Zuerst kommt immer die Gänsehaut
Ein Gespräch mit dem Künstler-Manager Stefan Schmerbeck
Der Konzertgänger und Opernbesucher weiß wenig von
ihm. Er wirkt hinter den Kulissen. Dabei bewegt er sich an einer
entscheidenden Schnittstelle des Musikbetriebs: Der Manager des
Künstlers, der im täglichen Betrieb nicht nur Mädchen
für alles ist, sondern auch ein besonderes künstlerisches,
organisatorisches und kommunikatives Geschick braucht, um seinen
Job gut zu machen. Mit einem Vertreter dieses Berufsstandes, Stefan
Schmerbeck, sprach Barbara Haack für „Oper&Tanz“.
O&T: Stefan Schmerbeck, Sie firmieren als Artist-Manager.
Was genau bedeutet das, was sind Ihre Aufgaben?
Stefan Schmerbeck: Ein Künstlermanager ist Sprachrohr des
Künstlers und vertritt dessen Interessen in allen Belangen.
Er ist natürlich auch Ansprechpartner für Menschen, die
etwas von dem Künstler wollen. Der Künstler ist ja oftmals
ein Mensch, der in seiner Kunst lebt und gerade deshalb so überzeugend
ist. Mit den täglichen Dingen des Geschäftes will er
sich nicht belasten. Deshalb ist diese Mittlerposition sehr spannend:
Es geht darum, die Wünsche des Künstlers mit denen der
Menschen, die mit dem Künstler zusammenarbeiten möchten,
in Einklang zu bringen. Aber auch darum, aktiv Projekte zu entwickeln
und die Menschen zusammenzuführen.
O&T: Das bedeutet: Ein Künstlermanager braucht eine Vielzahl
ganz unterschiedlicher Kompetenzen? Schmerbeck: Ich denke, die Basis
ist auf jeden Fall das Know-How über
Musik. Dazu kommt natürlich die Kommunikation als wesentliche
Kompetenz. Eine sehr wichtige Rolle spielt das Vertrauen. Wenn
ein Künstler kein Vertrauen zu seinem Manager hat, dann wird
das Ganze nicht funktionieren.
O&T: Wie ist Ihre Biographie?
Wie sind Sie zu dem geworden, was Sie heute sind?
Schmerbeck: Ich bin per Zufall
dahin gekommen. Zu meiner Zeit jedenfalls gab es da keinen konkreten
Ausbildungsweg.
Den Einstieg in die
Branche habe ich über die BMG Classics gemacht, bei der ich
zehn Jahre Klassische Musik auf Tonträgern produziert und
vermarktet habe. 1999 – kurz vor dem ganz großen Crash
der Schallplattenbranche – bin ich ausgestiegen. Zwei der
Künstler, für die ich als Produzent tätig war, fragten
mich daraufhin, ob ich einfach die Seiten wechseln und sie als
Manager vertreten wolle. Das war für mich eine große
Ehre. Also habe ich mich darauf eingelassen.
O&T: Wie findet man als Manager „seine“ Künstler? Schmerbeck: Man findet sich über Vertrauen und über das
Wissen von der Kompetenz des anderen. Die beiden Künstler,
für die ich anfing zu arbeiten, sind schon viel länger
im Geschäft als ich. Sie wussten, was sie taten.
O&T: Das waren Montserrat Caballé und Lucia Aliberti?
Schmerbeck: Genau. Montserrat Caballé ist jetzt 75 Jahre
alt. Sie hat in ihrem Leben nicht nur alles gesungen, sondern mit
Sicherheit auch die verschiedensten Facetten von Agenten, Managern
und Intendanten kennengelernt. Sie weiß sehr genau worauf
es ankommt. Genauso sieht es bei Lucia Aliberti aus.
O&T: Sicher steht für Sie auch die Frage im Raum, welche
Künstler zusätzlich interessant sein könnten. Würden
Sie sich auch jungen, unbekannten Künstlern widmen, oder sind
Ihr Kerngeschäft eher die etablierten Künstler und internationalen
Stars?
Schmerbeck: Es hat sich in den
letzten Jahren eher zufällig
ergeben, dass ich mit zwei weiteren renommierten Künstlern
in Kontakt kam: Für Juan Diego Flórez arbeite ich im
deutschsprachigen Raum, mit Anja Silja entwickle ich ihr erstes
Liederabend-Projekt. Beides fand ich unglaublich interessant. Nicht
nur, weil beide große Künstler- Persönlichkeiten
sind, sondern weil ich das, was diese Leute künstlerisch tun,
sehr mag. Da kommt beides zusammen. Junge Talente zu entdecken
und zu fördern: Das habe ich bisher nicht gemacht. Aber es
wird sicherlich noch kommen. Ich werde vermutlich irgendwo sitzen,
eine Stimme hören, Gänsehaut kriegen und mir denken: „Hoppla!“.
Bei mir kommt immer die Gänsehaut zuerst und dann alles andere.
O&T: Was tun Sie ganz konkret?
Wie sieht Ihr Arbeitsfeld aus?
