Hintergrund
Auf ein Wort mit...
Jens Neundorff von Enzberg, Intendant des Theaters Regensburg
Seit der Spielzeit 2012/2013 ist Jens Neundorff von Enzberg Intendant am Theater Regensburg. Als Dramaturg arbeitete er zunächst in Meiningen und Dresden, wo er auch Künstlerischer Leiter der experimentellen Bühne der Semperoper „kleine szene“ war. In Bonn war er unter anderem Künstlerischer Leiter der experimentellen Musiktheaterreihe „Bonn Chance!“ Ab 2007 arbeitete er als Operndirektor und Musiktheaterdramaturg am Staatstheater Braunschweig. Stefan Moser und Barbara Haack sprachen für „Oper & Tanz“ mit dem Intendanten.
Oper & Tanz: In der Reihe „Auf ein Wort mit…“ haben wir schon Gespräche mit vielen Intendanten geführt, meistens dort, wo es kriselt. In Regensburg kriselt es nicht. Wie schätzen Sie die Situation des Theaters ein?
Jens Neundorff von Enzberg. Foto: Florian Hammerich
Jens Neundorff von Enzberg: Man traut es sich ja fast nicht zu sagen vor dem Hintergrund dessen, was deutschlandweit passiert: Dem Theater geht es richtig gut. Es gibt einen politischen Willen, dass dieses Theater hier stattfindet. Ich erlebe jetzt schon den zweiten Oberbürgermeister, und der Wille ist bei ihm genauso da wie bei seinem Vorgänger. Wir begreifen das aber nicht als Zustand, der uns geschenkt worden ist. Ich habe jedes Mal große Bedenken, wenn ich sehe, wie sich die Theaterlandschaft bundesweit entwickelt. Aber es geht uns im Durchschnitt zu anderen Theatern gut. Wir haben einen gesicherten Etat, und es ist auch immer wieder öffentlich dokumentiert worden, dass das Theater so, wie es ist, gewollt ist.
O&T: Auch mit allen fünf Sparten?
Neundorff von Enzberg: Absolut. Die haben wir enorm ausgeweitet. Wenn man meine Biographie verfolgt, sieht man, dass Theater für Kinder und Jugendliche immer ein großes Thema für mich war. Hier in Regensburg sind wir für diese eigene fünfte Sparte personell sehr gut aufgestellt. Im Februar 2015 haben wir eine eigene Spielstätte dafür bekommen, die wir „Junges Theater“ nennen. Die wurde zwar aus Mitteln des Theaters finanziert, aber die Folgefinanzierung wird von der Stadt mitgetragen. Unser Technischer Direktor behauptet nicht ohne Stolz, dass das eine der modernsten Spielstätten in Bayern ist. Wir haben ein Projekt „Dein:Theater!“. Dabei gehen wir Kooperationen mit derzeit 26 Partnerschulen ein und versuchen, einen Spielplan für verschiedene Altersklassen zu schaffen. Das ist enorm gefragt.
O&T: Lassen Sie uns über eine weitere Sparte sprechen, den Tanz. Sie haben mit Yuki Mori einen renommierten Ballettchef nach Regensburg geholt. Gibt es Pläne, die Sparte auszuweiten, auszubauen, vielleicht personell aufzustocken?
Erfolgreiches Tanztheter mit Yuki Mori, hier mit „Loop“. Foto: Ramin Morady
Neundorff von Enzberg: Der Wille ist auf jeden Fall da. Wir diskutieren momentan die Zuwendung der Stadt für 2017 bis 2022. Wir haben in der Vergangenheit sehr viel für das Kollektiv Orchester getan, quasi vier Stellen mehr geschaffen, und es gibt viele Bereiche, die das genauso vertragen können. Der Tanz zählt für mich dazu. Ich habe Yuki Mori geholt, da kannte ihn kein Mensch. Ihn zu engagieren war für uns beide ein Risiko, für ihn und für mich. Mit einem Newcomer zu kommen, der letztlich auch für eine andere Form von Tanz steht – eben Tanztheater –, war mutig. Dem, was Yuki Mori mit Hartnäckigkeit in den letzten vier Jahren aufgebaut und weiterentwickelt hat, zolle ich Respekt. Immerhin ist das Theater Regensburg 2016 erstmalig für den Theaterpreis DER FAUST nominiert worden, und das in der Sparte Tanz. Das hat Yuki nicht durch Beziehungen geschafft, sondern durch seine Arbeit.
