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Unsichtbar gesteuert

Die Tänzer und die Stasi

Ralf Stabel, IM „Tänzer“. Der Tanz und die Staatssicherheit. Schott Verlag, Mainz 2008, 230 Seiten, 24,95 Euro

IM „Tiko“ verschiebt etwas unlauter Theaterkarten an Diplomaten. IM „Othello“ verleiht seine Wohnung für „konspirative Treffen“ und lässt sich die Betriebskosten zahlen. IM „Jenufa“, anfangs Bühnenwart, ist homosexuell orientiert, was noch strafbar ist.

Das MfS bevorzugt Spitzel, die von ihm abhängig sind und sich für bestimmte „Problemzonen“ eignen. Mitte der 50er-Jahre geht es an Berliner Theatern vielleicht tatsächlich auch um Betriebssicherheit und Sabotageabwehr – doch mit dem Mauerbau spätestens geraten die führenden Ballett-Ensembles der ostdeutschen Hauptstadt politisch direkt ins Visier. Im ambitioniert gestrickten Spähernetz von IM „Rene“ verfangen sich Anfang der 60er eine Vielzahl von Informationen aus den „Ballettkollektiven“ in Ostberlin. Von Interesse sind Westkontakte, Abwerbungsinteressen, reale und behauptete Pläne zur Republikflucht. Vor Auslandsgastspielen, bei denen sich die DDR Reputationen erhofft, wird ausführlich sondiert und „arrangiert“. Tanzwissenschaftler Ralf Stabel benennt einen Fall, wo allein ein Verdacht die Verhaftung zweier Solisten bewirkt, was im Ensemble der Deutschen Staatsoper zu reichlicher Unruhe führt. Gut ausgebildete junge DDR-Tänzer sind international durchaus gefragt, vor allem John Crankos Stuttgarter Ballett ist interessiert. Die Reise des Tanztheaters der Komischen Oper 1971 nach Finnland endet in einem Eklat: acht Tänzer bleiben im Westen, eine Tänzerin lässt sich zur Rückkehr bewegen und wird im empörten Ensemble bis zum Selbstmord gemobbt.
Berichte über IM-Tätigkeit in der Ex-DDR wecken heute nurmehr selten Interesse; es genügt auch in diesem Fall nicht, sie isoliert zu betrachten. Ralf Stabels Recherchen und Rekonstruktionen sind relevant, wo sie das Gesamtgefüge beleuchten, in dem man Künstlerkarrieren politisch macht und verhindert. Denn in der Honecker-Zeit geht es an ostdeutschen Bühnen nicht mehr um sozialistische Kunst – die Staatssicherheit beteiligt sich, wie Autor Stabel am Fall Gret Palucca eindrücklich darstellt, an der Personalpolitik. Wer als Absolvent welcher Schule einmal welche Richtung einschlägt, ob wer wie gefördert wird, wem man zu welchem Zweck Leitungsfunktionen anträgt – nicht allein FDJ und SED, auch das MfS arbeitet an den Lebensläufen zahlreicher Tänzer mit, die berufsbedingt stets sehr junge und meist gut formbare Menschen sind.

Frank Kämpfer

 

 

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