Tanzpoetische Erzählung
David Dawson choreografiert in Dresden „Tristan + Isolde“ ·
Von Vesna Mlakar
Immer wieder die Liebe! Unausweichlich fatal und hinreißend tödlich. Dabei dreht sich in der keltischen Sagenüberlieferung alles um die Unmöglichkeit der Beziehung zwischen dem Königsneffen Tristan aus Cornwall und der irischen Königstochter Isolde: zwei Menschen von edlem Geschlecht und ehrenhaftem Handeln, die nicht dürfen, wozu die Natur und ihr Empfinden sie drängt.
Courtney Richardson als Isolde, Fabien Voranger als Tristan. Foto: Ian Whalen
Dass der Stoff neben einer reichen Gefühlsskala mit Mord, Krieg, Zauber und Intrigen auch politisch Spannung birgt, stellten über Jahrhunderte zahlreiche Dichter, Dramatiker, aber auch Filmregisseure und natürlich Richard Wagner auf dem Gebiet des Musiktheaters erfolgreich unter Beweis. Nur choreografisch wurde die Geschichte bisher kaum beziehungsweise (abendfüllend) gar nicht adaptiert. Dabei kann Tanz Inhalt noch transportieren, wenn die Erzählkraft von Worten schon nicht mehr greift.
David Dawson hat eben dies in seinem zweiaktigen Handlungsballett „Tristan + Isolde“ für das Dresdner Semperoper Ballett versucht. Sein Ansatz: die dramatisch ineinander verwobenen Handlungsstränge mit zahlreichen Nebenfiguren auf ein Minimum zu reduzieren – beziehungsweise den Fokus auf zwei Gegenwelten zu richten, die einerseits als konträre Ensemblekonstellationen, andererseits verkörpert durch das legendäre Liebespaar mit schicksalhaft-erwachsener Wucht aufeinanderprallen. Düster und dunkel ist das von Bühnenbildner Eno Henze mit mobilen Dekorversatzstücken abstrakt und schlicht gelöste Ambiente im kriegsfreudigen Reich von König Marke. Und Raphaël Coumes-Marquet verleiht der entschlossenen Rolle des Anführers stattlich-dynamische Gestalt, wenn er von einem Podest herab mit pointierten Armgesten und wilden Drehungen seine ganz in schwarz gekleideten Mannen in Mitmachrage bringt. Ein starkes erstes Bild, dessen choreografische Nuancen bisweilen das arg gedimmte Licht verschluckt.
Courtney Richardson, Fabien Voranger. Foto: Ian Whalen
Umso größer fällt der Kontrast zur nächsten Szene aus, in der Yumiko Takeshima (von 2006 bis 2014 selbst Erste Solistin der Compagnie) die gesamte Palette frischer Frühlingsfarben in das nüchterne Lichtgrau (Licht: Bert Dalhuysen) der Ausstattung und die leichten Kleidchen von Isoldes Gespielinnen packt. Mit virtuoser Meisterschaft feuert Dawson auch hier ein Feuerwerk an Gruppenverspieltheit ab, das so lange schön anzusehen ist, bis einen die Suche nach den titelgebenden Darstellern vom hübschen Fluss bewegter Belanglosigkeit ablenkt.
„Tristan + Isolde“ ist ein durch und durch ästhetisches Stück, dessen genau betrachtet wenig revolutionäre Choreografie von einer engagierten Compagnie auf höchstem Leistungsniveau dargeboten wurde. Für die akustisch filmwirksame Untermalung der sehr tanzpoetisch gelösten Erzählweise sorgte die eigens von dem Polen Szymon Brzóska komponierte Musik, die sich dem Ballett mit ihren (oft absehbaren) Verschiebungen mal in Richtung eines sirrenden Minimalismus, mal hin zu einem trommelseligen Aufbrausen der Instrumente wie ein Klangteppich aus zeitgenössisch dichter Orchestertonalität anpasste. Dem klassisch fundierten, modernen Bewegungsduktus des Briten stellte sie jedenfalls keine Hindernisse in den Weg. Doch die akustisch wiederkehrenden Schleifen von sich aufladenden und wieder abschwellenden Melodiebögen ließen das Potenzial vermissen, ein Publikum emphatisch im Sinne der tragischen Amour fou mitzureißen.
Kernstück von Dawsons in vieler Hinsicht sphärischen Inszenierung waren die beiden phänomenal disponierten Hauptprotagonisten, die in vier groß angelegten Pas de deux mehr als bloß in die Vollen gingen. Kraftdurchströmt und bis in die Fingerspitzen ausdrucksstark tanzte Courtney Richardson eine von der ersten Gefühlsirritation bis hin zum demütigen Geständnis des Ehebruchs am Hochzeitstag beeindruckend glaubwürdige Isolde. Fabien Voranger dagegen musste sein Profil als Individuum mit Herz und Seele erst nach dem brutalen Totschlag von Isoldes Onkel und seiner Verletzung entwickeln.
Die Interpreten nutzen jede noch so winzige Gelegenheit, sich emotional in den Sound hineinzuwerfen und ein Maximum aus den wenigen die Handlung zuspitzenden Momenten für ihre Charaktere herauszuholen. Ihre Uraufführungsbegeisterung hierfür manifestierten die Dresdner am 15. Februar denn auch in einem lang anhaltenden Applaus für die Tänzer. Den ehemaligen Hauschoreografen Dawson mitsamt Produktionsteam schlossen sie in ihren Jubel ein.
Vesna Mlakar |