O&T: Sie sagten, Sie haben vier Stellen im Orchester geschaffen. Das ist auch nicht kostenneutral. Wie viele Musiker sind jetzt im Orchester beschäftigt?
Neundorff von Enzberg: Es ist ein B-Orchester mit 60 Stellen. Die sind derzeit nur bis 2017 finanziert, also befristet. Wir müssen erstmal sehen, wie sich die Zuwendung ab 2017 gestaltet.
O&T: Sie legen viel Wert darauf, in die Stadt hineinzuwirken und auf die Menschen und Bürger zuzugehen. Sie veranstalten eine Reihe „Regensburger Gespräche“ hier im Theater. Eine andere Reihe heißt „Auf dem Sofa mit…“.
Neundorff von Enzberg: Ja, das kann man aber nur machen, wenn man spürt, dass die Stadt das auch möchte.
O&T: Das heißt: die Menschen in der Stadt?
„Carmen“ am Theater Regensburg mit Opernchor, Extrachor und dem Cantemus-Kinderchor. Foto: Jochen Quast
Neundorff von Enzberg: Richtig. Ich sage immer wieder gerne, dass das eine sehr theaterfreundliche Stadt ist. Ich habe den Eindruck, dass die Regensburger ihr Theater lieben, was nicht heißt, dass sie mit allem, was das Theater macht, widerspruchslos zufrieden sind. Ich habe auch Situationen erlebt, die durchaus Widerspruch erzeugt haben. Man merkt aber, dass sie schätzen, was hier ist. Es macht uns natürlich auch viel mehr Spaß, wenn wir wissen, für wen wir Theater machen. Die „Regensburger Gespräche“ haben viel mit uns zu tun. Dabei überprüfen wir uns selbst, stellen uns aber auch immer wieder als Theaterträger und Subventionsempfänger zur Diskussion. Beim ersten Regensburger Gespräch, „Wo der Rubel hinrollt: (Irr)wege der öffentlichen Förderung von Kunst und Kultur“, waren auch Leute beteiligt, die eine komplett andere Meinung haben, unter anderem Armin Klein, einer der Autoren des Buchs „Der Kulturinfarkt“. Mir macht es wirklich Spaß, mit Projekten rauszugehen: Im ersten Jahr waren wir auf der Walhalla, im zweiten Jahr waren wir im Steinbruch, im dritten Jahr waren wir im Stadion, dieses Jahr gehen wir in den Hafen. Das ist natürlich immer ein Stück Arbeit, aber es macht Spaß.
O&T: Das Konzept der verschiedenen Spielstätten hat sich seinerzeit zufällig da-raus ergeben, dass das Theater saniert worden ist. Sehen Sie das auch als Möglichkeit, in die Stadt rauszugehen und verschiedene Zielgruppen anzusprechen?
Neundorff von Enzberg: Die Stadt hat damals sehr kluge Entscheidungen gefällt. Es gab wohl den Ursprungsgedanken, das Theater in Regensburg komplett zu schließen. Man ist dann aber auf die Idee gekommen, das Velodrom als Spielraum zu entdecken. Dann waren sie so klug, das Velodrom als zweite Spielstätte zu erhalten. Wir haben im Jahr 184.000 Zuschauer, das könnte ich gar nicht alles hier am Bismarckplatz bespielen, weil es hier nur 540 oder 560 Plätze gibt. Das Velodrom hat 620.
O&T: Stichwort Bürgernähe. Es gibt in Regensburg auch das Bürgertheater. Wie funktioniert das?
Erfolgreiche Musical-Produktion in Regensburg: „The Producers“. Foto: Jochen Quast
Neundorff von Enzberg: Da die Menschen hier sehr theateraffin sind, hat sich das angeboten. Wir haben angefangen mit den Feierlichkeiten zu „350 Jahre Immerwährender Reichstag“. Ich habe damals dem Oberbürgermeister den Vorschlag gemacht, im Rahmen der Feierlichkeiten ein theatralisches Event zu machen und in diesem Kontext eine Bürgerbühne zu gründen. Relativ zeitnah kam dann die Zusage für unser Konzept. Wir haben im Jahr darauf weiter gemacht. Mittlerweile hat sich das Bürgertheater von uns abgenabelt und ist ein eigener Verein geworden. Das Theater Regensburg ist aber immer noch die „Mutter-Sau“, stellt einen Dramaturgen, und wenn da Not am Mann ist, kostümtechnisch oder requisitenmäßig oder auch inhaltlich, stehen wir gerne zur Seite.
O&T: Sie spielen eigenes Theater und beteiligen sich aber auch an Inszenierungen hier im Haus?
Neundorff von Enzberg: Ja, bei „Hans Heiling“ haben wir Open-Stage gehabt, da konnten die Zuschauer entscheiden, ob sie im Verlauf der Produktion auf der Bühne sitzen bleiben oder in den Zuschauerraum gehen. Da war das Bürgertheater komplett involviert.
O&T: Sie haben natürlich Interesse, eine große, breite Öffentlichkeit zu erreichen, auch überregional, sogar international. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Welche Bedeutung hat das Internet für Sie und das Theater Regensburg? Stichwort: Streaming.
Theaterbau am Bismarckplatz. Foto: Jochen Quast
Neundorff von Enzberg: Wir diskutieren das viel, natürlich auch wegen der Rechtsgrundlage. Wir hatten auch mal den Gedanken, das mit einem Partner aus der Stadt weltweit zu vermarkten. Wir sind da aber noch nicht so weit entwickelt. Die Frage ist: Wer schaut gestreamte Sachen im Netz? Ich glaube, dass das Theater die besondere Qualität des Live-Acts hat. Deshalb habe ich diese Idee auch nicht sonderlich forciert. Was die Medien sonst angeht, sind wir gut dabei. Wir nutzen die Distributionsmöglichkeiten, die wir haben, über Twitter, Facebook und so weiter. Aber beim Streaming sind wir sehr zurückhaltend. Vielleicht ist es ein Medium, das sich noch zu entwickeln hat. Ich glaube trotzdem, dass dabei etwas verloren geht.
Wir haben dieses Jahr die Video-Trailer aufgestockt. Interessant dabei war vor allem, dass von den Lehrern sehr häufig die Rückmeldung kam, dass sie sich über die Trailer sehr gut vorbereiten können und schon mal einen guten Eindruck haben. Wir bieten natürlich trotzdem Lehrer-Extra- und Probenbesuche an, aber das kann nicht jeder immer einrichten. Ich dachte lange nicht, dass das für die Theaterpädagogik so nützlich ist.
O&T: Sie übertragen den Ton von Vorstellungen auch auf den Bismarckplatz, also nach draußen.
Neundorff von Enzberg: Das machen wir nicht mehr. Ich bedaure das sehr.
O&T: Wurde das denn von den Menschen angenommen?
Neundorff von Enzberg: Ja, sehr gut sogar. Aber mit einem Kollektiv gestaltete sich die Abstimmung leider kompliziert.
O&T: Aber das war nicht der Chor?
Neundorff von Enzberg: Der Chor nicht. Ich habe manchmal einfach nicht die Zeit und auch nicht die Muße, mich für Dinge zu rechtfertigen, die mir gar nicht zu Gute kommen.
