Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


 

Aktuelle Ausgabe

Editorial

Kulturpolitik
Pluralismus der Klangideale
Slawisches Repertoire in europäischen Städten
Betreff: Beschäftigung von Juden
Ausstellung „Verstummte Stimmen“ in Stuttgart

Portrait
Wer ist denn eigentlich dieser Tybalt?
Das Kinderprogramm der Bayerischen Staatsoper
Ein Plädoyer für das Weibliche
Zum 150. Geburtstag von Giacomo Puccini

Berichte
Viel Geschrei, wenig Gesang
Ruzickas „Hölderlin“ in Berlin uraufgeführt
Panoptikum der Gegenwelten
DANCE 2008 in München
Liquidation der Kriminalisten
Franz Hummels „Der Richter und sein Henker“ in Erfurt
Das Prekariat auf der Opernbühne
„Wozzeck“ an der Münchner Staatsoper

VdO-Nachrichten
Nachrichten
Brennpunkt HalleAbzocke durchs Finanzamt – Rentenabschläge rechtens – Orchesterstreit vor dem Ende? – Leserbrief – Wir gratulieren


Unsichtbar gesteuert
Die Tänzer und die Stasi
Lücke im CD-Regal
Lucia Aliberti singt frühe Verdi-Arien

Service
Schlagzeilen
Namen und Fakten
Stellenmarkt
Spielpläne 2008/2009
Festspielvorschau

 

Kulturpolitik

Betreff: Beschäftigung von Juden

Ausstellung „Verstummte Stimmen“ in Stuttgart · Von Andreas Kolb

Vor 70 Jahren, in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, brannten Deutschlands Synagogen und die Nationalsozialisten begannen mit der systematischen Vernichtung der jüdischen Mitbürger. Seit diesen Pogromen ist der 9. November ein Datum, das für immer andere deutsche Geschichtsdaten wie die Ausrufung der Republik am 9. November 1918 durch Philipp Scheidemann oder den Fall der Mauer am 9. November 1989 überlagern wird. Die Ausstellung „Verstummte Stimmen“, die erstmals im Jahr 2006 in Hamburg gezeigt wurde, und im Mai 2008 erweitert um die Geschichte der Berliner Staatsoper Unter den Linden in Berlin zu sehen war, ist Anfang Oktober in einer überarbeiteten Auflage in Stuttgart angekommen und beschreibt die systematische Vertreibung der Juden aus Theater und Oper in den Jahren 1933 bis 1945.

Erschütternde Schicksale

Die Ausstellung, kuratiert durch den Historiker Hannes Heer, den Musikpublizisten Jürgen Kesting und den Gestalter Peter Schmidt, besteht aus zwei Teilen: Im Haus der Geschichte Baden-Württemberg ist der Teil zu sehen, der von Berufsverbot, Deportation und Exil von 44 prominenten Künstlern handelt. Das Spezifikum der Stuttgarter Ausstellung stellt der zweite Teil dar, der im Foyer des II. Ranges des Württembergischen Staatstheaters gezeigt wird. In 22 Schicksalen werden die Auswirkungen der rassistischen Kulturpolitik auf das Stuttgarter Ensemble und das gesamte Haus dokumentiert. Kapellmeister, Solisten aus der zweiten Reihe, Chor und Orchestermitglieder, Schauspieler, Bühnenarbeiter und Kartenabreißer – keiner blieb verschont, der jüdischen Glaubens oder Mitglied der KPD war oder einfach nur die Zivilcourage besaß, sich politisch nicht opportun zu verhalten.

 
Harry Stangenberg (Foto: Royal Operas Archive Stockholm/Foto: F. Dittmar). Der gebürtige Schwede ging nach heftigen Attacken gegen seine Person im „Völkischen Beobachter“ und nach seiner Entlassung als Oberspielleiter in Stuttgart zurück in seine Heimat.
 

Harry Stangenberg (Foto: Royal Operas Archive Stockholm/Foto: F. Dittmar). Der gebürtige Schwede ging nach heftigen Attacken gegen seine Person im „Völkischen Beobachter“ und nach seiner Entlassung als Oberspielleiter in Stuttgart zurück in seine Heimat.

 

Dass sich Zuschauer aus dem Parkett oder dem I. Rang jemals ins Foyer des II. Ranges verirren, wo sich üblicherweise die Opernenthusiasten der niedrigeren Preiskategorien zum Pausengespräch an der Sektbar treffen, ist kaum vorstellbar. Mit dieser Ortswahl hat man von Seiten des Staatstheaters keine glückliche Hand bewiesen. Kommt man jedoch tagsüber gezielt zur Ausstellung, dann stören kein Gläserklirren, keine Pausengespräche und auch kein Kartenvorverkauf beim Gang durch die Tafeln, auf denen 22 lakonisch geschriebene Biographien aus dem Stuttgarter Haus an erschütternde Schicksale erinnern.

Der Blick bleibt beim Foto der Sopranistin Else Reder hängen: Else Reder wurde am 17. Dezember 1890 in Plön geboren. Seit 1918 sang sie im Sopran des Stuttgarter Opernchors. Dem Theaterpublikum war sie durch kleinere solistische Rollen wie die erste Brautjungfer im „Freischütz“ oder die Melanie in der „Fledermaus“ bekannt. Ende November 1933 wurde sie als „Halbjüdin“ entlassen und 1937 aus der Reichstheaterkammer ausgeschlossen. Die Ehe mit ihrem Mann Ludwig Reder, der Chorsänger an der Stuttgarter Oper bleiben konnte, verhinderte ihre Deportation. Else Reder starb am 17. Dezember 1979 in Stuttgart. Das ist die nüchterne Beschreibung eines ruinierten Lebenslaufes. Andere endeten tragischer, im Exil, oder durch Deportation und Ermordung. Am 15. März 1933 hatte die NSDAP die Macht im Württemberger Landtag übernommen, bereits am 11. Februar 1937 antwortete der Intendant Otto Krauß auf eine Anfrage des Kultusministeriums „Betr.: Beschäftigung von Juden“ lapidar mit: „Fehlanzeige“. Bereits ein Jahr vor den ersten Reichsmusiktagen in Düsseldorf im Mai 1938 und der zeitgleich in Weimar stattfindenden Propaganda-Ausstellung „Entartete Musik“ war das Württembergische Staatstheater „judenfrei“.

