Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


Portrait

Am Kap der guten Stimmen

Der Chor der Cape Town Opera · Von Christoph Forsthoff

„Caro mio ben?“ Nein, von der berühmten Arie hatte Bukelwa Velem noch nie etwas gehört – und Italienisch verstand die Südafrikanerin schon gar nicht. Doch der Chorleiter drückte ihr die Cassette mit den Klassik-Hits von Giordano, Verdi & Co einfach in die Hand und riet der jungen Frau genau hinzuhören, um sich so auf die Auditions in Kapstadt vorzubereiten.

Singen gehört hier zum Leben wie das Atmen. Foto: Lucienne van der Mijle

Singen gehört hier zum Leben wie das Atmen. Foto: Lucienne van der Mijle

„Ich wusste nicht, was Klassik ist, sondern war nur dankbar für diese Chance“, erinnert sich die heute 32-Jährige, die bis dahin lediglich im Chor in der Schule und der Gemeinde gesungen hatte. „‚Caro mio ben‘ habe ich dann einfach durchs Hören einstudiert – und jedesmal, wenn ich das Lied zuhause übte, haben mich alle gefragt, was ich da denn eigentlich sänge.“

Das ist Vergangenheit. Längst können nicht nur alle in der Familie Velem den Hochzeits-Klassiker trällern, sondern die dunkelhäutige Sopranistin singt inzwischen bereits seit über einem Jahrzehnt im Chor der Cape Town Opera (CTO). Klingt wie ein kleines Märchen oder die Geschichte einer wundersamen Entdeckung – und ist doch Normalität in Südafrika. Sofern sich denn angesichts von Slums, Aids, Hunger und windschiefen Baracken von Normalität sprechen lässt. Und doch können viele der „African Angels“, wie die 23 Chordamen und -herren im Volksmund genannt werden, solche und ähnliche Geschichten erzählen, denn der Gesang ist am Kap der guten Hoffnung ein Teil des Alltags, von der Geburt bis zum Tod.

„Singen gehört hier zum Leben wie das Atmen“, spitzt Michael Williams die Bedeutung noch zu – und der weiße Südafrikaner muss es wissen, denn der Mann mit dem imposanten, kahlen Schädel leitet Südafrikas einziges Opernhaus mit ganzjährigem Spielbetrieb, das in seiner heutigen Form 1999 gegründet wurde. „Es gibt hier eine wohl einzigartige Tradition des Chorgesangs“, sagt der Intendant. Keine Grundschule noch im kleinsten Dorf ohne nicht mindestens einen Kinderchor, keine Hochschule, an der es nicht gleich mehrere Ensembles gäbe – und in den Gemeinden haben die Kirchenchöre oft einen größeren Anteil an der Gestaltung der Gottesdienste als der Prediger. „Ohne dass deren Mitglieder jemals Gesangsunterricht gehabt hätten, ja, oftmals kennen sie noch nicht einmal Noten“, erzählt CTO-Chorleiter Marvin Kernelle. „Sie machen sich auch keine Gedanken um Technik – viel entscheidender ist für sie, Körper und Stimme in Harmonie zu bringen und sich zu ihren Gefühlen zu bekennen.“

Workshop im Rahmen der National School Tours. Foto: Anton de Beer

Workshop im Rahmen der National School Tours. Foto: Anton de Beer

Manch europäischer Gesangslehrer mag da die Stirn runzeln, doch das Ergebnis begeistert am Ende selbst westeuropäische Opernkenner: Es sei ein „bewundernswürdiger, variationsreicher und aufregender Klang“, der den CTO-Chor auszeichne, befand die Jury des International Opera Award und kürte die African Angels 2013 unter 1.500 weltweit Nominierten zum besten Opernchor des Jahres. Stolz? „Vor allem haben wir uns sehr gefreut, dass damit endlich mal eine positive Nachricht aus Afrika in die Welt gesandt wurde“, sagt Williams. Zudem hat die Auszeichnung daheim den Vorbild-Charakter des Chores für viele Kinder und Jugendliche verstärkt: Reisen doch zehn Sänger jedes Jahr drei Wochen lang 2.000 Meilen durchs Land, um ihre Begeisterung für die Oper weiter in die Schulen zu tragen. Quer durch endlose Halbwüsten und Wüsten in die entlegensten Winkel, jenseits der attraktiven Städte hinein in die Townships, um auch dort die junge Generation für den Gesang und das Musiktheater zu gewinnen.

