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Eine Messe für Stalin
Pfitzners „Palestrina“ in Frankfurt · Von Christian
Tepe
Regelmäßig zu den Jubiläumsfeiern des 1869 geborenen
Hans Pfitzner erscheint sein Hauptwerk „Palestrina“ auf
den deutschen Spielplänen. Und jedes Mal stellt sich dann
die Frage, wie der Kern des Stückes, die Konfrontation des
künstlerischen Ingeniums mit einer kunstfeindlichen Welt,
aus der „musikalischen Legende“ herausgeschält
und in eine zeitgenössische Darstellung übersetzt werden
kann. Pfitzner geht es um nichts Geringeres als die Grundspannung
des Menschendaseins im Widerstreit von Ideal und Wirklichkeit,
von Geist und Leben. Veranschaulicht wird das an der Entstehungsgeschichte
der „Missa Papae Marcelli“ des Renaissance-Komponisten
Palestrina. Der Legende nach ist es diese Messe, die dank ihrer
exemplarischen Verschmelzung des künstlerischen und religiösen
Anspruchs die vom päpstlichen Verdikt bedrohte polyphone Kirchenmusik
gerettet hat. Die Oper schildert, wie das Werk einer blasierten äußeren
Wirklichkeit, verkörpert im Konzil von Trient, aber auch der
inneren Resignation des Künstlers abgerungen werden muss.
Wie kommuniziert man nun auf der Bühne diese Handlung für
zeitgenössisches Empfinden, ohne das Stück zu brechen?
Altmeister Harry Kupfer stellt in Frankfurt eine auf den ersten
Blick bestechende Lesart vor, wenn er die Geschehnisse um Palestrina
mit dem Schicksal des sowjetischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch überblendet.
Bekanntlich lancierte Stalin nach einem Besuch von Schostakowitschs
Erfolgsoper „Lady Macbeth von Mzensk“, deren Musik
dem Diktator sehr missfiel, einen vernichtenden Artikel in der „Prawda“.
Fortan ist das Schaffen Schostakowitschs von der massiven Indoktrination
durch den stalinistischen Machtapparat geprägt. Aus der Opernhandlung
um die Palestrina-Messe wird in Frankfurt somit die Erzählung
von der künstlerischen Liquidierung des Komponisten Schostakowitsch,
die bei Kupfer sogar bis zur physischen Vernichtung der Person
führt. In der berühmten Inspirationsszene am Ende des
ersten Aktes erfoltern rote Kommissare auf Geheiß der alten
Meister das neue staatstragende Werk. Palestrina-Schostakowitsch überlebt
die Tortur nicht. Den dritten Akt – von Pfitzner als die
Utopie einer Versöhnung angedacht – zeigt Kupfer als
Parteitagsinszenierung. Gesungen wird aus Klavierauszügen,
ein Doppelgänger Palestrinas nimmt in totenstarrer Ungerührtheit
die offiziellen Belobigungen durch einen Papst mit Stalin-Physiognomie
entgegen. Auch die jubelnden Evviva-Rufe des Volkes sind erzwungen.
Individuelle Menschen mit einem spontanen Gefühlsleben existieren
in dieser Gesellschaft nicht, selbst Palestrinas treuherziger Sohn
Ighino mimt apathisch seinen Part, wie es die vorgegebene machtpolitische
Dramaturgie verlangt.
Das alles ist nur auf dem Papier stichhaltig, im Zusammenspiel
mit der Musik trägt es nicht weit. Kupfer scheitert an den
Klangwelten der überaus evokativen Musik. Mit exorbitanter
Detailverliebtheit hat sich Pfitzner nämlich nicht nur in
die religiöse Diktion der Wortsprache seiner Figuren eingefühlt,
sondern überdies ein weit ausgreifendes musikalisches Charakterisierungsgeflecht
für die ästhetischen Kontrahenten der Bühnenhandlung
geschaffen. Stets schwingt ein Ton aus ferner Vergangenheit mit,
konkretisiert als Anklänge an den Gregorianischen Choral,
an die Polyphonie der Niederländer oder auch an die Monodie
der Florentiner Camerata. Die Bildsemantik der von Kupfer dem Stück übergestülpten
Passion des Dimitri Schostakowitsch mit all ihren Reminiszenzen
an die sowjetische Geschichte und deren Symbolwelt steht im unüberbrückbaren
Gegensatz zur Aura der Musik Pfitzners. Diese und Kupfers Szene
berichten von völlig verschiedenen Welten und Ereignissen,
die nur ganz abstrakt durch die thematische Antithese von Kunst
und Politik miteinander verklammert sind. Spätestens wenn
Kupfer den grandiosen Konzilsakt zur Kaderversammlung umfunktioniert,
löst sich auch diese Klammer; das ohnehin komplizierte lebhafte
Gegeneinander der einzelnen Fraktionen des Konzils bleibt abgelöst
von seiner historischen Folie nicht auch nur ansatzweise verständlich.
Es gibt Produktionen, die misslungen sind und deren Besuch dennoch
lohnt. In Frankfurt ist dies einem superben Ensemble zu verdanken,
das in großen und kleinen Rollen überzeugt, den von
Matthias Köhler einstudierten, wach und kraftvoll imaginativ
singenden Chor eingeschlossen. Bewunderungswürdig, wie Falk
Struckmann in seinem Porträt des Kardinals Borromeo Wortdeutlichkeit
mit vokaler Fülle vereint. Allein Kurt Streit hadert mit den
gepresst gesungenen exponierten Passagen der Titelpartie. Nach
einem schwächeren, die Sinneinheiten der Musik bloß addierenden
Beginn schwelgt Kirill Petrenko am Pult des Museumsorchesters Frankfurt
in den geheimnisvollen Klangmischungen der Partitur und führt
die Intensität und Tiefe des tragenden instrumentalen Ausdrucks
zu einer stetigen Steigerung.
Christian Tepe |