Schmerbeck: Ich identifiziere zusammen
mit dem Künstler die
Projekte, die anstehen, die er gerne machen möchte, und wir
besprechen gemeinsam die Umsetzung. Meine Vergangenheit verleugne
ich dabei in keiner Weise: Ich bin leidenschaftlicher CD-Produzent.
Also kann der Anfang eines Projektes durchaus in einer CD bestehen.
Interessant sind dann die Fragen: Ist es sinnvoll, für ein
Projekt eine CD zu produzieren? Wer könnten die künstlerischen
Partner sein? Welches Label kommt in Frage? Was ist nötig,
um die CD zu produzieren, sie auf den Markt zu bringen und dann
bei Veranstaltern anzubieten? O&T: Als Liveprogramm also?
Von der CD zum Konzert?
Schmerbeck: Ja. Das ist
natürlich meine zentrale Aufgabe.
Ein Künstler möchte ja in erster Linie live auftreten.
Ich informiere potentielle Veranstalter über die Projekte
und bespreche mit ihnen die Möglichkeit einer Zusammenarbeit.
Dabei muss man natürlich immer die Richtigen identifizieren: „Für
wen ist was interessant und wer kann was in welcher Zeit realisieren“.
Mit Anja Silja zum Beispiel habe ich ihren Liederabend auf CD aufgenommen,
die 2009 herauskommt. Das ist ein Liederabend mit russischen Liedern
von Rachmaninoff und Mussorgsky, den sie auch live präsentieren
wird. So dass idealerweise, wenn die CD herauskommt, auch schon
einige Konzerttermine stehen. Für Anja Silja bedeutet dies
neues Terrain. Viele Leute werden überrascht sein, wie toll
sie diese Lieder interpretiert. Das ist gerade eines meiner aktuellen
und spannenden Projekte. Das zweite ist die neue Verdi-CD von Lucia
Aliberti, die gerade auf den Markt gekommen ist und dann wird diese
Entdeckungsreise zum frühen und unbekannten Verdi auch live
zu erleben sein.
O&T: Tourneemanagement bedeutet
auch organisatorische Details wie „Wann fliegt sie wohin? Wo wohnt sie? Wo steht das Wasser
in der Garderobe?“ Das alles gehört auch zu Ihrem Job?
Schmerbeck: Absolut. Die Tagesplanung
der Konzerte mit Reisen, Hotels, Transfers, Proben, etc., das läuft alles über
meinen Tisch. Ich bin dann auch vor Ort, und sehe zu, dass wir
eine reibungslose Organisation sowie ein entspanntes und schönes
Konzert hinkriegen. O&T: Sicher schließt diese Aufgabe einen engen persönlichen
und menschlichen Kontakt zum Künstler ein. Gibt es manchmal
auch Schwierigkeiten?
Schmerbeck: Für jedes Problem gibt es eine Lösung. Das
Angenehme bei großen Stars, mit denen ich das Glück
habe zu arbeiten, ist, dass sie alles schon gesehen und erlebt
haben. Das heißt, sie haben eine gewisse „Grundentspanntheit“,
sie regen sich im Grunde kaum noch über etwas auf. Und wir
kennen uns mittlerweile schon so lange, dass wir wissen: Wenn ein
Problem auftritt, ist es von niemandem vorsätzlich gewollt.
So etwas passiert, und dann wird dafür eine praktikable Lösung
gefunden.
Wie ich es bereits sagte: das Vertrauen ist äußerst
wichtig. Wenn der Künstler weiß, dass er mir vertrauen
kann, dann weiß er auch, dass ich alles tun werde, damit
er seine Kunst machen kann. Und dazu gehört es eben, dass
das Klavier eine bestimmte Stimmung hat, dass das Wasser keine
Kohlensäure hat oder dass ein gewisser Tee bereit steht. Man
ist allerdings immer wieder überrascht, was passieren kann.
Wir gastieren in aller Herren Länder. Wenn man an einen Ort
beziehungsweise in ein Land fährt, mit einem Opernhaus oder
einem Veranstalter arbeitet, den man nicht kennt, dann muss man
davon ausgehen dass es das ein oder andere Missverständnis
geben wird. Das ist völlig normal.
O&T: Das heißt, dass Sie ein Weltreisender sind. Sind
Sie in allen Teilen der Welt aktiv?
Schmerbeck: Ja natürlich. Ich bin allerdings vor allem in
Europa tätig. Sobald es in außereuropäische Länder
geht, arbeite ich mit Partnern zusammen. Aber natürlich fahren
wir nach Asien und Amerika, überall hin…
O&T: Ihr Geschäft ist der Kontakt mit Veranstaltern. Wie
schwierig ist es, jemanden wie Montserrat Caballé oder Lucia
Aliberti zu vermarkten? Das ist vermutlich eine ganz andere Vermarktungsstrategie
als wenn man einen jungen Künstler anbietet. Rennen Sie offene
Türen ein, oder ist es gar nicht so einfach zu sagen „Ich
möchte jetzt mit der Caballé nach Rom oder Paris“?
