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Portrait
Rabauken und Heinzelmännchen
20 Jahre Kinderoper Köln
Kinder sind ein ehrliches Publikum, sagt man gemeinhin. Und ein gnadenloses. Das trifft vielleicht mal mehr oder mal weniger zu, aber ein Körnchen Wahrheit ist vermutlich dran, auch daran, dass für ein Kinderpublikum zu spielen viel schwerer sei als für Erwachsene. Denn die Rückmeldungen, die von Kindern kommen, sind zumeist direkter, ungefilterter, unmittelbarer. Genau diesem Publikum hat sich die Kölner Kinderoper verschrieben, inzwischen seit 20 Jahren.
Die „Heinzelmännchen“ mit Dino Lüthy und Maria Kublashvili. Foto: Paul Leclaire
Am Anfang war sie noch Stein des Anstoßes, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn erste Spielstätte war die sogenannte Yakult-Halle: ein riesiges Schiff, das unübersehbar im Foyer des alten Opernhauses am Offenbachplatz thronte. Daran störte sich so mancher Operngänger, der die architektonischen Schönheiten des von Wilhelm Riphahn entworfenen Baus bedroht sah. Doch setzte man sich in Köln auch mithilfe eines neu gegründeten Fördervereins erfolgreich gegen alle Zweifler durch und hob als erstes Opernhaus überhaupt eine Institution aus der Taufe, die Geschichte schrieb. Und eine erfolgreiche obendrein.
Denn wenn man Nicola Osmers, die Pressereferentin der Oper, nach den Auslastungszahlen fragt, lautet die Standardantwort: ausverkauft! Auch Karten für die 15 Vorstellungen der Jubiläumsproduktion „Die Heinzelmännchen zu Köln“ sind seit Wochen nicht mehr zu bekommen. Das Interesse ist noch viel größer als der ungebrochene Run auf die Karten. Davon kann man im großen Haus, wie an vielen anderen Opernhäusern auch, nur träumen. Es zeigt mehr als deutlich: Der Bedarf ist da. Derzeit ist die Oper im Staatenhaus der ehemaligen Kölner Messe untergebracht, da der Riphahn-Bau renoviert wird. Ende offen. Das Renovierungs-Desaster, das bundesweit Schlagzeilen machte, ist für die Kinderoper ein doppelter Schlag ins Kontor, denn eigentlich könnte man die neue Spielstätte unterhalb des großen Opernhauses schon nutzen; sie ist so gut wie fertig. Allein der Stillstand auf der großen Baustelle verhindert dies.
Damit sei man dann außer Moskau das einzige Opernhaus mit einer eigenen Spielstätte für die Kinderoper, wie Brigitta Gillessen, Leiterin der Kinderoper, und Rainer Mühlbach, Leiter des Internationalen Opernstudios und musikalischer Leiter vieler Produktionen der Kinderoper, betonen. Das kann man auch als Belohnung für die kontinuierliche Arbeit sehen, die man seit 20 Jahren betreibt und die noch lange nicht am Ziel ist. Nicht zuletzt auf Betreiben von Birgit Meyer, der Intendantin des Hauses, wird die Kinderoper auch in Zukunft eine noch bedeutendere Rolle im Portfolio der Kölner Oper spielen.
„Irgendwie anders“: Mobiles Musiktheater für die ganz Kleinen von Brigitta Gillessen und Ralf Gscheidle. Foto: Paul Leclaire
Brigitta Gillessen ist nach Stationen in Berlin, Linz und Düsseldorf seit 2014 Leiterin der Kinderoper. Der derzeit unkonventionellen räumlichen Situation kann sie durchaus etwas abgewinnen: „Der Raum ist irrsinnig groß, und diesen Raum nutzen wir. Der Schritt aus dem Pfandhaus heraus war auch eine Chance, nochmal größer zu denken“, sagt sie auch im Hinblick auf die Enge der vorherigen Interimsspielstätte in einem historischen Gebäude. „Nach Jahren der Provisorien haben wir nun Platz satt.“ Es gebe immer neue Möglichkeiten für die Bühne, immer neue Varianten, die man ausprobieren könne. „In anderen Sälen des Provisoriums im Staatenhaus bleibt es immer eine Herausforderung akzeptable akustische und szenische Lösungen zu finden“, findet auch Rainer Mühlbach. Bestuhlung und Bühne sind dort fest, Regisseure müssen Konzepte um die Gegebenheiten herum entwickeln. Da sei man in der Kinderoper flexibler.
