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Zu Besuch im Baumarkt
„Lohengrin“ als Festspielpremiere in München · Von
Christian Kröber Es war als krönender Abschluss und Höhepunkt der ersten
Spielzeit des Intendanten Nikolaus Bachler an der Bayerischen Staatsoper
geplant. Wagners Romantische Oper „Lohengrin“ in Festspielbesetzung
und der szenischen Verantwortung von Richard Jones, der bereits
unter Bachlers Vorgänger Peter Jonas mit seiner Deutung von
Händels „Giulio Cesare“ großen Erfolg eingeheimst
hatte und damit gewissermaßen zum Gründervater des Münchner
Barockerfolgs geworden war. Doch wie so oft bei hochtrabenden Erwartungen
lassen sich künstlerische Erfolge auch in München nicht
unbedingt erzwingen.
So soll an dieser Stelle zuerst berichtet werden von dem Musikglück,
das sich dem Münchner Publikum ereignete. Jonas Kaufmanns
mit Spannung erwartetes Debüt als Münchner Lohengrin
fügte der gewiss glänzenden Reihe tenoraler Höhepunkte
einen weiteren hinzu. Waren es in den 70er- und 90er-Jahren des
vorigen Jahrhunderts die heldischen Stimmen eines René Kollo
oder Peter Seiffert, die das Klangbild dieser romantischsten aller
Wagner-Opern prägten, so betont der neue Stern am Wagnerfirmament
vor allem die lyrischen Seiten der Partie. Da gibt es kein kraftmeierndes
Forte, keine gepressten Spitzentöne. In der Gralserzählung
herrscht ein fast Schubert‘sches Melos.
Zu verdanken ist dies auch Kent Nagano, der in diesem „Lohengrin“ in
unnachahmlicher Weise anzufeuern versteht, aber eben auch die einzelnen
Stimmen im Orchester oder auf der Bühne gleichberechtig zu
Wort kommen lässt. Das wurde schon bei der Ouvertüre
deutlich, als das Bayerische Staatsorchester an seine besten Wagner-Zeiten
unter Sawallisch anknüpfen konnte. Die Münchner haben
ihn wieder, ihren typischen Wagnerton, eine Mischung aus akkurater
Präzision und lyrischem Wohlklang. Die große Überraschung
des Abends bot Anja Harteros‘ Elsa. Stimmlich jederzeit präsent
und auf der Höhe ihrer Kunst, gestaltete sie eine selbstwusst
fordernde Brabanter Fürstentochter, die den Vergleich mit
ihrem ritterlichen Retter keineswegs zu scheuen hatte.
Lohengrin als letzte der frühen Wagner-Opern wird, wie auch
der „Fliegende Holländer“ oder „Tannhäuser“,
geprägt von seinen, den Verlauf vielfach eigenständig
begleitenden, großen Chorpartien. Und da ist man in München
seit Jahrzehnten musikalisch auf der sicheren Seite. Der Chor der
Bayerischen Staatsoper unter seinem Leiter Andrés Máspero
war stets ein präziser Begleiter der musikalischen Konzeption
und Klangwelt des Bayreuther Meisters.
Wenn es denn bei der Regie auch so gewesen wäre, ist man
unwillkürlich versucht auszurufen. Dass die durchaus bedenkenswerten
interpretatorischen Ansätze des Regisseurs Richard Jones und
seines langjährigen Bühnen- und Kostümbildners Ultz
dem Riesenwerk Richard Wagners in keiner Weise gerecht werden konnten,
liegt leider an einem Problem, das so manche Regiearbeit den Erfolg
kostet. Man schätzt zwar den Komponisten und seine musikalischen
Leistungen, meint aber, das dramaturgische Talent hilfreich auffüttern
zu müssen.
Dabei hätte ein präzises Nachdenken durchaus genügt,
um festzustellen, dass Wagners „Lohengrin“ eben nicht
nur wegen seiner schönen musikalischen Stellen, den kühn
dramatischen Ouvertüren oder den expressiv aufgeladenen Ensembles
der unmittelbarste Erfolg dieses urromantischen Komponisten war.
Durch jedes Bühnenwerk Wagners zieht sich die Idee der Erlösung
des Einzelnen durch Liebe, Reinheit und Aufopferung. Diese romantische
Utopie faszinierte und fasziniert das Publikum bis heute. Wer dieser
Idee nicht nachspüren, ihre Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten
nicht erkunden will, muss automatisch scheitern, weil er Wagner
nicht ernst nimmt, weil er ihn funktional verkleinert. Und genau
dies geschieht bei Richard Jones. Hier heißt der Plot „Wir
bauen uns ein Nest“. Elsa und Lohengrin als Häuslebauer,
die beide ein biedermeierliches Glück suchen und selbst daran
scheitern müssen. Die Inszenierung ist konsequent zu Ende
gedacht; das jedoch reicht nicht, um in der Wagner-Stadt München
bei den Festspielen zu reüssieren. Der Abend endete wie erwartet
in herbem Buh für Regie und Bühne und frenetischem Applaus
für die Musik.
Jonas Kaufmann war übrigens noch einmal zu hören im
Münchner Opernrund. Dann aber nur mit pianistischer Begleitung
ganz auf sich gestellt und mit dem anderen großen deutschen
Romantiker. Die Rede ist von Franz Schubert und seinem Liedzyklus „Die
schöne Müllerin“.
Christian Kröber
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