Gelungene Kooperation
„Orpheus und Eurydike“ am Theater Erfurt mit dem Tanztheater Erfurt
Als große Koproduktion war Glucks „Orfeo“ angekündigt, er eröffnete eine Premierenfolge im Vier-Wochen-Abstand mit Kirchners „Gutenberg“-Uraufführung, Verdis „Macbeth“ und Wagners „Meistersingern“. Dafür kann man dem Leistungsvolumen des Opernchors schwerlich die Anerkennung versagen. Das Tanztheater jedoch ist keine Sparte des Theaters Erfurt, sondern ein freier Verein. Dieser bricht in der thüringischen Landeshauptstadt couragiert Lanzen für die Präsenz des zeitgenössischen Tanzes – mit Festivals, Events und starker Szene-Verankerung. Damit steht das Tanztheater Erfurt in der Städtekette des Freistaats geografisch und konzeptionell zwischen dem (einzigen) Thüringer Staatsballett und dem Ballett Eisenach, partizipiert an Hochkultur und Freier Szene.
Im Theater Erfurt widmet sich die Leiterin des Tanztheaters Ester Ambrosino, die in Kooperationen, Performances und vielfältigen Musikstilen ihr faszinierend schillerndes Œuvre erweitert, einem der ganz schweren Brocken des Musiktheaters. In Ehren scheiterten an großen Häusern schon namhafte Choreografen an der „Orfeo“-Vision des Textdichters Ranieri de’ Calzabigi, der Tänzer auf der Szene sehen und die Chorsänger ins Off verbannen wollte. In Erfurt agieren der Opernchor und das Tanztheater parallel, den drei Soloparts sind spiegelnd-kontrastierend Tanzrollen zugeordnet. Mit insgesamt 17 Personen entspricht dieses Tanzensemble dem Personalformat eines mittelgroßen Hauses.
Punkten können Oper und Tanztheater. Foto: Lutz Edelhoff
Das Jubelfinale mit dem Happy End entfällt hier, der Chor übernimmt die letzten verzweifelten Verse Orpheus‘ nach dem endgültigen Verlust Eurydikes. Die szenische Konzentration auf den affektiven Gestus der Musik zeugt von Mut. Den hatte Ester Ambrosino in ihrer künstlerischen Gesamtleitung.
Das beginnt mit den ersten Akkorden der Ouvertüre, in der Eurydike bereits von dunklen Gestalten in die Unterwelt entführt wird. Zoi Tsokanou am Pult des Philharmonischen Orchesters verdichtet Bläserakzente, vermeidet bewusst die Transparenz der Streicher. Zwischen den Strophengebilden der Partitur – etwa der Arie des Amor – gibt es später starke Tempokontraste mit Freiräumen für das tänzerische Bewegungspotenzial. Dem schloss sich Chordirektor Andreas Ketelhut an und ermutigte seine Chorsänger zu deutlicher Diktion und scharfen, mitunter gar schneidenden Klanggesten, die über Glucks Reform-Espressivo hinausweisen.
Ungewöhnlich auch das Solisten-Trio. Die Sopranistinnen Nicole Enßle (Amor) und Margrethe Fredheim (Eurydike) wirken stimmlich kompakt, gehen mit mozartnahen und attackierenden Zugriffen an die Partien. Dazu ist der Orfeo von Mireille Lebel mit sanften Mezzo-Farben ein zurücknehmendes Gegengewicht. So wird der mit Pause zweistündige Abend Anlass zur Überprüfung bestehender Hörtraditionen.
Den Opernchor nimmt Ester Ambrosino zur Fokussierung tänzerischer Bewegungen mit: Er ist ornamentale Grenze und Mauer für gebändigte Gruppierungen des Tanzensembles. Ein Felsen rechts, durchsichtige Stoffsäulen und im Finale der hochfahrende Bühnenboden zeigen Entgrenzung und später Verlust der Bodenhaftung. Jeannine Cleemen und Moritz Weißkopf abstrahieren im Chiaroscuro der Kostüme den Dualismus von Erinnyen und Elysium, Diesseits und Jenseits.
Die tanzenden Protagonisten Anton Rudakov (Orpheus), Magali Sander Fett (Eurydike) und Johanna Berger (Amor) durchmessen neoklassisches Schrittmaterial mit modernen Akzenten. Sie folgen ganz dem musikalischen Fluss, Reibungskräfte scheinen absichtlich gedrosselt. Immer sind Chor, Ensemble und Soli in omnipräsenter, ausbalancierter Bewegung. Dabei hat das Tanztheater für ein Freies Ensemble beeindruckend homogenen Qualitätsstandard. Schon deshalb ist die Fortsetzung der Kooperation mit dem Musiktheater unbedingt zu wünschen. Die große Fangemeinde folgte mit Konzentration, Spannung und mit Begeisterung für ein Werk, das öfter spröde als enthusiastische Aufnahme findet. Punkten können die Oper und das Tanztheater Erfurt da im Gleichstand.
Roland H. Dippel
|