Hintergrund
Projekte für die Ewigkeit?
Sanierungen im Theaterbereich
Nicht nur Elbphilharmonie, Stuttgart 21 und Berliner Flughafen – auch ganz normale Theaterprojekte werden in den Medien oftmals mit Schlagworten wie Kostenexplosion, Terminverzögerung, Baustopp, Panne oder gar Skandal betitelt. Warum die Sanierung von Opern- oder Schauspielhäusern keine Routine-Aufgabe darstellt, wie derartige Projekte abgewickelt werden und welche Faktoren zu Kostensteigerungen und zeitlichen Verzögerungen führen können, will dieser Artikel auch für den Bau-Laien darstellen.
Der holprige Start
Theater Ulm: Sanierung des Drehscheibenwagens auf der Hauptbühne. Foto: Peter Perkovac
Unsere Theatergebäude sind in die Jahre gekommen. Neubauten sind die Ausnahme, es wird repariert, umgebaut oder saniert. Aber was ist tatsächlich nötig? Intendanten, Verwaltungsdirektoren und Technische Leiter der Theater sehen den Bedarf in der Regel deutlich anders als Kulturreferent, Baudezernat oder gar der Kämmerer. Während erstere den Stellenwert des Hauses in funktionierender, moderner Technik und repräsentativer Architektur widergespiegelt sehen möchten und für umfassende Maßnahmen plädieren, haben Letztere dafür oftmals keine Mittel, andere Prioritäten oder einfach nicht die politische Rückendeckung.
Spätestens aber, wenn der Regen durch das Dach rinnt, die Heizkosten die Künstlergagen übersteigen, Sachverständige Anlagen stilllegen oder gar schwere Unfälle durch technische beziehungsweise bauliche Mängel entstehen, wird der Ruf nach Reparatur oder Sanierung unüberhörbar – dann meistens zu spät.
Schließlich will ein solches Projekt von langer Hand vorbereitet und geplant sein. Und dafür braucht es Spezialisten, die das können – und die warten nicht gerade vor dem Theater auf den Auftrag.
Die „richtige“ Entscheidung
Warum ein Hauhaltsgerät wegwerfen, wenn es mit einer einfachen Reparatur oder einem Ersatzteil für wenige Euro noch funktioniert? Im privaten Haushalt treffen wir die erforderlichen Entscheidungen nach Geldbeutel und Geschmack, oftmals aus dem Bauch heraus. Wer aber überschaut ein Theatergebäude mit all seinen baulichen, haus-
technischen und theatertechnischen Anlagen so weit, dass eine Entscheidung über Generalsanierung, Teilsanierung, Mindestsanierung, Sofortmaßnahmen oder simple Reparaturen getroffen werden kann? „Aus dem Bauch heraus“ ist eine solche Entscheidung nicht ratsam.
Das Sanierungsgutachten
Wenn eine größere Maßnahme unvermeidbar wird und die politischen Gremien den Start eines Sanierungs- oder Bauprojekts beschließen sollen, lautet die erste Frage: Wie teuer ist das? Was funktioniert noch, was kann repariert und was muss ersetzt werden? Welche Ausstattung benötigt das Theater? Und wie wird es sich in Zukunft orientieren?
Die derzeit vermutlich „prominenteste“ Sanierungsbaustelle ist die der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Zuschauersaal. Fotos: Christian von Steffelin / (c) SenStadtUm Berlin
Hierzu wird in der Regel ein Gutachten in Auftrag gegeben, bei dem ein Team von externen Spezialisten auf der Grundlage von Bauunterlagen, Wartungsbüchern, Prüfberichten und Gesprächen mit den technischen Abteilungen eine erste Budgetschätzung erstellt. Dabei werden Betrieb und Organisation analysiert, Varianten und Optionen geprüft, zu erwartende (Rest-)Lebensdauern für die einzelnen Systeme abgeschätzt und angeglichen sowie die notwendigen Zeiträume für die Maßnahmen kalkuliert.
