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Wuppertal ist etwas Besonderes

Ein Gespräch mit dem zukünftigen Intendanten der Wuppertaler Bühnen, Berthold Schneider

An den Wuppertaler Bühnen vollzieht sich zur kommenden Spielzeit ein Personalwechsel. Berthold Schneider, vormals Operndirektor am Staatstheater Darmstadt, wird neuer Intendant. Julia Jones wurde soeben zur Generalmusikdirektorin ernannt. Schneider hat beschlossen, den von seinem Vorgänger Toshiyuki Kamioka eingeführten Stagione-Betrieb wieder in ein Ensemble-Theater umzuwandeln. Barbara Haack und Tobias Könemann sprachen für „Oper & Tanz“ mit dem zukünftigen Intendanten über seine Pläne.

Oper & Tanz: Die jüngere Vergangenheit des Wuppertaler Theaters war recht bewegt: Sparpläne, Fusion mit Gelsenkirchen, dann Auflösung der Fusion, Schließung des Schauspielhauses und Reduzierung des Schauspiel-Ensembles – und wieder Sparpläne. Dazu kam die Idee Ihres Vorgängers, das Sängerensemble zu entlassen und einen Stagione-Betrieb einzurichten. Mit welchen Erwartungen kommen Sie an dieses Haus?

Berthold Schneider. Foto: Jens Großmann

Berthold Schneider. Foto: Jens Großmann

Berthold Schneider: Man geht ja nicht blind in so eine Bewerbung hinein. Ich war am Anfang relativ skeptisch, weil das Wuppertaler Theater in den Medien in den letzten Jahren wirklich eine problematische Figur gemacht hat. Was mich sehr reizt, ist die Offenheit der Aufgabenstellung – auf der Basis der Grundingredienzen, die man hat, um Theater zu machen: Orchester, Chor und die Theater-Hardware. Die sind in Ordnung. Das ist nicht marode. Es gibt einen schönen Theaterbau mit einer guten Größe für diese Stadt. Ein tolles und großes Orchester, das einen tollen Saal hat für die Sinfoniekonzerte und auf einem sehr hohen Niveau mitspielen kann. Dann haben wir einen kleinen, aber funktionsfähigen und sehr leistungsstarken Chor. Für diese Größe ist der Chor überraschend gut. Damit kann man erst einmal Theater machen. Dann guckt man sich das Geld an und denkt: Oh, das ist nicht so wahnsinnig viel. Aber auch da kann man nicht sagen, man könne damit kein Theater machen. Dann sieht man natürlich auch, dass man ein verunsichertes Theater vor sich hat, ein Theater, das in den letzten Jahren viele Wechselbäder durchlaufen hat…

O&T: … intern verunsichert?

Schneider: Ja. Wenn Sie grundlegende Prinzipienänderungen in einem Theater vornehmen und dann nach kurzer Zeit widerrufen: Das ist wie Rodeo-Reiten. Das ist für die Mitarbeiter natürlich sehr schwierig.
Tobias Könemann: Sie sprechen jetzt konkret vom Umstieg auf den Stagione-Betrieb und dann der Erkenntnis, dass es nicht funktioniert hat. Hat es denn unter Ihrem Vorgänger schon ein Gegenlenken gegeben? Oder stehen Sie jetzt dafür, dass es wieder ins Repertoire zurückgeführt wird?
Schneider: Die zwei Jahre, die Kamioka hier Intendant gewesen sein wird, wird es komplett ein Stagione-Betrieb gewesen sein. Uns geht es jetzt aber nicht darum, den Status quo ante wieder herzustellen. Ich begreife meine Aufgabe vielmehr darin, dass ich die strukturelle Offenheit der Situation dieses Theaters dazu nutze, um mir Gedanken darüber zu machen: Wie sollen denn Theater und Oper im beginnenden 21. Jahrhundert aussehen? Wir haben einen großen finanziellen Druck. Es stellt sich also die Frage: Was brauche ich denn unbedingt? Andererseits: Was würde ich denn gerne machen? Und sind die traditionellen Strukturen, die man hat, immer die richtige Antwort auf die inhaltliche Fragestellung? Das ist für mich als Theatermacher eine ganz faszinierende Frage und eine Situation, die man nicht so oft vorfindet – vor allem nicht so oft gedeckt von der Politik.

O&T: Das heißt, die Freiheit, neu zu gestalten, wird Ihnen hier zugestanden?