Schmerbeck: Es geht eigentlich
immer um das persönliche Gespräch.
Ich informiere Intendanten beziehungsweise künstlerische Leiter
darüber, was die Künstler aktuell machen. Dann kann ich
im Gespräch genau heraushören, was ihn interessiert,
was er gerade für eine Saison plant, und ihm ein entsprechendes
Angebot machen. Genauso hat der Intendant natürlich eigene
Ideen. Es ist immer ein Prozess. Diesen Kontakt und diese Gespräche,
die suche ich natürlich regelmäßig.
O&T: Wie weit im Voraus werden
solche Tourneen geplant?
Schmerbeck: Die Opernhäuser planen am längsten voraus.
Opernengagements kann man bis zu fünf Jahre im Voraus festlegen.
Bei den Konzerten wird zum Beispiel im Moment die Saison 2010/2011
geplant. Ich arbeite gerade an der Tournee von Juan Diego Flórez
für November 2010 im deutschsprachigen Raum, also fast zwei
Jahre im Voraus. Für Konzerte ist das in der Regel das Maximum.
O&T: Die Künstler wollen ihre Kunst machen, das haben
Sie bereits gesagt. Sie wollen aber auch Geld verdienen…
Schmerbeck: Selbstverständlich wollen sie Geld verdienen.
O&T: Womit verdienen sie ihr
Geld? Mit den CDs oder mit den Auftritten in Konzerten, mit den
Engagements in den Opern?
Schmerbeck: Ein klassischer Künstler verdient in der Regel
sein Geld mit seinen Auftritten. Im Grunde ist die CD die Visitenkarte
des Künstlers. Die muss er alle zwei bis drei Jahre erneuern,
nämlich mit einem aktuellen Projekt. Demnächst werden
wir das sicherlich einfach auf die Internetseite des Künstlers
stellen.
Der Künstler verdient sein Geld also mit Auftritten und hat
dann auch eine gewisse Vorstellung, wie viel er verdienen möchte.
Damit muss ich mich natürlich auseinandersetzen und mir eine
Strategie überlegen: Ist die Gage fix, oder verlange ich an
einem Ort mehr, am anderen weniger? Wenn man ein Projekt oder ein
Konzert mit maximal 300 Besuchern gestaltet, dann ist das natürlich
etwas anderes als ein Projekt mit 2.000, bei Open-Airs sogar 5.000
Zuhörern. Ich denke aber, keinem Künstler geht es nur ums Geld. Meine
Erfahrung sagt mir, dass ein Künstler erstmal seine Kunst
machen will. Erst kommt die Kunst, dann kommt das Geld, und wenn
das alles auch noch zusammenpasst, dann ist es gut.
O&T: In welche Richtung entwickelt
sich Ihrer Ansicht nach der Konzertbetrieb: hin zum Starevent oder
eher zu
neuen, unbekannten
Konzertformen?
Schmerbeck: Ich würde sagen: beides. Es wird verstärkt
Events geben. Man merkt ja zurzeit, dass Klassik „in“ ist.
Auch wer von Klassik keine Ahnung hat, weiß inzwischen, was
Klassik ist und verbindet damit irgendein Event, mit dem er zufällig
in Berührung gekommen ist, bei dem er ganz überrascht
war, dass es ihm nicht weh getan hat. Diesen Event-Charakter wird
es verstärkt geben. Auf der anderen Seite glaube ich, dass
auch die wunderbaren Opernhäuser und Konzertsäle sich
weiterentwickeln werden, gerade im Bewusstsein, sich jüngerem
Publikum zu öffnen. Und die Fans werden weiter zu den vielen
kleinen und feinen Festivals pilgern, bei denen man in einer überragenden
Intimität wunderbare Musik genießen kann. Da wird natürlich
mit kleineren Budgets gearbeitet, und die Künstler kommen
vielleicht für ein Taschengeld, um dann wieder bei den so
genannten Events ein bisschen mehr Geld mitzunehmen. Da sind gerade
die kleineren Veranstalter aufgefordert, dem Künstler sein
Konzert oder Festival schmackhaft zu machen. Die Gänsehautmomente
finden eher bei den kleineren Sachen statt. Ob der Klassik-Fan
bei einem Event Gänsehaut bekommt, bezweifle ich. O&T: Wie geht es für Sie weiter? Gibt es spannende Projekte
für die Zukunft?
Schmerbeck: 2009 wird sicherlich ein Jahr sein, wo ich die Augen
ein bisschen aufmache und die Ohren aufsperre. Das habe ich früher
schon gemacht, und ich mache es auch 2009 wieder. Es ist immer
ein schönes Abenteuer, und ich freue mich drauf, weil ich
das, was ich tue, sehr gerne mache. Vielleicht könnte ich
auch mal einen Dirigenten vertreten. Darüber habe ich im vergangenen
Jahr bereits nachgedacht, weil es zu einem interessanten Kontakt
kam. Meine Grundleidenschaft, mit Sängern zu arbeiten, ist
aber ungebrochen – und das wird auch so bleiben.
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