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Giacomo Meyerbeers »Die Hugenotten« an der Deutschen Oper Berlin
Mit Bildern von religiös motivierter Gewalt in aller Welt sind wir heute fast täglich konfrontiert. Umso aktueller erscheint Giacomo Meyerbeers Oper „Die Hugenotten“, in deren Zentrum die blutige Pariser Bartholomäusnacht 1572 steht. Die Ermordung tausender französischer Protestanten durch Katholiken markierte damals den Höhepunkt der Religionskriege zwischen den beiden Konfessionen. In einer spannungsreichen Inszenierung des amerikanischen Regisseurs David Alden hat die Deutsche Oper Berlin Meyerbeers fünfaktiges Mammutwerk mit exzellenten Solisten auf die Bühne gebracht, sozusagen zum Auftakt des Reformationsgedenkjahres 2017.
Marc Barrard als Graf von Nevers, Juan Diego Florez als Raoul von Nangis. Foto: Bettina Stöß
Gleich zu Beginn erklingt der Luther-Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“, der die gesamte Oper wie ein Wag-nersches Leitmotiv durchzieht. Meyerbeer gibt dem Kirchenlied in der Ouvertüre operettenhafte Züge und steigert es dann zu dramatischer Intensität. In dem Moment offenbart sich bereits der doppeldeutige Charakter von „Die Hugenotten“. In einer ausgelassenen Atmosphäre, die an die Opéra Comique erinnert, geht der Adel zunächst seinen frivolen Vergnügungen nach. Doch die Tragödie nimmt unerbittlich ihren Lauf.
Meyerbeer, der seine Oper auf ein Libretto von Eugène Scribe und Emile Deschamps komponierte, verknüpft das Religionsdrama mit einer fiktiven Liebesgeschichte. Auf der von Alden zu einem Kirchenraum stilisierten Bühne begegnen sich der protestantische Edelmann Raoul von Nangis (Juan Diego Flórez) und die Katholikin Valentine von Saint-Bris (Olesya Golovneva). Mit ihrem fein timbrierten, leuchtenden Sopran erscheint die russische Sopranistin als ideale Besetzung für die Rolle der Grafentochter, die für ihre Liebe zu Raoul zu allen Opfern bereit ist. Ihr zur Seite steht der peruanisch-österreichische Startenor Flórez, der mit seiner klar geführten, intonationssicheren Stimme das Publikum zu Beifallsstürmen hinreißt, auch wenn der in Leidenschaft entbrannte Raoul vor allem in der Höhe stellenweise etwas zu kühl und metallisch klingt. In der von der Viola d‘Amore begleiteten Romanze „Ah! Quel spectacle enchanteur ...“ wirkt er sogar recht blass. Je weiter sich die Handlung aber ihrem dramatischen Höhepunkt nähert, desto mehr entfaltet der Tenor seine Strahlkraft.
Königin Marguerite de Valois, die durch die eigene Heirat mit dem hugenottischen König Heinrich von Navarra eine Aussöhnung zwischen den Religionen herbeizuführen hofft, will nun ihre Hofdame Valentine mit Raoul vermählen. Die italienische Sopranistin Patrizia Ciofi, die mit ihrer leichten, agilen Stimme im Belcanto-Fach brilliert, gibt hier mit komödiantischem Gespür eine überspannte Königin, die in einer Szene sogar auf einer riesigen Pferdestatue reitet, während sie ein Champagnerglas schwenkt.
Überhaupt sorgt Alden auf der Bühne für viel Bewegung, ohne die oftmals schmale Grenze zum Klamauk zu überschreiten. Leichtbekleidete, mit Luftballons geschmückte Tänzerinnen schwingen ihre Beine vor einer Männergesellschaft, die in Frack, Zylinder oder Uniformen in der Entstehungszeit der Oper im 19. Jahrhundert zu verorten ist.
Derek Welton als Graf von Saint-Bris, Chor der Deutschen Oper Berlin. Foto: Bettina Stöß
Eine besonders beeindruckende Leistung zeigt der Regisseur bei den Massenszenen mit dem hervorragend agierenden Opernchor unter Leitung von Raymond Hughes. Unter einem großen Transparent mit dem Schlachtruf „Dieu le veut“ (Gott will es) recken die vom Grafen Saint-Bris (Derek Welton) angeführten stimmgewaltigen Katholiken bei der Schwerterweihe die Fäuste in die Luft. Sturmglocken kündigen das Massaker an. Tausende Hugenotten, die anlässlich der Hochzeit der Königin mit Heinrich von Navarra nach Paris gekommen waren, werden brutal niedergemetzelt. Mit lodernden Feuerkreuzen setzt Alden auf der Bühne eindringliche visuelle Akzente.
Raoul, der seine Glaubensbrüder nicht mehr rechtzeitig warnen kann, sitzt selbst in der Falle. Valentine versucht ihn vergeblich davon zu überzeugen, sich mit einer weißen Armbinde als Katholik auszugeben. Schließlich tritt sie zum Protestantismus über, um mit dem Geliebten zusammenbleiben zu können. Die Trauung vollzieht Raouls Diener Marcel, dessen abgründige Partie der kroatische Bass Ante Jerkunica mit Bravour gestaltet. Marcel, der im ersten Akt mit dem Hugenottenlied „Piff, paff, piff, paff“ aggressiv zum Kampf gegen die Katholiken aufgerufen hatte, segnet nun das ungleiche Paar („Savez-vous qu’en joignant vos mains“). Der Chor der in der Kirche versteckten Protestanten stimmt unterdessen wieder den Luther-Choral an. Tragischerweise wird Valentine gemeinsam mit Raoul und Marcel von Soldaten getötet, die unter dem Befehl ihres ahnungslosen Vaters stehen. Vorher zelebrieren Raoul und Valentine ihre Liebe in dem anrührenden Duett „Tu l’as dit: oui, tu m’aimes“. Wie Romeo und Julia bleiben auch sie im Tod vereint.
Am Ende der Vorstellung gibt es begeisterten Applaus für Sänger, Chor und das unter Michele Mariotti transparent und flexibel spielende Orchester der Deutschen Oper. Nur vereinzelte Buhrufe gehen an die Adresse der Regie. Trotz der stattlichen Länge des Werks ist die Spannung bis zum letzten Ton erhalten geblieben. Mit „Die Hugenotten“ hat das Haus seinen 2015 mit „Vasco da Gama“ begonnenen Meyerbeer-Zyklus fortgesetzt. In der kommenden Spielzeit soll „Der Prophet“ auf den Spielplan kommen.
Corina Kolbe |