Schneider: Ich habe bei der Findung kein Blatt vor den Mund genommen. Ich habe gesagt: Es geht hier nicht darum, das Zeitrad zurückzudrehen. Wir müssen sehen, dass dieses Theater wieder in einen Aufbruch geführt wird, und das kann es nur mit neuen Zielen schaffen. Diese Ziele können nicht sein, dass wir ein Stadttheater des 19. Jahrhunderts imitieren.

O&T: Sondern?

Das Haus der Wuppertaler Bühnen. Foto: Wuppertaler Bühnen

Das Haus der Wuppertaler Bühnen. Foto: Wuppertaler Bühnen

Schneider: Sondern, dass wir schauen, welche Inhalte heutzutage auf der Opernbühne verhandelt werden. Diese werden natürlich im Rahmen der großen Stücke verhandelt. Diese werden aber auch – und das ist der Bereich der Freien Szene – jenseits dessen, was wir im Stadttheater an Produktionsformen finden, verhandelt. Es gibt wichtige Theatermenschen, die nicht im Stadttheater arbeiten. Und es gibt wichtige Impulse, die nicht aus dem Stadttheater kommen.

Könemann: Ich habe Ihre Ankündigungen aber so verstanden, dass Sie zu einem Ensembletheater zurück wollen.

Schneider: Ja. Das ist richtig. Wir sind dabei, ein Ensemble aufzubauen, wir sind da schon sehr weit. Wir brauchen eine sehr spezifische Struktur. Die Analyse von Kamioka teile ich durchaus, dass ein großes Ensemble bei nicht so vielen Spieltagen nicht so viel Sinn macht. Es ist mir sehr bewusst, was ein Stagione-Betrieb leisten kann, und dass dieser auch Vorteile hat.

O&T: Warum funktioniert das in Deutschland trotzdem nicht?

Schneider: Wegen des Publikums. Das Beste am deutschen Theater ist das Publikum. Das Stagione-Prinzip funktioniert dann gut, wenn Sie wenig Leute haben, deren Kunstwunsch Sie mit ein paar hochkarätigen Events befriedigen können. In Deutschland haben wir die wunderbare Situation, dass es viele Menschen interessiert, was wir tun. Wir haben ein Publikum, das immer noch ein breites Spektrum abbildet.

O&T: Sie haben gesagt, es gebe sehr viele Menschen hier, die nicht zum Stadttheater gehören, mit denen Sie kooperieren wollen. Gibt es da schon konkrete Vorstellungen?

Schneider: Ja, das ist sehr konkret. Wir haben ein auf drei Spielzeiten angelegtes Projekt geschaffen, das auf der Idee einer strukturellen Öffnung des Theaters basiert. Da wird ein Bereich geschaffen, den wir nicht hundertprozentig kontrollieren, sondern wo Begegnungen auf Augenhöhe stattfinden.

O&T: Das Tanztheater spielt hier in Wuppertal eine zentrale Rolle – und ist eine eigene GmbH neben den Wuppertaler Bühnen, die auch eine GmbH sind. Wie sehen Sie diese Strukturen? Stört diese Trennung eine Zusammenarbeit? Oder ist sie eher hilfreich?

Schneider: Ich kann sehr gut verstehen, dass das Tanztheater eine eigene Struktur braucht. Das ist ja eine Weltfirma. Die müssen den eigenen Betrieb daraufhin optimieren, dass sie die Anforderungen bewältigen können. Ansonsten halte ich es für sinnvoll, dass man starke Sparten hat, aber unter einem Dach.

Könemann: Das Tanztheater ist ja nun unbestritten von der Person Pina Bausch geprägt. Pina Bausch ist seit einigen Jahren tot. Es wird ja irgendwann vermutlich verblassen. Diese Weltmarke wird es doch in 20 Jahren wahrscheinlich nicht mehr sein…

Schneider: … das ist ja schrecklich, was Sie da sagen.

Könemann: Es ist vielleicht schrecklich, aber doch vielleicht auch nicht ganz realitätsfremd.

Schneider: Vielleicht wird’s ja noch viel besser. Dafür ist Adolphe Binder bestellt worden, das ist eine Hammeraufgabe, wahnsinnig schwer, wahnsinnig komplex.

Könemann: Ist es aber nicht sinnvoll, dass die Sparten hier vor Ort kooperieren, gemeinsame Projekte machen, gerade, wenn Sie jetzt alte Strukturen aufbrechen möchten?

Schneider: Sie haben natürlich total Recht, und wir müssen das ja nicht neu erfinden. Es gab immer ein dynamisches Verhältnis zwischen den Sparten. Ich persönlich kenne Adolphe Binder und freue mich sehr drauf, dass sie kommt. Mich interessiert es total, in welche Richtung sie gehen wird. Und wir werden sicher Gespräche führen und sehen, ob es etwas gibt, das uns gemeinsam interessiert. Aber ich werde den Teufel tun und gleich sagen: „Dein Heil wird darin liegen, dass du jetzt mit der Oper kooperierst!“

Könemann: Das Schauspiel ist schon vor Kamioka auf ein absolutes Minimalensemble abgeschmolzen worden. Wie sieht es da aus, was sehen Sie für Kooperationsmöglichkeiten? Wie sieht Ihre Prognose, auch ihre Kenntnis davon aus, inwieweit das Schauspiel in Wuppertal wieder verstärkt eine Rolle spielen wird?

„Wir machen eines nicht: Wir machen kein Fake-Opernstudio, bei dem Sänger mit lausigsten Gagen bezahlt werden.“

Schneider: Ich verstehe mich sehr gut mit der Intendantin des Schauspiels, Susanne Abbrederis. Es gibt ja auch schon eine Zusammenarbeit. Zum Beispiel ist an der aktuellen Inszenierung von „Tartuffe“ der Opernchor beteiligt. In der ersten Spielzeit wollen wir allerdings erst einmal mit der Oper auf die Beine kommen, und dann schauen wir, was wir gemeinsam machen können. Es gibt allerdings – und nicht nur in Wuppertal – immer das Problem, dass man in diesen Mehrsparten-Strukturen schwer Gemeinsames planen kann, weil man sich sehr schnell gegenseitig lahmlegt. Das ist im Stagione wesentlich einfacher.

Könemann: Die Anzahl der Opern-Vorstellungen in Wuppertal ist ja nicht das, was man normalerweise erwarten würde. Ich weiß es vom Chor: Der würde gerne mehr machen. Werden Sie die Anzahl der Spielabende nennenswert erhöhen?

Schneider: Wir wollen auf jeden Fall mehr spielen! Es wird deutlich mehr und deutlich abwechslungsreicher sein. Das ist natürlich ein Problem des Stagione-Prinzips: die Armut des Spielplans. Wir werden auf der Hauptbühne zwar nur unwesentlich mehr spielen, aber zusätzlich eben an anderen Orten: Wir spielen im Theater im Engelsgarten, wir spielen draußen in der Stadt. Es wird definitiv ein „Mehr“ sein.

O&T: Zurück zum neu zu gründenden Ensemble. Es ist eine eher ungewöhnliche Aufgabe, ein Ensemble von Null auf Hundert einzustellen. Wo finden Sie Leute, die auch finanzierbar sind? Ist es schwierig, alle Positionen gleichzeitig neu zu besetzen, oder ist es eine große Chance?

Der Saal des Theaterhauses. Foto: Wuppertaler Bühnen

Der Saal des Theaterhauses. Foto: Wuppertaler Bühnen

Schneider: Zuerst denkt man erst einmal: „Das ist super, du hast Carte Blanche. Du musst niemanden entlassen oder nichtverlängern.“ Dann fällt einem aber ein: „Wenn Du sonst neu an Häuser gekommen bist, hast du immer Perlen vorgefunden, es waren immer tolle Sänger da.“ Die gibt es hier in Wuppertal nicht. Da hilft mir, dass ich in Darmstadt als Operndirektor vor kurzem einen Intendanten-Neustart begleitet habe, mit dem Neuaufbau eines Ensembles. Vorher habe ich in Saarbrücken als Operndirektor gearbeitet. Von daher kenne ich natürlich viele Sänger. Ich habe dazu noch an der English National Opera gearbeitet. England ist ein Land, das hervorragend ausbildet und sehr wenige Jobs hat. Außerdem haben wir einen sehr guten neuen Chefdisponenten engagieren können, der über Jahre die richtigen Sängerkategorien gehört hat, sodass es uns jetzt, glaube ich, ganz gut gelungen ist, eine Balance zu entwickeln.
Es werden viele junge Sänger sein, die schon mehr oder weniger in den Job reingewachsen sind. Es gibt richtige Anfänger, aber auch ein paar sehr erfahrene Sänger. Und wir wollen weg von der Denke: Es gibt ein Ensemble, und es gibt Gäste. Wir denken an einen Zwischenbereich der Residenzen, das heißt an Sänger, die einen Teil der Spielzeit bei uns sind. Diesen Bereich wollen wir stark ausbauen mit Teilspielzeitverträgen. Ein Sänger ist dann für mehrere Monate Mitglied des Theaters Wuppertal und deckt in diesem Zeitraum mehrere Partien ab. Das heißt, er ist auf der Bühne mehrfach sichtbar. Mit diesem Modell haben wir ein Ausstrahlen in die Stadt hinein. Im Moment merkt man dem Theater und der Stadt an, dass da ein Faden zu zerreißen droht. Es gibt natürlich feste Künstler am Theater, die Musiker des Orchesters und die Chorsänger. Aber Solisten werden nochmal anders wahrgenommen, und das fehlt im Moment. Wir schaffen einen größeren Pool von Sängern, mit denen wir eng zusammenarbeiten. Einige davon werden konstant im Ensemble sein, manche etwas lockerer.

Könemann: Der Deutsche Bühnenverein sagt ja immer, die Vergütungsstruktur im NV Bühne sei genau deshalb so und auch niedrig angesetzt, weil damit solche Möglichkeiten eröffnet werden: dass jemand über die gesamte Spielzeit einen Vertrag hat und nur einen Teil der Spielzeit tatsächlich verpflichtet ist.

Schneider: Wir machen eines nicht: Wir machen kein Fake-Opernstudio, bei dem Sänger mit lausigsten Gagen bezahlt werden und nichts anderes davon haben, als dass sie auf der Bühne stehen dürfen. Wir zahlen nirgendwo an der Tarifkante, sondern sind konsequent darüber. Und die Sänger haben eine soziale Absicherung. Wenn wir einen Sänger für vier Monate ins Engagement nehmen, ist er komplett abgesichert, hat alle Sozialversicherungen.

Könemann: Ihre Pläne stehen auch vor einem finanziellen Hintergrund. Sie haben ja aus finanziellen Gründen statt des üblichen Fünfjahresvertrags erstmal nur einen Dreijahresvertrag erhalten, weil das Theater Wuppertal auch nur so lange ausfinanziert ist. Wie sehen Sie da die Perspektiven? Was gibt es für Möglichkeiten zur Konsolidierung?

Schneider: Ganz konkret geht es bei dieser Begrenzung meiner Vertragslaufzeit um eine jährliche Deckungslücke von 350.000 Euro, von der im Moment keiner weiß, wo sie herkommt. Da laufen im Moment Gespräche.

O&T: Aber für die nächsten drei Jahre sind die Gelder festgeschrieben?

„Es ist sehr beeindruckend, was die Kollegen vom Chor da leisten, und das rettet auch das künstlerische Niveau.“

Schneider: Innerhalb dieser drei Jahre habe ich eine garantierte Summe für den künstlerischen Betrieb, bei dem auch die Tarifsteigerungen aufgefangen werden. Wir haben also keinerlei Absenkung des künstlerischen Volumens. Nach drei Jahren wird es eng für die gesamte GmbH, weil die Tarifsteigerungen dann so drücken werden, dass man nicht weiß, wo das Geld herkommen soll. Angesichts eines Gesamtetats von etwa 20 Millionen Euro ist das natürlich keine Summe, bei der man sagt, es sei undenkbar, dass man da doch auf eine Lösung kommt. Deswegen bin ich optimistisch. Und: Wir haben genug Zeit, darüber zu sprechen, wie es denn gehen könnte. Wir wissen auch, dass die Stadt unter immensen Sparzwängen steht.

Könemann: Es soll mir mal die Stadt gezeigt werden, die es schafft, mit einer Komplett-Einsparung ihres Kulturetats ihren Haushalt zu sanieren. Der ehemalige Bonner Oberbürgermeister war so einer, der sagte: „Was meint ihr, was wir für Geld haben, wenn wir das Theater dicht machen?!“

Schneider: Von dieser Diskussion sind wir hier im Moment meilenweit entfernt. Es gibt vielmehr einen großen politischen Willen, der sich gerade auch im neuen Oberbürgermeister Andreas Mucke manifestiert, der sofort nach seiner Wahl gesagt hat: Dieser Deckel des Nichtausgleichs der Tarifsteigerung für das Theater muss weg! Das nehme ich als ein positives Zeichen, denn ein OB sagt so etwas nicht in Champagnerlaune, schon gar nicht nach der Wahl.

