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Kulturpolitik

Urbane Kulturbiotope

Tutzinger Symposium „Kulturräume der Zukunft“ · Von Reinhard Palmer

Das 15. Kulturpolitische Forum an der Evangelischen Akademie in Tutzing in Kooperation mit der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V., der STADTKULTUR Netzwerk Bayerischer Städte e.V. sowie den Deutschen und Bay-erischen Städtetagen konnte auf eine vollbesetzte Teilnehmerliste verweisen. Anderes galt für die Referentenliste, die durch Absagen des Bayerischen Staatsministers für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Wolfgang Heubisch (FDP), und des Mitglieds im Ausschuss für Hochschule, Forschung und Kultur des Bayerischen Landtags, Bernd Kränzle (CSU), um die substanzielle bayerische Kulturdebatte entschärft wurde. Das Symposium zum Thema „Kulturräume der Zukunft“ blieb nicht zuletzt durch die Podiumsdiskussion mit Landtagsabgeordneten der Oppositionsparteien dennoch bayerisch geprägt – im Kontext eines Teilnehmer- und Referentenkreises aus ganz Deutschland erschien der Freistaat als Härtefall einer Kulturentwicklung, die Bayern konzeptlos und nach fragwürdigen Leitlinien in ein Museum verwandelt.

Blasse Entwicklung

Positives Beispiel: „Eichbaumoper“ vom Raumlabor Berlin. Foto: raumlaborberlin

Positives Beispiel: „Eichbaumoper“ vom Raumlabor Berlin. Foto: raumlaborberlin

Die von Michael Müller, Professor an der Universität Bremen, vorgezeichnete Erweiterung des Raumbegriffs in Richtung einer plural geprägten urbanen Öffentlichkeit – konkret der Straße, die als Freiraum für Individualisierung ein Psychogramm der Stadt darstellt – bekräftigte auch Münchens Kulturreferent Hans-Georg Küppers. Er hatte die Stadtteilzentren im Fokus und entzog sich der Diskussion über gebaute Objekte, zu deren Eroberung und Verteidigung er allerdings ermutigte – ohne auf die Umsetzung von erwähnten Kreativquartieren genauer einzugehen. Die Ausrichtung der Veranstaltung wurde deutlich: Es ging nicht etwa um Räume anspruchsvoller, kritischer künstlerischer Arbeit mit politisch, gesellschaftlich, sozial oder wissenschaftlich relevanten Inhalten, sondern vielmehr um urbane Biotope im weitesten Sinne kultureller Teilhabe und Mitbestimmung – und um Biotope der Bildung. Denkt man die momentane Münchner Entwicklung weiter, würde es wohl bedeuten: Urban Guerilla (Gardening, Industrie-brachen, Flohmärkte etcetera), noch mehr Comedy, tradierte Unterhaltungsformen, Bibliotheken und VHS. Gegenüber dem im vorgeführten Dokumentarfilm von Sybille Dahrendorf „Knistern der Zeit“ über Chris-toph Schlingensiefs Operndorf in Burkina Faso angerissenen Kulturbegriff sähen wir dann recht blass aus.

Hoffnungsschimmer gab es durchaus, vor allem im Telefon-Vortrag Jan Liesegangs vom Raumlabor Berlin, dessen Projekt „Eichbaumoper“ im öffentlichen Raum – an der U-Bahn-Station Eichbaum mitten im Autobahnkreuz zwischen Essen und Mühlheim – zur Nachahmung ermutigte. Die Stadt als Handlungsraum, hieß hier die Devise im Sinne der Umdeutung von urbanen Lebensräumen. Die eigentlichen künstlerischen Inhalte fanden ansonsten kaum Beachtung – abgesehen vom Vortrag „Tracking//Tagging//Mapping//Hacking“ der Dresdner Kunstdidaktik-Juniorprofessorin Sara Burk-hardt zu virtuellen Kunsträumen, die an keine Baukonzepte gebunden sind. Der entscheidende Punkt, die Verantwortung für die Entwicklung zeitgenössischer, inhaltlich anspruchsvoller Kunst, die vom Konzept her auf gebaute Präsentationsräume angewiesen ist, fand indes allenfalls am Rande Beachtung. Künstler waren gedanklich ohnehin auf die interpretierende Variante reduziert und auch unter den Referenten nicht vertreten. Zeitgenössische Kunstproduzenten, die zunehmend auch Realisierer ihrer Werkinszenierungen in Personalunion sind, müssten sich demnach nach wie vor mit den tendenziell in Richtung tradierter Kunstformen vorbestimmten Rahmenbedingungen der Architekten, Besucher und Veranstalter begnügen und ihre Rolle als Vorreiter und Visionäre definitiv aufgeben. Die Erprobung neuer Darstellungsformen, die etwa von der üblichen Ausstellungshalle oder der Trennung von Zuschauer- und Bühnenraum im Theater schon vor Jahrzehnten abgerückt sind, wird wohl weiterhin als subkulturelle Exotik in Notquartieren fern der breiten Beachtung stattfinden müssen.

Variable Provisorien

In Zukunft also nichts Neues? Zumindest fand die Idee große Aufmerksamkeit, Kulturräume im gewissen Zustand eines variablen Provisoriums zu belassen – wandelbar für verschiedene Nutzungen, die sich auch mit den gesellschaftlichen Tendenzen laufend verändern. Die Idee dieser „Möglichkeitsräume“ präsentierte Architekt und Rockmusiker Christian Neuburger anhand des Projekts Kulturwerk Halle NEUN am Ingolstädter Hauptbahnhof. Auf wesentlich größer dimensionierte Objekte mit reichhaltigen Raummöglichkeiten setzt indes Bertram Schultze mit den Industriebrachen Leipziger Baumwollspinnerei und AEG Nürnberg, für dessen Instandsetzung und mischkalkulierte Nutzung er verantwortlich zeichnet. In Leipzig erfährt er dank der dort untergebrachten Ateliers so renommierter Künstler wie Neo Rauch, Christiane Baumgartner und Michael Triegel größere Aufmerksamkeit, was deutlich macht, wie müßig es ist, Verpackungen zu ersinnen, ohne über die Inhalte zu sprechen. Kultur ist Kern unserer Gesellschaft, formulierte Küppers. Deshalb darf sie auch nicht nach dem Prinzip der Einschaltquoten dem seichten Anspruch der Masse folgen.

Reinhard Palmer

 

 

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