O&T: Nochmal zurück zum Thema Bürgerbeteiligung. Es gibt in Regensburg die „Theaterfreunde“. Daneben haben Sie auch eine Stiftung für das Theater. Wie funktioniert dieses Konstrukt? Wie arbeiten die miteinander und mit dem Theater?
Zweite Spielstätte: Das Velodrom. Foto: Jochen Quast
Neundorff von Enzberg: Die Theaterfreunde sind ein eigener Verein mit über 500 Mitgliedern. Die haben damals das Stiftungskapital von 50.000 Euro zusammengetragen, als Grundstock für die Stiftung Theater. Ich bin in meiner Funktion als Intendant Teil des Stiftungsrates. Es ist eine junge Stiftung. In Regensburg gibt es über 300 Stiftungen, das macht die Sache nicht einfacher. Stiftungen sind langfristige Anlagen, auch in der Akquise und in der Umsetzung der Mittel. Das ist wirklich ein hartes Geschäft. Eine Stiftung kann ja nur das Geld verwenden, das sie als Gewinn bringt. Wo kriegt man heute noch Gewinn, beim momentanen Negativzins? Wir hatten das Glück, dass wir den Grundstock mit einer kleinen Aufstockung langfristig – jetzt leider auslaufend – über fünf Jahre mit einem guten Prozentsatz angelegt hatten. Jetzt sind wir in der Situation, dass nur größere Beträge überhaupt einen Zinssatz kriegen, da sind wir in einem Mäuserad.
O&T: Wie arbeitet der Freunde-Verein?
Neundorff von Enzberg: Die Theaterfreunde sind im täglichen Basisgeschäft vor Ort und unterstützen uns mit ihrem Theaterpreis, mit kurzfristigen Anschaffungen und im Kinder- und Jugendtheater.
O&T: Wie funktioniert die Zusammenarbeit? Ein Freunde-Verein verselbstständigt sich ja auch gerne mal.
Neundorff von Enzberg: Nein, die machen das toll. Das basiert auf einem großen Vertrauensverhältnis.
O&T: Bevor Sie nach Regensburg kamen, sind Sie viel im experimentellen Bereich unterwegs gewesen. Wie sind Ihre Erfahrungen in Regensburg, Ihre bisherigen Programmgestaltungen und Pläne? Wie viel zeitgenössisches Musiktheater kann man in Regensburg machen?
Neundorff von Enzberg: Ich war ja wirklich selbst überrascht, dass sie mich damals gewählt haben. Ich habe aus dem, was ich in der Vergangenheit gemacht habe, keinen Hehl gemacht. Ich habe über acht Jahre lang in Bonn mit „Bonn Chance!“ die größte experimentelle Musiktheaterreihe Deutschlands geleitet. Angefangen hat das eigentlich schon in Dresden, als ich die „Kleine Szene“, die experimentelle Bühne zu verantworten hatte. Es gab damals Jahre, in denen wir nur Uraufführungen gemacht haben. Vieles davon hat sich bis in die Gegenwart gehalten.
O&T: Was motiviert Sie, experimentell zu arbeiten?
Neundorff von Enzberg: Ich habe das immer aus einer großen Lust heraus gemacht. Es ist schön mit Komponisten und Librettisten in Kontakt zu treten, die noch leben, und sie zu fragen, warum sie das überhaupt machen. Es ist ja gegenwärtig eine große Frage: Wohin geht eigentlich die sogenannte klassische Musik?