Könemann: Wenn ich an die Historie von Wuppertal denke: Das hatte ja früher einmal eine überregionale Bedeutung. Und ich glaube, die Stadt und die Lage der Stadt hätten im Prinzip auch das Potenzial dazu.

Schneider: Ja, die geben das her. Auch das Theater gibt das her. Da können wir wieder hinkommen, ich sehe es auch als meine Aufgabe, das zu versuchen. Ich bin nicht gewählt worden, um hier etwas zu verwalten. Ich sehe als einzigen Weg für dieses Theater einen Neustart, einen Aufbruch. Ich merke, dass sich auch viele Mitarbeiter einen Aufbruch wünschen; und sie haben die Kapazität dazu. Das muss ich nur abrufen. Natürlich ist es ein Theater, das sehr gebeutelt wurde. Aber die Mitarbeiter sind motiviert, und da muss ich sie packen. Ich weiß genau: Wir stehen am Anfang der nächsten Spielzeit unter Beobachtung.

O&T: Sie müssen sich beweisen.

Schneider: Ja, und es geht nicht einfach um eine Stabübernahme wie in anderen Theatern. Wuppertal ist etwas Besonderes. Da wurden Strukturentscheidungen getroffen, die wurden wieder rückgängig gemacht. Da schaut jeder hin: Geht denn da überhaupt noch irgendwas? Dieser Beobachtung stellen wir uns mit Freude.

O&T: Zu Ihren künstlerischen Plänen: Können Sie uns schon sagen, in welche Richtung es geht, auch in Richtung Chor?

Schneider: Der Chor wird auf jeden Fall beschäftigt sein. Das war fast das erste, das mir hier aufgefallen ist: die mangelnde Auslastung des Chores. Das kann man aber nur zum Teil darauf zurückführen, dass es das Stagione-Prinzip gibt, das hängt auch mit der Stückauswahl zusammen. Es gibt halt Stücke, da ist kein Chor drin. Und wenn Sie nur fünf Stücke machen, dann geht es für einen Opernchor sehr schnell an die untere Grenze der Auslastung. Zu Ihrer Frage: Was spielen wir eigentlich? Extrem wichtig ist natürlich, dass wir nicht nur Oper zwischen Mozart und Strauss spielen. Wir spielen zwischen Monteverdi und davor bis ins Jetzt. Wir werden in der nächsten Spielzeit auf der Hauptbühne zwei zeitgenössische Produktionen haben. Wir werden eine Teiluraufführung zeigen und ein Stück, das erstmals in einem Stadttheaterkontext zu sehen ist. Wir versuchen auch, Stücke, die im Stadttheaterkontext nicht wahrgenommen werden, für das Stadttheater zu gewinnen. Die Opern, die wir heute aufführen, müssen lebendig sein, die müssen zu uns sprechen.

Könemann: Im Chor ist im Moment eine Stelle frei. Wird diese dann in Zusammenarbeit mit dem neuen Chordirektor besetzt? Wird sie überhaupt besetzt?

Schneider: Sie wird unbedingt besetzt. Es ist also ein Chor mit 25 Stellen.

Könemann: Einer über Minimum…

Schneider: Ich hab das auch erstmal nicht verstanden, bis man mir erklärt hat, dass das noch aus der Zeit der gescheiterten Fusion mit Gelsenkirchen stammt. Nur daraus erklärt sich, wie man bei einem Sinfonieorchester mit 80 nominellen Stellen auf einen Chor mit nur 25 Stellen kommt. Dieser Chor ist unterbesetzt. Das ist kein Geheimnis, und wir müssen daran arbeiten, dass er größer wird. Wir haben Glück, dass wir eine Bühne haben, die nicht endlos groß ist; das hilft uns sehr in dieser schwierigen Situation. Als Arbeitgeber machen wir da eigentlich etwas Unfaires, weil wir die einzelnen Kollegen hier stark belasten. Die sind so leistungsfähig, die sind so motiviert und geben immer das Ganze. Das ist einfach super. Es ist sehr beeindruckend, was die Kollegen vom Chor da leisten, und das rettet auch das künstlerische Niveau. Das gleicht ein strukturelles Problem dieses Theaters aus.

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