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Portrait
Eine Jahrhundertstimme
Zum Tod von Edita Gruberová
Geboren wurde sie am 23. Dezember 1946 im slowakischen Rača, etwa zehn Kilometer nordöstlich von Bratislava, als Tochter einer gebürtigen Ungarin und eines Vaters deutscher Herkunft. Sie war, wie sie selbst gern bekannte, ein echtes Monarchieprodukt, denn sie wuchs mehrsprachig auf. Das Arbeiterkind war kränklich, scheu und schüchtern, aber hochmusikalisch und begabt mit einer ordentlichen Portion Komik. Schon in der Schule sang sie, im Rundfunkkinderchor, und dann ließ sie ihre Stimme schließlich auf Zureden des Pfarrers ihres Heimatortes ausbilden und studierte am Konservatorium in Bratislava. Sie kam aus materiell schwierigen familiären Verhältnissen. Der Vater war Trinker, das Geld war knapp. Aber Edita Gruberová setzte sich durch, sie war ein Ausnahmetalent und verfügte über eine eiserne Disziplin. Ihre phänomenale Technik hat Edita Gruberová zuerst bei Maria Medvecká gelernt, dann bei Ruthilde Boesch verbessert und sich schließlich bei Gudrun Ayasse den letzten Schliff geholt. Sie war mehr als nur ein hochvirtuoser Zwitscherautomat. Ihre Stimme war „eine Sopranstimme im perfekten Vordersitz, obertonreich, höhenstark, dazu extrem flexibel, perfekt fokussiert und stabil, mit einer Projektionskraft, die Töne unforciert bis in die letzte Galeriereihe“ strahlen lasse, wie Markus Thiel, der Biograph der Sängerin, zurecht schreibt.
Edita Gruberová in „Roberto Devereux“ an der Münchner Staatsoper. Foto: Wilfried Hösl
Als Königin der Nacht betrat Edita Gruberová erstmals 1970 die Bühne der Wiener Staatsoper. Mozarts Königin wurde eine ihrer Schicksalspartien, ebenso wie Verdis „La Traviata“ und die Zerbinetta in Straussens „Ariadne auf Naxos“, mit der sie schon 1973 debütierte und die sie 1976 mit überwältigendem Erfolg an der Wiener Staatsoper sang. Dort sprachen selbst die Taxifahrer von einer Sensation. Marcel Prawy, der legendäre Chefdramaturg der Wiener Staatsoper, hat einmal gesagt, Edita Gruberova gehöre zu den größten Phänomenen in der Weltgeschichte des Operngesangs. Wer wollte ihm widersprechen! Die Zerbinetta war der Startschuss zu einer internationalen Karriere. Damit gelang ihr der ganz große Durchbruch zum erfolgverwöhnten Weltstar, nachdem sie jahrelang nur kleinste Partien singen durfte. Seither ist Edita Gruberová auf den renommiertesten Opernbühnen der Welt zu Gast gewesen, nicht ohne berufliche wie private Rückschläge. Ohne ihre große Ernsthaftigkeit, die enorme Professionalität, Fleiß und selbstbewusstes Auftreten der Sängerin gegenüber Agenten, Intendanten und Regisseuren hätte sie diese Weltkarriere nicht gemacht.
Seit Edita Gruberová 1978 ihre erste Wiener Lucia di Lammermoor sang, beschritt sie endgültig den Weg von der Koloratursopranistin zur Belcantosängerin. Sie war eine Ausnahme-Primadonna: eine pflicht- wie selbstbewusste Singdarstellerin, demütig gegenüber der Musik, zuverlässig und menschlich undivenhaft. Mit technischer Brillanz, Makellosigkeit der Tonbildung und stupendem, subtilem Gestaltungs- wie Ausdrucksvermögen riss sie ihr Publikum zu Begeisterungsstürmen hin, ob als Norma (mit der sie allerdings erst 2003 in der von Bellini ursprünglich vorgesehenen G-Dur-Tonart debütierte), Lucia di Lammermoor, Gilda, Zerbinetta, Königin der Nacht, Konstanze oder Donna Anna. Die großen Donizetti- wie Bellinipartien (zum Beispiel Maria Stuarda, Beatrice di Tenda, La Straniera, Anna Bolena, Roberto Devereux oder Linda di Chamounix) wurden ihre Leidenschaft – so, wie die großen Opernhäuser ihr Zuhause wurden: die Wiener Staatsoper, das Opernhaus Zürich, das Münchner Nationaltheater, Covent Garden oder die Mailänder Scala.
Zum Geheimnis ihres langen Singens gehört neben der klugen Beschränkung auf das ihrer Stimme gemäße Fach und eine begrenzte Zahl an Aufführungen auch der richtige Umgang mit den richtigen Gesangspartien zur richtigen Zeit. Ihre Karriere lief – verglichen mit den heutigen – langsam an. Sie wurde nicht früh verheizt. Am 27. März 2019 stand sie zum letzten Mal in einer Opern-Inszenierung auf der Bühne. An der Bayerischen Staatsoper gab sie die Königin Elisabetta in Donizettis „Roberto Devereux“. Der Beifall währte fünfzig Minuten. Im folgenden Jahr gab sie ihr Karriereende bekannt. Am 18. Oktober ist sie im Alter von 74 Jahren in Zürich von uns gegangen. Sie bleibt als eine Jahrhundertstimme in Erinnerung.
Dieter David Scholz |