Wobei: Wirklich gewonnen werden muss hier niemand mehr. Nicht selten schmettern auf den Schulhöfen schon Teenager treffsicher Bravourarien, stimmen Halbwüchsige Mozart-Duette an oder bekennen im Ensemble ihre Leidenschaft für die angeblich überholte und angestaubte Oper. Und so sind denn bei diesen Tages-Gastspielen der CTO neben deren Aufführungen vor allem die Workshops der Profis heiß begehrt, brennen die Schülerinnen und Schüler nach Atemübungen oder ein paar Coaching-Tipps. Denn, auch das ist bei aller Stimm-Verrücktheit klar: Oper bietet gerade für Kinder aus den Armenvierteln die Chance, sich „hochzusingen“. Selbst wenn die staatliche Unterstützung für das Musiktheater hier weit dürftiger ausfällt als etwa in Deutschland und Jobgarantien ein Fremdwort sind. „Doch eben das steigert den Enthusiasmus unserer Sänger für ihre Arbeit eher noch“, hat Williams festgestellt und aus der Not eine Tugend gemacht: Der Intendant entwickelte die Idee, die Oper und vor allem ihren Chor mit Inszenierungen und Shows auf Tour in alle Welt zu schicken. So finden sich im aktuellen Programm „African Angels“, mit dem der Chor im April auf Deutschlandtour ist, neben Verdi-Chören und Gershwin-Songs denn auch Gospels und typische südafrikanische Lieder. Was all diese verschiedenen Genres indes verbindet, ist die Leidenschaft ihrer Interpretation: „In Südafrika leben wir die Musik und denken nicht darüber nach“, sagt Bukelwa Velem. Noch gut erinnert sich die Sängerin an ihre erste Gesangsstunde in der Ausbildung an der CTO: „Ich habe weder mit den Noten etwas anfangen können, noch mit den Erklärungen zur Technik – es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich verstanden habe, wie ich die Gesangstechnik für mich nutzen kann.“ Und ihre Sopran-Kollegin Ernestine Stuurman fügt hinzu: „Europäische Sänger sind geprägt von der Stimmtechnik – bei uns steht die Leidenschaft im Vordergrund.“ Liegt darin das Geheimnis „schwarzer“ Stimmen?

Eine Frage, die Williams entschieden zurückweist: Gesangskunst habe nichts mit der Hautfarbe zu tun – die Einzigartigkeit einer Jessye Norman sei allein in ihrer Persönlichkeit begründet. Und doch ist die Faszination der „farbigen“ Stimmen augen- und ohrenscheinlich; selbst die einzige weiße Sängerin im CTO Chor spricht von einer einzigartigen Weise des Singens ihrer Kollegen, von einer Offenheit, Wärme und Seele in deren Gesang, „als wären sie damit geboren worden“. Ob es daher resultiert, dass Südafrikaner auch im Alltag weit exaltierter zu sprechen pflegen? Dass ihre Stimmen hier eine ganz andere Entwicklung nehmen konnten als im hochtechnisierten Westen? Dass der härtere Alltag ganz andere Farben und Kräfte freisetzt? Oder liegt es am Ende daran, dass die Lust am Neuen – schließlich haben farbige Sänger erst in den letzten zwei Jahrzehnten Einzug auf die Bühne der CTO gehalten – ungeahnte Stimmkräfte freisetzt?

Für Velem ist die Antwort ganz einfach: „Wir lieben einfach Oper.“ Eine elitäre Kunstform, die bis vor zwei Jahrzehnten in Südafrika allein der weißen Minderheit vorbehalten war und mit entsprechendem Argwohn von der heutigen Regierung betrachtet wird, die lieber eine Rückbesinnung auf die eigenen Traditionen propagiert; eine scheinbar überholte Kunstform, die in Europa vielerorts als altbacken und verstaubt gilt – hier, am Kap der guten Stimmen, bekommt sie auf einmal neues Leben eingehaucht. Einfach weil diese Sänger Oper nicht nur lieben, sondern leben.

Christoph Forsthoff

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner