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Hintergrund

Lehren und Forschen auf dem Schloss

Das Forschungsinstitut für Musiktheater in Thurnau
Institutsleiter Anno Mungen im Gespräch mit Barbara Haack

Das Forschungsinstitut für Musiktheater (fimt) ist eine Forschungsstelle der Universität Bayreuth. Gegründet 1976, hat es seit 1977 seinen Sitz in der historischen Schlossanlage in Thurnau, einer Gemeinde zwischen Kulmbach und Bayreuth. Dokumentation, Forschung und Lehre zählen zu den Aufgaben des Instituts. Barbara Haack sprach für „Oper & Tanz“ mit Anno Mungen, Professor und Leiter des fimt.

Oper & Tanz: Wann und zu welchem Zweck wurde das Institut gegründet? Wie hat es sich bis heute entwickelt?

Anno Mungen. Foto: fimt

Anno Mungen. Foto: fimt

Anno Mungen: Die Gründung des Instituts geht in die 70er-Jahre zurück. Es war damals als eine der vier Säulen der Universität Bayreuth einer der Nischenbereiche, den man stark machen wollte. Zu den Gründungsvätern gehörten Carl Dahlhaus, August Everding und Wolfgang Wagner. Von Anfang an wollte man das Musiktheater auch in seinem performativen Sinn als Forschungs- und Dokumentationsgegenstand berücksichtigen.

Inzwischen ist für uns die Lehre ein wichtiger Bestandteil geworden. Es gibt inzwischen einen guten Austausch zwischen Lehre und Forschung.
Nach wie vor betreuen wir eine Programmheftsammlung für Musiktheater, die wir auch vergrößern wollen. Die anderen Archive haben wir leider erstmal auf Eis gelegt – zumal die mediale Veränderung zum Beispiel mit YouTube so groß ist, dass man sich fragt, ob das noch etwas bringt. Mit unserem Stellenplan können wir die Dokumentationsaufgaben nicht mehr bewältigen.

O&T: Wie ist die Trägerstruktur, und wie werden Sie finanziert?

Mungen: Wir sind inzwischen eine Forschungsstelle innerhalb der Universität Bayreuth und werden somit im Wesentlichen vom Land finanziert. Inzwischen finanzieren wir uns auch mehr und mehr über Drittmittel. Wir haben einen Personalstamm von dreieinhalb Stellen, dazu kommen Drittmittelstellen, derzeit sind es drei.

O&T: Woher kommen diese Drittmittel – von Institutionen, die an bestimmten Themen Interesse haben?

Mungen: Das ist seltener, passiert aber auch. Das Staatstheater Nürnberg hat zum Beispiel eine Anschubfinanzierung für unser Nürnberg-Projekt gegeben. Der Haupt-Drittmittelgeber für die Geisteswissenschaften ist aber die Deutsche Forschungsgemeinschaft.

O&T: Sie sind also Teil der Universität Bayreuth, aber ein eigenes Institut. Sie sitzen ja auch nicht direkt in Bayreuth.

Mungen: Genau. Wir sind in einem Schloss untergebracht, das wunderschön ist und wirklich auf dem Land liegt. Aber wir haben einen engen Kontakt zum Campus. Wir haben hier die Möglichkeit, aus der Peripherie, wo ja kein Musiktheater stattfindet, immer wieder in die Zentren des Musiktheaters zu schauen. Wir machen mit den Studierenden Exkursionen und Forschungsreisen, wir fahren zu Konferenzen und besuchen Archive.

O&T: Ihr Ziel ist die Vermittlung zwischen Wissenschaft und Praxis. Wie genau machen Sie das?

Mungen: Dieser Ansatz ist im deutschsprachigen Raum und im deutschsprachigen Ausbildungssystem einzigartig, weil wir Musikwissenschaft und Theaterwissenschaft zusammenbringen: zwei sehr unterschiedliche Fächer in den methodologischen Ausrichtungen, obwohl sie Ähnliches betrachten. Wir schauen die Oper auch unter Aufführungsaspekten an.

Wir haben verschiedene Kooperationen, zum Beispiel mit dem Staatstheater Nürnberg, mit der Komischen Oper Berlin oder mit dem Theater Coburg. Bei vielen Theatern ist das Interesse groß.

O&T: Können die Studierenden von Anfang bis Ende bei Ihnen studieren oder ist das nur ein Baustein des Studiums, den Sie anbieten?

Mungen: Man kann bei uns den Bachelor „Musiktheaterwissenschaft“ und den Master „Musik und Performance“ machen und auch promovieren. Manche Studierende gehen für den Master weg und kommen zur Promotion wieder zurück.

Die zentrale Schnittstelle ist, dass uns die Präsenz von Aufführung interessiert und wir gleichzeitig ein Verständnis von Musiktheater in einem sehr weiten Sinne haben.

O&T: Sie sitzen zwar in der Peripherie, aber immerhin in unmittelbarer Nähe des Grünen Hügels und beschäftigen sich auch mit Richard Wagner.

Mungen: Das Thema Wagner beschäftigt uns natürlich nicht nur wegen des Ortes. Wir versuchen, nicht unbedingt die eingetreten Pfade der Wissenschaft zu gehen, sondern auch innovativ zu sein, was gerade in der Wagner-Forschung und bei den Wagner-Institutionen manchmal nicht so gut ankommt. Aber es ist auf jeden Fall ertragreich.

Wir haben im Kontext des Jubiläums 2013 zwei Bände vorgelegt, „Wagner World Wide 2013“. Wir haben uns dabei für den „globalen Wagner“ interessiert. Das betraf auch technische Fragen, eben das World Wide Web: Was passiert eigentlich wirklich im Hinblick auf eine Perspektivierung Wagners? Verändert sich das, oder ist es konservativ? Letzteres ist interessanterweise der Fall. Die alten Themen werden immer wieder repetiert, aber man kommt nicht weiter, obwohl Wagner bei allem, was problematisch ist, unglaublich viel anbietet, was künstlerisch spannend ist.

O&T: Konservativ hinsichtlich der Forschung oder hinsichtlich der Aufführung?

Mungen: Konservativ hinsichtlich der Forschung. Die Aufführungsgeschichte bei Wagner bis hin zu Castorfs Bayreuther „Ring“ halte ich für sehr viel innovativer. Es ist schon sehr spannend, dass Wagner offensichtlich etwas anbietet, was dann zu einem Projektionsfeld wird und ganz unterschiedliche Ansätze, zum Beispiel Chereau, Schlingensief oder Castorf zulässt.

O&T: Arbeiten Sie mit den Bayreuther Wagner-Institutionen zusammen?

Mungen: Das ist nicht immer ganz einfach. Wir haben das gerade am Anfang versucht und waren auch erfolgreich; derzeit ist da nicht viel möglich.

O&T: Was eigentlich kaum verständlich ist…

Mungen: Das denke ich auch. Die Festspiele vertreten aber offensichtlich die Auffassung, dass sie das nicht brauchen. Für andere Institutionen, mit denen wir zusammenarbeiten, ist die Kooperation mit uns sehr ertragreich.

O&T: Ihre Forschungsprojekte bilden einen wesentlichen Schwerpunkt Ihrer Arbeit. Wie entwickeln Sie die Ideen zu diesen Projekten?

Mungen: Die zentrale Schnittstelle ist, dass uns die Präsenz von Aufführung interessiert und wir gleichzeitig ein Verständnis von Musiktheater in einem sehr weiten Sinne haben. Musiktheater ist eben nicht nur die Aufführung einer Oper, sondern auch zum Beispiel Straßenmusik – dazu hatten wir mal eine Masterarbeit –, weil da ganz bestimmte Aspekte zusammenkommen: Die Musik spielt eine ganz wichtige Rolle, ein Raum wird gesellschaftlich ausgefüllt, das Visuelle hat eine große Bedeutung. Dadurch sind wir in der Lage, auch andere Phänomene zu untersuchen, die sonst schnell durchs Raster fallen. So arbeiten andere Disziplinen nicht, weder die Theater- noch die Musikwissenschaft. Das sehe ich als eine große Stärke. Die konkreten Themen entwickeln sich vor allen Dingen durch die Forschungsinteressen hier im Haus. Die Qualität und das Engagement der Mitarbeiter sind sehr hoch. Gerade haben wir eine Initiative zum Thema künstlerische Forschung und Musiktheater gestartet. Wir veranstalten ein Seminar zur künstlerischen Forschung in zwei Teilen. Der erste ist ein Theorie-Teil; im zweiten erproben die Studierenden das dann in Projekten, aber immer im Bezug zur Wissenschaft.

O&T: Das heißt, dass sie selbst Musiktheater machen?

Mungen: Ja. Die Idee der künstlerischen Forschung ist die, dass es einen unmittelbaren Austausch zwischen dem Praxiswissen und dem theoretischen Sich-Beschäftigen mit Musiktheater gibt. Dafür muss man selber Aufführungen herstellen oder sich Künstler einladen, die sie herstellen. Über diese Aufführungen können wir ganz anders reflektieren, als wenn wir nur von außen eine Aufführung anschauen.

O&T: Was wird aus den Studierenden nach Ende des Studiums?

Mungen: Sie gehen zum Beispiel in die Dramaturgie oder in die Theaterpädagogik oder auch in die Wissenschaft. Einige Absolventen unseres Hauses sind inzwischen schon Professoren.

O&T: Zurück zu den Forschungsprojekten. Eines heißt „Musik – Stimme – Geschlecht“. Worum geht es da?

Mungen: Das Projekt hat es sich zur Aufgabe gemacht, Aufführungen anzuschauen, die historisch weit zurückliegen. Wir weisen auf die Aufführungsperspektive hin, grade im Blick auf Sänger und Sängerinnen. „Aufführen“ ist dann im weitesten Sinne zu verstehen, also nicht nur das unmittelbare Singen einer Arie, sondern auch das Herstellen einer Identität. Wenn zum Beispiel eine bestimmte Sängerin im 19. Jahrhundert auf der Bühne stand, hatte das eine Bedeutung für das Frauenbild. Das zeigt sich ausdrücklich am Stimmlichen, also an der Art, wie sie bestimmte Rollen oder bestimmte Dinge sang. Das untersuchen wir mit Hilfe von Quellen wie Rezensionen aus den Zeitungen, aber auch mit Partituren, die für diese Sängerinnen speziell geschrieben wurden. Auf diese Weise können wir etwas zu Geschlechterkonstruktionen im 19. Jahrhundert sagen.
Dabei gab und gibt es zwei Teilprojekte. Im ersten ging es um die hohen Stimme im 17. und 18. Jahrhundert. Meine Kollegin Saskia Woyke hat die Kastratenzeit untersucht und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die hochsingenden Frauen in dieser Zeit mit einem ähnlichen Anspruch angetreten sind und auch ähnlich wichtig waren wie die Kastraten. Es ging vor allem um das hohe Singen, weniger um die Tatsache, ob ein Kastrat oder eine Frau sang. Warum war das so? Weil man mit diesem hohen Singen glaubte, näher bei Gott zu sein. Dies durchaus auch in nicht-sakralen Zusammenhängen, zum Beispiel in der Oper. Später übernahmen Frauen allein diese Funktion und dann auch Männerrollen. Man stellt sich das 19. Jahrhundert häufig schwarz-weiß vor, aber da gibt es durchaus auch Schillerndes.

 

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