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Hintergrund
„Are we too nice?“
Die internationale tanzmesse nrw
Vom 29. August bis 1. September fand die internationale tanzmesse nrw statt, seit mehr als 20 Jahren großes Branchentreffen für den zeitgenössischen Tanz. In den Messehallen des NRW-Forums Düsseldorf zeigten Aussteller aus 35 Ländern ihre Angebote. Parallel dazu wurde an diversen Spielorten in Düsseldorf, Leverkusen und Krefeld ein Tanzfestival mit Produktionen von Künstlern aus allen Regionen der Welt ausgetragen. Außerdem konnten die Messeteilnehmer in kleinen Gruppen Themen diskutieren, die ihre Arbeit betreffen.
Düsseldorf, im August – Die Welt zu Gast bei Freunden. Dies die Anmutung der „internationalen tanzmesse nrw“ – an den Knotenpunkten babylonischer Sprachverwirrung, besser vielleicht: Sprachenvielfalt. Denn jegliches „je-ne-sais-quoi“ schickt man einfach durch den Quirl seiner Spielfreude, seines Tanzbeins also und macht sich ein Späßchen aus dem allgemeinen „Kannitverstan“. Daraus entsteht dann zum Beispiel eine Performance mit dem Titel „specific people create specific problems“, die ein wenig bemüht und ein wenig belanglos daher kommt, sich aber schmeicheln darf, unter dem von Festivalchef Dieter Jaenicke zur besonderen Beachtung empfohlenen Format „Shifting Realities“ („Ein Blick in die Zukunft!“) seinen Tanzmesse-Ritterschlag bekommen zu haben: „Fünf Choreograf/-innen aus fünf verschiedenen Ländern Afrikas, Europas und Asiens erforschen gemeinsam ihre Andersartigkeit und Gleichheit.“
Was bleibt von einer Tanzmesse?
Gastland China mit „Cloud Gate 2/13 Tongues“. Foto: Lee Chia-Yeh.
Ganz viel, keine Frage. Jenseits von Häppchenkost, von Programmheftprosa mit Gendersternchen, hinter allem Theaternebel, der hier überraschend häufig zum Einsatz kam, meldete sich nämlich der Kunsternst. Nur aussehen darf es halt nicht mehr danach. Wichtigste Neuerung unter der neuen Jaenicke-Intendanz (sein Vertrag läuft bis 2020) ist die Bestimmung eines Gastlandes, in diesem Jahr gleich mit einem Schwergewicht, der Tanzszene der Volksrepublik China. Ein Angebot, für das man auch deshalb dankbar war, weil es dabei half zu fokussieren. Denn wie sollte man sich orientieren bei gut und gern einhundert Terminen, die an acht Veranstaltungsorten in drei Städten (Krefeld, Leverkusen, Düsseldorf) binnen vier Tagen abgespult wurden? Der Kenner weiß das natürlich. Aber was macht der Tanzmesseneuling?
Der hält sich erst einmal an das daumendicke, verwirrenderweise auch von hinten nach vorn lesbare Programmheft: „Booth directory“ für 120 Aussteller einerseits, Veranstaltungsverzeichnis für 500 Aktive aus 40 Ländern andererseits. Eine logistische Meisterleistung, soviel steht fest. Gesetzt war natürlich der Programmpunkt „Performances“, ebenso das Werkstattprinzip, das in diesem Fall nicht nur zu „Open Studios“ respektive zu „Shifting Realities“ führte, sondern auch zu Formaten für Produktionen, die bereits Premiere hatten, „Pitchings“ genannt. Dazu trat dann noch „Outdoor“, ein etwas schleppend verlaufender Rundgang durch eine von vier Compagnien bespielte ehemalige Brotfabrik („Dance.On.Site“), und ein von Veranstalterseite ziemlich hoch gehängter „Urban Dance Art Day“.