O&T: Zurück nach Regensburg…
Neundorff von Enzberg: Ich habe natürlich gewusst, dass ich bestimmte Dinge, die ich früher gemacht habe, hier so nicht weiterleben kann. Man macht Theater auch immer für eine Region. Mir war schon klar, dass das hier in Regensburg auf einer anderen Ebene verhandelt wird. Aber wir haben im ersten Jahr mit einer Uraufführung begonnen, „Lola rennt“ von Ludger Vollmer. Da hatten wir eine immense Auslastung. Wir haben dann „Vastation“ gemacht, in Kooperation mit der Münchener Biennale, und die Regensburger sind mitgegangen. Das setzte sich mit „Doktor Schiwago“ fort. Jetzt machen wir „Freax“. Uns ist wichtig, dass wir nicht nur aus der Vergangenheit heraus leben, die uns sehr viel schenkt, sondern auf der anderen Seite versuchen, der Gegenwart etwas zu geben, indem wir auch etwas hinterlassen.
O&T: Ist die Idee dahinter auch, zeitgenössische Musik anzubieten, die noch hörbar ist?
Neundorff von Enzberg: Was ist ein Experiment? Ich finde, alles was man neu macht, ist ein Experiment. Und Musik muss sinnlich wahrnehmbar sein. Das kann aber auch in der Dekonstruktion stattfinden. Diese sinnliche Ebene muss aber für mich persönlich vorhanden sein. Wenn Musik nicht mehr berührt, dann resultiert sie aus einem Selbstzweck heraus, da trifft sie kein Publikum mehr und muss sich fragen: Was soll sie überhaupt noch?
O&T: Jetzt wagen Sie sich an „Freax“ von Moritz Eggert. In Bonn haben Sie damals den Konflikt mit Christoph Schlingensief hautnah miterlebt.
Neundorff von Enzberg: Die „Freax“ sind eine Geschichte, bei der ich dachte: Das bin ich dem Moritz schuldig. Ich fand es damals sehr schade, dass es nicht stattgefunden hat. Schon damals konnte ich die Gründe von Christoph Schlingensief nachvollziehen. Das Ärgerliche war nur, dass er das zu spät gemerkt hat. Wir waren da schon zu weit. Beide, Eggert und Schlingensief, waren damals sehr kooperativ, auch wenn das die Presse gerne anders dargestellt hat. Ich glaube, jetzt haben wir eine Lösung gefunden, das Stück zu erzählen. Schlingensief war einfach zu nah an dem Thema dran. Er sagte: Kranke können keine Kranken darstellen – und wer sind denn jetzt eigentlich die Kranken? Und Gesunde können keine Kranken spielen. Das war für ihn nicht lösbar.
O&T: Aber die Frage hat sich in Regensburg auch wieder gestellt.
Neundorff von Enzberg: Nein, anders. Komplett anders. Wir haben eine Klammer gefunden, haben das Milieu der Kunst zum Zentrum gemacht. Wir wissen doch alle, dass, wenn drei Künstler in einem Raum sind, man nicht davon ausgehen kann, dass die sich alle lieben. Aber sie haben alle das selbe Thema. So werden wir das jetzt in „Freax“ aufziehen. Dass wir rauskommen aus dem Grundsatzgedanken, die einen sind anders und die anderen sind normal. Es ist für mich ein großes Experiment und tatsächlich auch die wichtigste Produktion, seit ich in Regensburg bin, weil sie eine so lange Vorgeschichte hat.
O&T: Das ist alles sehr ambitioniert, wunderbar. In manchen Stücken gibt es ja viele kleine und kleinste Rollen. Manche Häuser besetzen diese mit Gästen, manche auch aus dem Kollektiv. Wie wird das in Regensburg gehandhabt?
Neundorff von Enzberg: Es war immer klar, dass das Ensemble die Basis meines Theaterverständnisses ist. „The Producers“ als aktuelles Beispiel ist komplett aus dem Haus besetzt. Wir haben auch eine „Carmen“ komplett aus dem Haus besetzt. Wir versuchen immer, die Leute weiterzubringen. Das ist nicht immer konfliktfrei, weil die manchmal natürlich Sachen singen wollen, die du nicht so siehst. Andererseits willst du ihnen Sachen geben, von denen sie glauben, dass es nichts für sie ist. Wir haben jetzt 13 Sängerinnen und Sänger. Für mich ist das Ensemble wichtig. Auch für so eine Struktur wie das Stadttheater Regensburg. Es muss eine Basis geben.