Bau- und Kulturausschüsse, Dezernenten, Fraktionen, die Spitzen der Politik und zu guter Letzt der Stadtrat oder Landtag befassen sich mit dem Gutachten, bevor sie entscheiden. Angesichts der hohen finanziellen Lasten brauchen viele Umbauprojekte hier mehrere Anläufe und lange Diskussionen, bis ein politischer Konsens gefunden wird. Das dauert oft länger als die eigentliche Planung des Projekts.
Unnötige Planer?
Im nächsten Schritt werden die Planer im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung ausgewählt: Architekten, Statiker, Planer für die Haustechnik, die Elektrotechnik und die Bühnentechnik sowie Sonderfachleute für Brandschutz, Akustik, Bauphysik, et cetera. Auch das kann einige Monate dauern.
Wozu braucht es diese Planer? Bei komplexeren Maßnahmen ist es ihre Aufgabe, die Einbauten, Abläufe und Sicherheitsmaßnahmen zu koordinieren und vor allem eine einheitliche Grundlage für die Angebote der ausführenden Firmen zu schaffen. Denn das öffentliche Vergaberecht erfordert einen Preiswettbewerb für Baumaßnahmen – so dass diese Vergabe wiederum mindestens vier, eher sechs Monate dauert.
Reicht das Geld?
Ob das ursprüngliche Budget reicht, hängt neben der Genauigkeit bei der Kostenermittlung von vielen nicht beeinflussbaren Faktoren ab: Rohstoffpreise, Lohnsteigerungen, Energiekosten, Konjunkturverlauf, erweiterte Planungsumfänge, erhöhte Standards sind offensichtliche Faktoren. Gerade auf dem Markt der Theatersanierungen kommt noch hinzu, dass sich die Kapazitäten der Anbieter bei den Spezialanlagen auf den normalen Bedarf eingestellt haben. Falls dann in Mitteleuropa mehrere große Opernhäuser zugleich generalsaniert werden sollen, werden die Kapazitäten knapp und die Preise steigen. Eine zu kurzfristige Planung und Ausschreibung kann demzufolge teuer werden.
Die falschen Firmen?
Dass dann trotz allem gelegentlich Firmen beauftragt werden, die der Aufgabe nicht gewachsen sind, kann viele Gründe haben. Häufig liegt es daran, dass oberstes Ziel bei der Vergabe der günstige Einkauf der Leistungen ist. Weitere Kriterien wie Referenzprojekte, Umsatz, Mitarbeiterzahl und ein spezielles Fachpersonal können für die Auswahl der Fachfirma berücksichtigt werden, sind aber schwierig objektiv zu bewerten und können den Wettbewerb einschränken. Daher werden diese Kriterien nicht immer einbezogen.
Die Risiken des Bauens
Während der Sanierung können Alt-Mängel zu Tage treten, die vorher nicht absehbar waren. Denn schon früher lag es in der menschlichen Natur, „Pfusch am Bau“, Materialmängel oder billig Gebautes möglichst geschickt zu verbergen. Also zeigen sich solche Mängel erst während des Umbaus. Die Folge sind Verzögerungen, gelegentlich gar Baustopps, und intensive Umplanungen. Neue, vorher nicht vereinbarte Leistungen müssen mit den Firmen verhandelt und beauftragt werden. Terminpläne werden geändert – und wieder kostet alles mehr Zeit und Geld. Nicht immer lassen sich Aufträge und die damit verbundenen Kapazitäten exakt planen. Dadurch kann es bei den beauftragten Firmen zu Engpässen kommen. Zeitverzögerungen, Pannen, Mängel und firmeninterne Kostensteigerungen sind die Folge. Nachfolgende Leistungen auf der Baustelle verzögern sich damit ebenfalls. Dabei kann passieren, dass eine andere Firma mit perfekter interner Terminsteuerung in Folge der vorangegangenen Verzögerungen dann ebenfalls Kapazitätsengpässe hat.
