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Betreff: Beschäftigung von Juden
Ausstellung „Verstummte Stimmen“ in Stuttgart · Von
Andreas Kolb Vor 70 Jahren, in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938,
brannten Deutschlands Synagogen und die Nationalsozialisten begannen
mit der systematischen Vernichtung der jüdischen Mitbürger.
Seit diesen Pogromen ist der 9. November ein Datum, das für
immer andere deutsche Geschichtsdaten wie die Ausrufung der Republik
am 9. November 1918 durch Philipp Scheidemann oder den Fall der
Mauer am 9. November 1989 überlagern wird. Die Ausstellung „Verstummte
Stimmen“, die erstmals im Jahr 2006 in Hamburg gezeigt wurde,
und im Mai 2008 erweitert um die Geschichte der Berliner Staatsoper
Unter den Linden in Berlin zu sehen war, ist Anfang Oktober in
einer überarbeiteten Auflage in Stuttgart angekommen und beschreibt
die systematische Vertreibung der Juden aus Theater und Oper in
den Jahren 1933 bis 1945.
Erschütternde Schicksale
Die Ausstellung, kuratiert durch den Historiker Hannes Heer,
den Musikpublizisten Jürgen Kesting und den Gestalter Peter Schmidt,
besteht aus zwei Teilen: Im Haus der Geschichte Baden-Württemberg
ist der Teil zu sehen, der von Berufsverbot, Deportation und Exil
von 44 prominenten Künstlern handelt. Das Spezifikum der Stuttgarter
Ausstellung stellt der zweite Teil dar, der im Foyer des II. Ranges
des Württembergischen Staatstheaters gezeigt wird. In 22 Schicksalen
werden die Auswirkungen der rassistischen Kulturpolitik auf das
Stuttgarter Ensemble und das gesamte Haus dokumentiert. Kapellmeister,
Solisten aus der zweiten Reihe, Chor und Orchestermitglieder, Schauspieler,
Bühnenarbeiter und Kartenabreißer – keiner blieb
verschont, der jüdischen Glaubens oder Mitglied der KPD war
oder einfach nur die Zivilcourage besaß, sich politisch nicht
opportun zu verhalten.
Dass sich Zuschauer aus dem Parkett oder dem I. Rang jemals ins
Foyer des II. Ranges verirren, wo sich üblicherweise die Opernenthusiasten
der niedrigeren Preiskategorien zum Pausengespräch
an der Sektbar treffen, ist kaum vorstellbar. Mit dieser Ortswahl
hat man von Seiten des Staatstheaters keine glückliche Hand
bewiesen. Kommt man jedoch tagsüber gezielt zur Ausstellung,
dann stören kein Gläserklirren, keine Pausengespräche
und auch kein Kartenvorverkauf beim Gang durch die Tafeln, auf
denen 22 lakonisch geschriebene Biographien aus dem Stuttgarter
Haus an erschütternde Schicksale erinnern.
Der Blick bleibt beim Foto der Sopranistin Else Reder hängen:
Else Reder wurde am 17. Dezember 1890 in Plön geboren. Seit
1918 sang sie im Sopran des Stuttgarter Opernchors. Dem Theaterpublikum
war sie durch kleinere solistische Rollen wie die erste Brautjungfer
im „Freischütz“ oder die Melanie in der „Fledermaus“ bekannt.
Ende November 1933 wurde sie als „Halbjüdin“ entlassen
und 1937 aus der Reichstheaterkammer ausgeschlossen. Die Ehe mit
ihrem Mann Ludwig Reder, der Chorsänger an der Stuttgarter
Oper bleiben konnte, verhinderte ihre Deportation. Else Reder starb
am 17. Dezember 1979 in Stuttgart. Das ist die nüchterne Beschreibung
eines ruinierten Lebenslaufes. Andere endeten tragischer, im Exil,
oder durch Deportation und Ermordung. Am 15. März 1933 hatte
die NSDAP die Macht im Württemberger Landtag übernommen,
bereits am 11. Februar 1937 antwortete der Intendant Otto Krauß auf
eine Anfrage des Kultusministeriums „Betr.: Beschäftigung
von Juden“ lapidar mit: „Fehlanzeige“. Bereits
ein Jahr vor den ersten Reichsmusiktagen in Düsseldorf im
Mai 1938 und der zeitgleich in Weimar stattfindenden Propaganda-Ausstellung „Entartete
Musik“ war das Württembergische Staatstheater „judenfrei“.