Long way to go
Klartext geredet wurde in den sogenannten „T-Talks“: Orte für das Bedürfnis, sich über Kursabweichungen, anstehende Kurskorrekturen zu verständigen. Denn, immerhin, übersehen lassen sich die Brandherde der Szene nicht. Wir in NRW wurden darauf jüngst noch einmal unsanft gestoßen, als die Nachricht von der Entlassung Adolphe Binders als Intendantin des Pina-Bausch-Tanztheaters Wuppertal kam: Frau und Tanz – das mag ein schönes Kapitel Kunst-, ja Menschheitsgeschichte sein, aber manches läuft unrund. Andrea Snyder, Moderatorin im T-Talk „Women‘s Voices in Choreography“, ließ denn auch keine Zweifel aufkommen, dass es ernst ist, dass etwas passieren muss. „Gender imbalance“ sei ein Fakt! Snyder zitierte jüngste Statistiken, wonach in New York die Zahl der Choreografinnen die der Choreografen zwar übersteigt – nur dass deren Etats sich beharrlich weigerten, mitzusteigen. Ein pekuniärer Punkt, der in dem gut besuchten Panel von allen Seiten bestätigt wurde. Allein schon bei Vertragsverhandlungen seien die Frauen zu bescheiden, gäben sich viel zu schnell zufrieden; Männer hingegen pokerten einfach hartnäckiger. „Are we too nice?“, wurde gefragt. Patricia Noworol, erfolgreich unterwegs in der Tanzszene New Yorks, betonte die Wichtigkeit der Devise „be diplomatic!“. Christine Bonansea, wie Noworol ebenfalls in New York aktiv, und Heidi Duckler, Choreografin in Los Angeles, grenzten sich ab, pochten auf die „Systemfrage“, konnten aber auch nicht sagen, was genau zu tun sei. Ein Punkt, an dem der Ball ins Publikum rollte. Munter wurde eine Story nach der andern ausgebreitet; das Mikro wanderte, und Tänzerinnen, Choreografinnen aus Australien, Neuseeland, Schottland, Finnland, aus der Schweiz erzählten vom Davor und Dahinter. Sogar aus dem karibischen Martinique war eine Teilnehmerin angereist, gab sich erst ernüchtert („I am invisible, because I am female and I am black.“), dann kämpferisch: „Dancing as Resistance!“ Unterhalb solcher Eskalationsstufe gab es breiten Konsens für die Notwendigkeit eines „cultural shift“, vor allem für „networking“. Cleo Parker Robinson, Tanzlegende aus Denver, Colorado machte Mut. Man könne optimistisch sein, wenn man Stärke zeige. Schon ihr Vater, ein Theatermensch durch und durch, habe den Rassismus in Kultur und Gesellschaft gesehen und trotzdem seine Kunst gemacht. Und was sie selber angehe, habe sie sich inspirieren lassen von den „Guerilla Girls“, eine mit ekligen Gorilla-Masken operierende feministische Künstlerinnengruppe. Fazit Andrea Snyder: „We have a long way to go!“
Neue Linien, alte Muster
„dance on site“ (Heidi Duckler Dance Theatre mit „A Bela e a Fera ou a Ferida Grande Demais”). Foto: Mark Lord
Damit ging es zurück auf den Tanzboden, hinein in die Szene, um die sich im Übrigen niemand sorgen muss. Sie vibriert, sie leuchtet – und zwar in allen Ecken. Einer der zahlreichen Workshops im Düsseldorfer Tanzhaus, für vier Tage das Hauptquartier der globalen dancing community, widmete sich sogar dem rheinischen Frohsinn. Offene Münder beim Auftritt der Tanzgarde der Katholischen Jugend der Stadt. Was gefiel, war der spielerische Umgang der Compagnie mit Uniform, mit Uniformität; Frucht der Zusammenarbeit mit der israelisch-deutschen Choreografin Reut Shemesh.
Unterkühlter ging es zu in den chinesischen Panels. Mit Mao hat man zwar nicht mehr viel am Hut, aber hochglänzend muss die Trumpfkarte der volksrepublikanischen Tanzszene bis heute sein. Aseptisch nicht nur die Broschüren und Videos. Vieles blieb Versprechen, bloße Proklamation. „Befreiung des weiblichen Körpers“, hieß es da beispielsweise. Wie? Von wem? Zwei große Performance-Abende offenbarten eher konventionelle Rollenverständnisse: von „Befreiung“ keine Spur. Vielleicht sind die Tänzerinnen und Tänzer des chinesischen Vorzeigeprojekts der Guangdong Modern Dance Company auch noch viel zu jung, um persönlichen Ausdruck zu entwickeln, weswegen die Produktion der Choreografin Liu Qi wohl vor allem Anleihen nahm bei den „rhythmic gymnas-tics“. Kunst kommt aber nicht nur von Können. Stil, Handschrift kommt über Inhalte, die wiederum zusammenhängen mit dem Willen sich zu reiben, an seinem Selbst, am Gegenüber, an der Welt. Stattdessen sah man alte Muster am Werk. In der ersten seiner zweiteiligen Choreografie ließ Tao Ye eine schräge Linie bilden: Sechs Herren, schwarz gewandet, bewegten sich wie der Bambus im Wind, die Füße angewachsen. Das Bild für Autochthonie und Tanz als Machtdemonstration: Wir sind jung. Unser Land ist alt. Wir sind ein Kollektiv. Wir sind unbesiegbar.
Ganz anders der bewegende Abend der libanesischen Compagnie von Omar Rajeh. Dessen Thema in „#minaret“: die Zerstörung der syrischen Stadt Aleppo. Zuckende Leiber zu Livemusik. Improvisierend sprengen die Oud-Spieler den Folklore-Rahmen. Auf einmal schwebt ein Flugroboter in der Luft! Das ist ein medial-choreografischer Kunstgriff an der Grenze zum Kitsch. Doch die Gruppe hält die Spannung. Am Ende geht der Drohne der Sprit aus, die Compagnie geht in die Mitte und ein Aufatmen durch den Saal.
Georg Beck
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