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Aus der Krise lernen
Nach Stimmverlust betreibt Alexandra von der Weth ein Institut für Stimmbildung · Von Georg Beck
Nicole ist Tischlerin. In ihre Stunde kommt sie direkt von der Arbeit. Von der Werkbank in die Stimmbildung sozusagen, weshalb die Frage nach der Motivation naheliegt. Nein, sagt sie, in erster Linie gehe es ihr gar nicht so sehr ums Sängerische, mehr ums Mentale, um Persönlichkeitsstärkung. Andererseits sind da durchaus einschlägige Vorerfahrungen. Einmal habe sie sogar Wagners Wesendonck-Lieder vorgetragen und zwar ausgerechnet in einem Konzert, an das sie sich deshalb so gut erinnert, weil da auch ihre spätere Stimmbildnerin anwesend war. Eine ziemliche Lampenfieber-Situation sei das gewesen nach dem Motto: Da stehst du nun, und da unten sitzt die von der Weth! „Und was hast Du gemacht?“, fragt letztere, die nun mittlerweile ihr Coach ist. Die Brille abgenommen! Daraufhin nämlich habe sie das Publikum gar nicht mehr wahrgenommen, sich stattdessen ganz auf sich selber konzentrieren können.
Energieniveau
Das bringt ihr schon einmal ein Lob ein, und damit ist man im Prinzip beim Thema, um das es sich dreht im Düsseldorfer „Institut für Stimmbildung“ der Alexandra von der Weth, eine von zahlreichen Initiativen am Markt. Mit Ausnahme von wirklichen Therapiefällen, die an kooperierende Psychotherapeuten und Mediziner vermittelt werden, darf sich hier im Prinzip jeder angesprochen fühlen. Ob Stimmbildung im engeren Sinn gewünscht wird, Präsentations- oder Mentaltraining – zur Zielgruppe gehören neben Sängern und Musikern, Schauspielern und Vortragenden aller Couleur immer auch „Sprecher“, was ja nun irgendwie jeder ist. Da geht es um den berüchtigten Kloß im Hals, um Abhilfe bei belegten, matten, kraftlosen Stimmen, um Sprechfehler und Sprechhemmungen ebenso wie um die Optimierung von Stimmen ambitionierter Sängerinnen und Sänger professioneller und/oder semiprofessioneller Provenienz.
Alexandra von der Weth bei ihrer Arbeit. Foto: Georg Beck
Für Nicole, die seit einem Jahr im Von-der-Weth-Coaching ist, geht es los mit einschlägigen Lautübungen, mit vokalgespickten Vor- und Nachsprechsätzchen, mit konsonantischem Explodieren auf den Punkt, alles was im Gesangsunterricht eben so gemacht wird. Als Materialsteinbruch taugt „Das Veilchen“, ein Lied von Clara Schumann, das Nicole in Arbeit hat. Was nicht heißt, dass es hier und jetzt schon zum eigentlich sängerischen Vortrag käme. Zwar wird auf dem Atem gesungen, aber nur übungsweise, geht es Nicoles Coach doch mehr um das wirkungsvolle Abpassen des Auslösepunktes. „Warte auf dein Energieniveau! Warte noch länger!“, ruft sie dazwischen. Im nächsten Moment ist sie auch schon „dran am Menschen“, wie sie sagt, steht auf einmal hinter ihrer Klientin, legt ihr die Hand ins Kreuz, um beim Finden der optimalen Körperhaltung behilflich zu sein.
Vom Virus erfasst
Schnell wird klar: Stimme, das ist in dieser Stimmbildungspraxis nicht irgendetwas Isoliertes, das abgetrennt vom Rest angegangen werden könnte, gewissermaßen als fortgesetzt cartesianische Trennung: hier der Geist, dort der Körper. Umgekehrt wird für Alexandra von der Weth ein Schuh daraus. Sicher, ihr gewöhnungsbedürftiges Impulsiv-Coaching ist im Kern wohl auch eine Temperamentfrage. Andererseits spürt man, dass für sie darin immer auch noch etwas anderes mitspielt. Dass Alexandra von der Weth als Lulu, als Norma, als Gräfin aus Strauss’ Capriccio auf den großen Opernbühnen gestanden hat – etwas von dieser Theatererfahrung geht ein in alles, was sie macht, auch wenn es nur darum geht, einen „Veilchen“-Gruß zu übermitteln. Um Wirkung zu erzielen, um Präsenz zu entfalten, kann kein Anlass zu gering sein. Für Theaterbesessene wie von der Weth ist Bühne nicht nur dort, wo der Vorhang hochgeht. Wie für alle vom Virus erfassten Theatermenschen ist sie zweite Haut, zeigt sich an der Art, wie einer spricht, wie er steht, was er macht. Ein Hintergrund, über den die Institutsgründerin freilich gar nicht groß sinnieren muss. Man spürt es sowieso.
Was hängen bleibt
Andererseits hat sie selbst, was ihre Grundlage, ihre Stimme angeht, gehörig Lehrgeld zahlen müssen. Dass Alexandra von der Weth heute ein florierendes Stimmbildungs-Institut unterhält, kann man im eigentlichen Sinn als Resultat eines Scheiterns, einer Niederlage ansehen. Gut und gern zehn Jahre sind es nun her, dass sie bei der Züricher Aufführung einer zeitgenössischen Oper des Schweizer Komponisten Beat Furrer ihre Stimme verlor. Ein Nullpunkt, den zu überwinden sie Jahre gekostet hat. Wobei ursächlich hier freilich nicht (wie das schlechte Vorurteil lautet) die angebliche Malaise Neue Musik zu diagnostizieren ist. Eher schon, heute hat Alexandra von der Weth dafür einen klaren Blick, hatte der Crash mit ihrer damaligen Selbstüberforderung zu tun. Was ist passiert mit mir? Diese Frage hat sie in der Folgezeit mächtig umgetrieben, hat sie zur Dauerpatientin diverser HNO-Praxen werden lassen. Schließlich – nach einer stimmtherapeutischen Behandlung – gründete sie ihr eigenes Institut. Aus der Krise sollst du lernen. Dass sie mittlerweile die Kraft und Schönheit ihres lyrischen Soprans wiedergefunden, dass sie in Sachen Bühnenpräsenz nichts eingebüßt, eher gewonnen hat, all dies kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Band zu den Intendanten der großen Häuser abgerissen ist. Will sagen: Wie man wieder anfängt nach einer Niederlage, auch dies kann man lernen von Alexandra von der Weth.
Bliebe die Gretchenfrage nach den Früchten, nach dem, was landläufig „messbarer Erfolg“ heißt. Was für die singende Tischlerin Nicole gar nicht besonders ausschlaggebend ist. Und doch, einiges muss hängen geblieben sein. Beiläufig erzählt sie während der Stunde, dass es da neulich in der Werkstatt eine kleine Auseinandersetzung mit einem Arbeitskollegen gegeben habe. Und als sie die Szene kurz nachstellt, unter Verwendung eines in Tonlage und Gestus ziemlich unmissverständlichen Kraftausdrucks, erntet sie den ebenso stummen wie anerkennenden Gesichtsausdruck ihres Coachs. Geht doch! Hauptsache gut bei Stimme.
Georg Beck |