Rasche Gleichschaltung
Der historische Rückblick, den die Ausstellungsmacher unter
dem Titel „Der Kampf um das Württembergische Landestheater
Stuttgart“ nachzeichnen, beginnt bereits in den 20er-Jahren.
In dieser Zeit zählte das Stuttgarter Haus zu den führenden
deutschen Bühnen. Intendant Albert Kehm erweiterte das klassische
Repertoire, unterstützt vom damaligen Generalmusikdirektor
Fritz Busch. In Stuttgart kamen Werke von Paul Hindemith, Ernst
Krenek, Kurt Weill, Friedrich Wolf, Bert Brecht, Bernhard Blume,
Ernst Barlach oder Oskar Schlemmer auf die Bühne – Kehms
Programme waren zeitgenössisch im besten Sinne. Zitate aus
Rezensionen belegen, wie bereits in den zwanziger Jahren Presse
und Politik von der Süddeutschen Zeitung bis zum Völkischen
Beobachter, von der deutschnationalen Bürgerpartei bis zum
Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund, der auch Theaterskandale
in Hannover, München, Nürnberg und Berlin organisiert
hatte, den Stuttgarter Theaterleuten das Leben schwer machten.
1933 ging dann alles sehr schnell: am 15. März wurde Gauleiter
Wilhelm Murr, gegen die Stimmen der SPD und der schon ausgeschalteten
KPD, zum neuen Württembergischen Staatspräsidenten gewählt.
Kulturminister wurde der bisherige Landtagspräsident Christian
Mergenthaler, ein ausgewiesener Gegner des Landestheaters. Seine
erste Amtshandlung war die Absetzung des Intendanten Albert Kehm,
des Verwaltungsdirektors Otto Paul sowie der Oberspielleiter von
Oper und Schauspiel, Harry Stangenberg und Friedrich Brandenburg.
Am gleichen Tag wurde der Nationalsozialist Otto Krauß als
Intendant eingesetzt, innerhalb von Monatsfrist wurden prominente
Juden wie die Schauspieler Fritz Wisten und Max Marx sowie die
Sänger Hermann Weil und Hermann Horner gekündigt. Die
Vertreibung hatte begonnen. Historischer Abriss
Mit den 22 Biographien und einigen Klangbeispielen versucht die
Ausstellung „Verstummte Stimmen“, die Namen der Stuttgarter
Opfer nationalsozialistischer Kulturpolitik wieder ins Gedächtnis
einer Stadt zurückzubringen. Doch dabei bleibt sie nicht stehen.
In einem zeitgeschichtlichen Abriss reflektiert sie die Musikpolitik
im Dritten Reich und schildert die Machenschaften der „Kulturellen
SA“, nennt die Namen der Verfolger, neben Goebbels etwa Hans
Hinkel und Hans Severus Ziegler oder auch den Musikwissenschaftler
Herbert Gerigk, der durch seine detektivisch betriebene lexikalische
Erfassung der Juden unter dem Titel „Das Lexikon der Juden
in der Musik“ zur traurigen Berühmtheit wurde. Die Kuratoren
vergessen auch nicht, den Profiteuren einen Platz einzuräumen,
angefangen beim Präsidenten der Reichsmusikkammer Richard
Strauss, über den Komponisten Werner Egk oder den Dirigenten
Karl Böhm, der Nachfolger von Fritz Busch bei der Staatskapelle
in Dresden wurde. Sie alle werden mit ihren Überzeugungen
und Motiven in den historischen Zusammenhang gestellt. Der allgemeine
Teil der Ausstellung versammelt 44 Biographien prominenter Künstler
und ist in den Räumlichkeiten des Baden-Württembergischen
Landesarchivs gegenüber der Staatsoper ausgestellt. Konfrontiert
mit der Dokumentation dieses Exodus prominenter Künstler,
dringt wieder einmal schmerzlich ins Bewusstsein, was Rassenwahn
und kunstfeindliche Ideologie im deutschen Kulturleben angerichtet
haben. Die nächsten Stationen der Ausstellung werden Darmstadt
und Bayreuth sein – man darf auch hier mit neuen Forschungsergebnissen
und Dokumentationen vor allem zum jeweiligen regionalen Kulturleben
rechnen. Andreas Kolb
Katalog: Hannes Heer: Verstummte Stimmen. Die
Vertreibung der „Juden“ aus
der Oper 1933 bis 1945, Metropol Verlag, Berlin 2008
Tondokumentation: Vier CDs enthalten die Tondokumente
der Ausstellung (Vertrieb: Membran International)
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