Aber warum leistet man sich überhaupt eine Kinderoper? „Wenn die Kinder früh mit Oper in Kontakt kommen, sind die Feuer und Flamme“, weiß Mühlbach zu berichten. „Ein ganz wichtiger Aspekt ist natürlich, dass wir unser zukünftiges Publikum heranziehen möchten, von Kindesbeinen an“, ergänzt Gillessen. Bereits ab dem zarten Alter von drei Jahren will man die neue Zielgruppe ansprechen, zunächst mit kleinen mobilen Produktionen, die Kindergärten besuchen. „Viele Personen waren seit ihrer Schulzeit in der Kinderoper und sind heute begeisterte Opernfans. Das ist einfach eine Investition in die Zukunft.“
Rainer Mühlbach ergänzt einen anderen interessanten Aspekt: „Viele Eltern, die mit ihrem Nachwuchs in die Kinderoper kommen, begeistern sich infolgedessen für die Oper und gehen dann auch ins große Haus.“ Ein ganz wichtiger Aspekt dabei sei generell die Vorbereitung. Kinder, die gut vorbereitet seien, gingen oft voll mit, die anderen, nicht vorbereiteten, fänden es dagegen nicht selten langweilig. Längerfristiges Interesse sei aber nur über das Elternhaus zu erreichen: „Das schaffen wir mit unseren Mitteln nicht. Es ist schwierig, die Kinder über einen längeren Zeitraum zu erreichen, wenn die Eltern das nicht mittragen.“ Um dies zu erreichen setzt man auf ein breites Angebot, das für jeden etwas bereit hält: Barock, Jazz, zeitgenössische Musik und viele eigens für die Kinderoper komponierte oder eingerichtete Stücke. Mühlbach: „Es gibt nicht so viele Kinderopern, die man einfach nehmen und so spielen kann, wie sie sind. Wir bauen uns fast immer unsere Stücke selber.“ Je nachdem eben, um welches Stück es sich handelt und welche Zielgruppe man erreichen will.
In Köln legt man aber nicht nur Wert auf eine kindgerechte Aufbereitung der Stoffe. Man profitiert auch von der Möglichkeit, mit gleich mehreren renommier-ten Institutionen zusammenarbeiten zu können: dem Gürzenich-Orchester, dem Kölner Domchor, den man vor allem im Großen Haus bei Produktionen hinzuzieht, die einen Chor verlangen, und dem Internationalen Opernstudio. Hier haben junge Nachwuchstalente die Gelegenheit, erste Opernerfahrungen zu sammeln. „Die Sänger sind unheimlich neugierig und begeistert. Sie sagen immer, dass man so unheimlich viel darüber lernt, wie Bühne funktioniert und wie man sich präsentieren muss“, so Gillessen. In der Kinderoper sind sie zudem die Hauptdarsteller, während sie im großen Haus Nebenrollen übernehmen.
Eines ist bei Groß und Klein aber immer gleich: die Faszination, die das Medium Oper auslöst. „Diese sinnliche Erfahrung, mit Sängern, in einem Raum, und das eine Stunde ohne Werbeunterbrechung“, so Brigitta Gillessen, sei völlig entgegengesetzt zu heutigen Gewohnheiten. Toll sei auch die Offenheit der Kinder: „Die Neugier und die Unvoreingenommenheit sind enorm. Man kann alles spielen, Kinder werten das nicht und sind vollkommen offen. Für mich als Regisseurin ist das auch eine Herausforderung, die Geschichten so zu erzählen, dass sie für Kinder frisch und authentisch sind.“
Die Rückmeldungen der Kinder sind für die Verantwortlichen der Kinderoper enorm wichtig, „weil man im Laufe so einer Produktion ja auch mal betriebsblind wird. Wir versuchen immer den Austausch zu finden um nachzujustieren“, so Mühlbach. „Es ist eine besondere Art von Authentizität, für die man ein sofortiges Feedback bekommt.“ Da gibt es dann durchaus mal brenzlige Situationen, wenn etwa kleine Rabauken die Sänger während der Vorstellung an ihrer Kleidung ziehen. So manche spontane Reaktion vergisst man garantiert nicht: „Ein Junge konnte sich bei einer Vorstellung der Heinzelmännchen nicht mehr halten. Der ist auf die Bühne gerannt und hat den Oberheinzelmann ganz inniglich umarmt. Das hat mich so gerührt. Das Stück hat ihn so gepackt, der konnte sich wirklich nicht mehr halten“, berichtet Nicola Osmers.
Ähnlich begeistert war das Publikum bei der Premiere der Produktion „Die Heinzelmännchen zu Köln“ des Kölner Komponisten Ingfried Hoffman. Die eigentliche Geschichte ist recht kurz, doch Hoffmann hat eine ansprechende Story rund um die Originalgeschichte gestrickt und flotte Musik dazu geschrieben. Die spart nicht mit Anspielungen auf bekannte Werke und jongliert gekonnt mit genretypischen Versatzstücken. Insgesamt ist so ein kindgerechtes Stück entstanden, an dem auch ältere Zeitgenossen ihre Freude haben dürften.
Eine Jazzband unter der Leitung von Rainer Mühlbach spielt ebenso knackig wie frisch, das Sängerensemble des Internationalen Opernstudios singt tadellos, was will man mehr. Eine würdige Jubiläumsproduktion.
Guido Krawinkel |