Rasche Gleichschaltung

Der historische Rückblick, den die Ausstellungsmacher unter dem Titel „Der Kampf um das Württembergische Landestheater Stuttgart“ nachzeichnen, beginnt bereits in den 20er-Jahren. In dieser Zeit zählte das Stuttgarter Haus zu den führenden deutschen Bühnen. Intendant Albert Kehm erweiterte das klassische Repertoire, unterstützt vom damaligen Generalmusikdirektor Fritz Busch. In Stuttgart kamen Werke von Paul Hindemith, Ernst Krenek, Kurt Weill, Friedrich Wolf, Bert Brecht, Bernhard Blume, Ernst Barlach oder Oskar Schlemmer auf die Bühne – Kehms Programme waren zeitgenössisch im besten Sinne. Zitate aus Rezensionen belegen, wie bereits in den zwanziger Jahren Presse und Politik von der Süddeutschen Zeitung bis zum Völkischen Beobachter, von der deutschnationalen Bürgerpartei bis zum Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund, der auch Theaterskandale in Hannover, München, Nürnberg und Berlin organisiert hatte, den Stuttgarter Theaterleuten das Leben schwer machten.

 
Lydia Kindermann (Foto: Galerie Bilderwelt Berlin). Die an der Berliner Staatsoper gefeierte Altistin wanderte bereits 1932 nach Prag aus. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen ging sie wegen ihrer jüdischen Herkunft ins Exil nach Buenos Aires und kehrte 1949 in ihre Heimatstadt Wien zurück.
 

Lydia Kindermann (Foto: Galerie Bilderwelt Berlin). Die an der Berliner Staatsoper gefeierte Altistin wanderte bereits 1932 nach Prag aus. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen ging sie wegen ihrer jüdischen Herkunft ins Exil nach Buenos Aires und kehrte 1949 in ihre Heimatstadt Wien zurück.

 

1933 ging dann alles sehr schnell: am 15. März wurde Gauleiter Wilhelm Murr, gegen die Stimmen der SPD und der schon ausgeschalteten KPD, zum neuen Württembergischen Staatspräsidenten gewählt. Kulturminister wurde der bisherige Landtagspräsident Christian Mergenthaler, ein ausgewiesener Gegner des Landestheaters. Seine erste Amtshandlung war die Absetzung des Intendanten Albert Kehm, des Verwaltungsdirektors Otto Paul sowie der Oberspielleiter von Oper und Schauspiel, Harry Stangenberg und Friedrich Brandenburg. Am gleichen Tag wurde der Nationalsozialist Otto Krauß als Intendant eingesetzt, innerhalb von Monatsfrist wurden prominente Juden wie die Schauspieler Fritz Wisten und Max Marx sowie die Sänger Hermann Weil und Hermann Horner gekündigt. Die Vertreibung hatte begonnen.

Historischer Abriss

Mit den 22 Biographien und einigen Klangbeispielen versucht die Ausstellung „Verstummte Stimmen“, die Namen der Stuttgarter Opfer nationalsozialistischer Kulturpolitik wieder ins Gedächtnis einer Stadt zurückzubringen. Doch dabei bleibt sie nicht stehen. In einem zeitgeschichtlichen Abriss reflektiert sie die Musikpolitik im Dritten Reich und schildert die Machenschaften der „Kulturellen SA“, nennt die Namen der Verfolger, neben Goebbels etwa Hans Hinkel und Hans Severus Ziegler oder auch den Musikwissenschaftler Herbert Gerigk, der durch seine detektivisch betriebene lexikalische Erfassung der Juden unter dem Titel „Das Lexikon der Juden in der Musik“ zur traurigen Berühmtheit wurde. Die Kuratoren vergessen auch nicht, den Profiteuren einen Platz einzuräumen, angefangen beim Präsidenten der Reichsmusikkammer Richard Strauss, über den Komponisten Werner Egk oder den Dirigenten Karl Böhm, der Nachfolger von Fritz Busch bei der Staatskapelle in Dresden wurde. Sie alle werden mit ihren Überzeugungen und Motiven in den historischen Zusammenhang gestellt. Der allgemeine Teil der Ausstellung versammelt 44 Biographien prominenter Künstler und ist in den Räumlichkeiten des Baden-Württembergischen Landesarchivs gegenüber der Staatsoper ausgestellt. Konfrontiert mit der Dokumentation dieses Exodus prominenter Künstler, dringt wieder einmal schmerzlich ins Bewusstsein, was Rassenwahn und kunstfeindliche Ideologie im deutschen Kulturleben angerichtet haben. Die nächsten Stationen der Ausstellung werden Darmstadt und Bayreuth sein – man darf auch hier mit neuen Forschungsergebnissen und Dokumentationen vor allem zum jeweiligen regionalen Kulturleben rechnen.

Andreas Kolb

Katalog: Hannes Heer: Verstummte Stimmen. Die Vertreibung der „Juden“ aus der Oper 1933 bis 1945, Metropol Verlag, Berlin 2008
Tondokumentation: Vier CDs enthalten die Tondokumente der Ausstellung (Vertrieb: Membran International)

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner