und auch staatlichen Stellen zu knüpfen. Die Gründung
und Existenz eines solchen Zentrums darf jedoch niemals dazu führen,
dass sich gerade die staatlichen Stellen ihrer gesetzlichen Verantwortung
entziehen. Ebenso war sich die Runde einig, dass das zu errichtende
Zentrum neben Beratung und finanzieller Unterstützung eine
Koordinations- und Lotsenfunktion zu erfüllen haben wird und
eng mit den anderen möglichen Anlaufstellen vernetzt sein
muss. In Ergänzung dazu wird einhellig die Einführung
einer „dualen Ausbildung“ befürwortet, wie sie
bereits seit einiger Zeit für Spitzensportler praktiziert
wird. Dieses Schema stellt Spitzensportlern (und als nichts anderes
sind Tänzerinnen und Tänzer zu betrachten) Beratung und
Berater zur Verfügung, wodurch Training und schulische Bildung
bis hin zu Abitur und Studium auf eine Art und Weise koordiniert
werden, die es den Sportlern ermöglicht, ein entsprechendes
Bildungsniveau mit zertifiziertem Abschluss zu erreichen. Auf diese
Weise finden sie nach dem Ende ihrer aktiven Karriere einen wesentlich
unproblematischeren Einstieg in einen neuen Beruf.
Rechtsanspruch auf
Auszahlung der Beiträge
Nach eingehender Diskussion erläuterte Tobias Könemann
in aller Kürze die momentanen Grundstrukturen der VddB und
den sich hieraus ergebenden Ist-Zustand bezüglich der Möglichkeit
der Auszahlung geleisteter Beiträge als „Tänzerabfindung“.
Die VddB ist, anders als die Deutsche Rentenversicherung Bund,
keine Umlageversicherung, sondern eine kapitalbildende Versicherung.
Hieraus ergibt sich ein gewisser Rechtsanspruch auf die Verfügung über
eingezahlte Beiträge. Zurzeit können sich Tänzer,
die an festen Tanzensembles tätig sind und mindestens 36 Beitragsmonate
geleistet haben, ihre eingezahlten Beiträge und die durch
den Arbeitgeber für sie geleisteten Beiträge inklusive
entsprechender Verzinsung als Tänzerabfindung auszahlen lassen,
wenn sie den Bühnenberuf bis zum 40. Lebensjahr aufgeben oder
die Bundesrepublik Deutschland verlassen. Grundsätzlich ist
jedoch zu bedenken, dass die VddB in erster Linie als zusätzliche
Altersvorsorge fungieren soll, was vom Staat ja als zweites Renten-Standbein
nicht nur gefördert, sondern sogar gefordert wird. Die Möglichkeit
der Auszahlung der ange-sparten Beiträge trägt lediglich
einer Notsituation Rechnung, in die allerdings fast jeder Tänzer
früher oder später kommen wird. Irgendwann zwischen seinem
30. und 40. Lebensjahr wird er den Beruf, den er in vielen Jahren
kostspieliger Ausbildung erlernt hat (und der im Übrigen bis
heute nicht als anerkannter Ausbildungsberuf gilt) aufgeben und
einen neuen Beruf in einer weiteren kostspieligen Ausbildung erlernen
müssen. Dafür ist er momentan gezwungen, die bis dahin
angesparte Zusatzvorsorge zu verwenden und in dem neuen Beruf mit
relativ niedrigen Beiträgen die Zahlung in die gesetzliche
Rentenversicherung wieder aufzunehmen. Trotz dieser völlig
unbefriedigenden Situation, in der lediglich aus der Not eine Tugend
gemacht wird, scheint es immer wieder Fälle zu geben, in denen
die Tänzerabfindung zur Auszahlung beantragt wird, sie aber
nicht dem ursprünglich gedachten Zweck zugeführt wird,
sondern als schnelles großes Geld auch schnell und großzügig
ausgegeben wird. Hier wäre juristisch wohl von einer „schädlichen
Verwendung“ zu sprechen.
Hilfe ohne bürokratische
Hürden tut not
Dieser Entwicklung möchte die VddB nun entgegenwirken. Ein
beschreitbarer Weg könnte sein, eine Zweckbindung der Tänzerabfindung
einzuführen. Nachfolgend nur ein Gedankenmodell: Ein Tänzer,
der die BRD verlässt, könnte sich weiterhin seine Abfindung
auszahlen lassen, ein Tänzer hingegen, der den Bühnenberuf
aufgibt, aber in Deutschland bleibt, könnte sich seine Abfindung
erst mit dem 42. Lebensjahr auszahlen lassen und auch das nur,
wenn er nachweisen kann, dass er davon eine Umschulung, Existenzgründung,
o.ä. finanziert. Dies setzt selbstverständlich einen
Katalog von förderlichen Maßnahmen voraus und eine bestimmte,
vermutlich sehr verwaltungsintensive Kontrolle durch die VddB.
Selbstverständlich bestätigten alle Diskussionsteilnehmer
einhellig die Sinnhaftigkeit einer zusätzlichen Altersvorsorge
und unterstützten das Bestreben, zu der Grundidee der VddB
als Zusatzversorgung zurückzufinden. Sollte es in einzelnen
Fällen aber nicht möglich sein, dies zu tun, stellt sich
unweigerlich die Frage, wie umfassend und flexibel ein Kontrollmechanismus
zur „unschädlichen Verwendung“ sein müsste,
um auch weniger eingängige und speziellere zweite Berufswege
ermöglichen zu können. Ziel muss es sein, Tänzer
in der Phase Transition weiterhin zu unterstützen und sie
nicht vor unüberwindliche bürokratische Hürden zu
stellen, derer es bereits genug außerhalb der VddB gibt.
Schlussendlich stellt sich die Frage, ob es angesichts der bevorstehenden
Einrichtung eines TZTD überhaupt sinnvoll ist, mit einem durchaus
nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand neue Regelungen in die Satzung
der VddB aufzunehmen, welche den betroffenen Tänzern und auch
der VddB selbst neue Beschränkungen auferlegen. Dies könnte
in Zukunft die durchaus vorhandenen positiven Tendenzen bei der
betroffenen Klientel und auch die Absichten eines TZTD konterkarieren.
Es stellt sich auch die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre,
es bei der momentanen Flexibilität der Regelung zu belassen
und eine enge Kooperation zwischen VddB und TZTD herbeizuführen.
Diese sollte in einer Beratungsfunktion des TZTD münden, was
letztlich eine Auszahlung der Abfindung unnötig machen könnte
oder mindestens sicherstellen würde, dass der Tänzer
mit seinem Geld „keinen Unfug treibt“. Unter Umständen
müsste man dann sogar über eine weitere Flexibilisierung
der Altersbeschränkung nachdenken. Das TZTD könnte zum
Beispiel einem Tänzer mit 41 Jahren eine 3-jährige Ausbildung/Umschulung
finanzieren, der Tänzer benötigt aber dann im Anschluss
an diese Ausbildung seine Gelder aus der VddB zur Gründung
einer Existenz. Eine weitere Überlegung könnte dann sein,
ob denn zwingend die Gesamtsumme ausgezahlt werden muss oder nur
der tatsächlich benötigte Betrag in Anspruch genommen
werden soll. Verantwortung und Fürsorgepflicht der Arbeitgeber
Zusammenfassend kann nach dem ersten Symposium „TanzTransition“ nach
Meinung der Teilnehmer festgestellt werden: Das Beratungsangebot
und die Leistungen der zuständigen Stellen werden allgemein
als unzureichend eingeschätzt. Sachbearbeiter und Berater
haben zu wenig oder gar keine Kenntnis über Ausbildung, Werdegang
und Kompetenzen ehemaliger Tänzer, was eine Berufsberatung
wohl kaum erleichtern kann. Tänzer werden während ihrer
Ausbildung nicht oder nur in geringstem Umfang mit dem Gedanken
Transition konfrontiert oder gar unterstützend auf ihn vorbereitet
(siehe duale Ausbildung). Aber auch die jeweiligen Arbeitgeber
nehmen ihre Verantwortung und Fürsorgepflicht zu wenig ernst.
Im Gegenteil: Initiativen von Tänzern in diese Richtung werden
misstrauisch beäugt oder, schlimmer, boykottiert. Dieser Kritikpunkt
richtet sich jedoch keineswegs nur an die Ballettdirektoren, sondern
an alle Entscheidungsträger, die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses
gegenüber Tänzern in der Fürsorgepflicht sind. Übereinstimmend stellten alle Teilnehmer des Symposiums
fest, dass die Diskussion viele neue Informationen geliefert, viele ältere
Informationen bestätigt und einige neue Sichtweisen eröffnet
hat. Eine Weiterführung der angestoßenen Gespräche
ist allgemein gewünscht. Die VdO wird darauf hinarbeiten,
den Dialog am Leben zu erhalten und das Möglichste zu tun,
um alle Beteiligten bei den zukünftigen Aktivitäten zu
unterstützen und zu begleiten.
Stefan Moser
Zum gleichen Thema siehe auch den Artikel von Stefan Moser:
„38 Jahre alt….und jetzt?!“ (Oper&Tanz
Ausg. 03/2006)
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