Die derzeit vermutlich „prominenteste“ Sanierungsbaustelle ist die der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Umgang. Fotos: Christian von Steffelin / (c) SenStadtUm Berlin
Extrem kritisch ist die Zeit im Frühjahr und Sommer, denn viele Theater können die Wartung an Obermaschinerie und Podienanlagen ausschließlich in der Sommerpause ausführen lassen. Hinzu kommen kleinere und mittlere Reparaturen, Umbauten und Sanierungen. Ab dem Frühjahr sind daher Kalkulation und Vertragsverhandlungen, Terminplanung und -optimierung, Konstruktion, Bestellung, Vorfertigung und schließlich Montage, Inbetriebnahme und Prüfung angesagt – oftmals im Mehrschichtbetrieb. Die Auslastung der Firmen liegt hier bei 100 Prozent oder darüber. Kommen dann nicht geplante Arbeiten auf anderen Großbaustellen in diesem Zeitraum hinzu, ist die Konsequenz klar: Die Kräfte werden „zerteilt“. Und der Zeitplan für die Theatersanierung ist Makulatur.
Gerade bei den innerstädtischen Theaterprojekten mit minimalen Lagermöglichkeiten auf der Baustelle sind alle Handwerker auf funktionierende Just-in-time-Lieferungen von Material, Werkzeug und Baustellenausrüstung angewiesen. Die Hersteller und Großhändler haben ihre Logistikketten darauf eingerichtet. Kommen ausführende Firmen in wirtschaftliche Bedrängnis und stehen daher bei ihren Zulieferern in der Kreide, verzögern sich die Lieferungen oder fallen komplett aus. Die Folge ist klar: stockende Montagetätigkeit, die schließlich ganz zum Erliegen kommen kann.
Ein öffentlicher Bauherr darf aber in einer derartigen Situation nicht einfach die nächste Firma auf die Baustelle holen: Erst muss der ursprüngliche Unternehmer mit Fristsetzung abgemahnt und dann gekündigt werden. Erst wenn diese Kündigung rechtswirksam ist, darf eine Ersatzfirma beauftragt werden – natürlich nicht formlos, sondern nach den Regeln und Fristen der öffentlichen Vergabe (siehe oben). Lediglich bei Gefahr im Verzug oder besonders kleinen Aufträgen sind Vereinfachungen möglich.
Wenn ein Terminplan erst einmal ins Wanken kommt, geraten auch die zuverlässigen Firmen in Schwierigkeiten: Die geplanten Abläufe werden gestört, die Effizienz auf der Baustelle sinkt, Personal und Maschinen sind länger gebunden. Die Vertragstermine, die der Bauherr mit diesen Firmen vereinbart hat, kann er nicht einhalten und muss die Firmen dafür entschädigen.
... es braucht auch Glück
Am Ende eines Sanierungsprojektes sollte es kein böses Erwachen mehr geben. Entstandene Kostensteigerungen, wie zuvor aufgeführt, sind zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt und kalkulierbar.
Durch rechtzeitige und detaillierte Planung und Abstimmung mit den Nutzern, intensive Bestandsuntersuchung inklusive sichtbarer Löcher in Decken und Wänden sowie Reservebudgets für Unvorhersehbares und mögliche Störungen können die Termin-, Qualitäts- und Kostenrisiken eingegrenzt werden. Wenn allerdings zu späte Projektstarts, zu ehrgeizige Terminvorgaben für die Planung, die Bauzeit und die Eröffnung sowie zu enge Budgets vorgegeben werden, braucht es eine Menge Glück, um ans Ziel zu kommen.
Von Thomas zur Lage und Benjamin Wedel
Die Autoren sind Partner bei der Firma LWPI zur Lage Wedel Partnerschaft mbB Beratende Ingenieure. |