O&T: Besetzen Sie kleinere Rollen auch mal aus dem Chor?
Neundorff von Enzberg: Na klar.
O&T: Da gibt es ja auch enormes Potenzial.
Neundorff von Enzberg: Allerdings. Wir haben jetzt einen Sänger im Chor, der könnte eigentlich den Don José singen.
O&T: Wie bewerten Sie denn die Zusammenarbeit mit dem Chor?
Neundorff von Enzberg: Die ist sehr gut. Mit Alistair Lilley als Chordirektor haben wir einen unglaublichen Glücksgriff gelandet. Wir haben einen kleinen Chor mit nur 24 Sängerinnen und Sängern. Die sind aber alle von sehr hoher Qualität. Der Chor ist eine schlagkräftige Truppe.
O&T: Wie stehen Sie zu den Künstler-Gewerkschaften?
Neundorff von Enzberg: Der Gedanke, der dahinter steckt, ist im Grundsatz richtig. Ich glaube nur, dass, wenn so ein Grundsatzgedanke dahinter steht, der Einzelfall in der Regel ausgeschlossen wird. Da fangen die Probleme an. Wenn man nur pauschal urteilt, nicht mehr den einzelnen Gegenstand betrachtet, dann bleibt immer jemand auf der Strecke. Auf der anderen Seite schafft das eine gute Basis, um überhaupt erstmal in den Verhandlungsmodus zu kommen. Es gibt natürlich immer noch die gegensätzlichen Linien: Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Im Grundsatz ziehen sie an einem Strang, haben aber doch unterschiedliche Interessen. Da muss es natürlich Interessenvertreter geben, auf beiden Seiten. Ich finde es manchmal problematisch, wenn dogmatisch verhandelt wird, wenn die Sache, an der wir gemeinsam arbeiten, aus dem Blick gerät, wenn es nur noch um die Wahrung von Interessen geht. Es bleibt dann immer der Gesamtgedanke auf der Strecke. Das ist schwierig. Ich will nicht sagen, dass da immer die Gewerkschaften dran schuld sind.
O&T: Erleben Sie das denn bei den Künstler-Gewerkschaften auch?
Neundorff von Enzberg: Natürlich gibt es Interessenkonflikte. Bis jetzt ist es hier ganz gut gegangen. Ich bin gespannt, was passiert, wenn wir mal wieder größere Konflikte haben. Ich habe in Braunschweig erlebt, dass das Orchester vor der Tür stand und wir haben drinnen eine Oper mit Klavier gemacht. Das fand ich damals sehr verhärtet.
Die Situation an den Theatern momentan ist mehr als ein Flächenbrand. Natürlich ist es richtig, was da momentan diskutiert wird, und natürlich müssen wir über ein Arbeitszeitgesetz und über Mindestgagen diskutieren. Das Problem ist, dass es in den seltensten Fällen die Arbeitgeber sind, die das Geld nicht zahlen wollen, sondern die Geldgeber. Diese Diskussion dringt aber gar nicht bis zu denen vor, weil natürlich die Intendanten immer zwischengeschaltet sind. Die sind aber nur das Gleitmittel für eine Diskussion, die auf einer anderen Ebene geführt werden müsste. Man müsste sich eigentlich gemeinsam an den Tisch setzen und die, die das Theater finanzieren, in die Verantwortung nehmen, also die Kommunen und die Länder.
Meine Hoffnung ist immer noch, dass wir als Gesellschaft das Theater als Teil unseres Erbgutes, unserer Tradition und unserer Kultur verstehen. Ein Bekenntnis dazu wäre wichtig.
Das Interview wurde am 15. Dezember 2016 geführt.
|