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Aktuelle Ausgabe

Editorial von Tobias Könemann
Im toten Winkel der Gesellschaft?

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Strohhalm Energiefonds

Nachhaltigkeit durch Transformation
Der Theater-Staffellauf fürs Klima und das Netzwerk „Performing for Future“

Ein Fest fürs Auge
Die „freien“ Tanzcompagnien der Komischen Oper und der Deutschen Oper in Berlin

Wagner für das „Volk“
Sonderausstellung im Richard-Wagner-Museum Bayreuth

Schwerpunkt

Etwas bringt Dich dorthin …
Serge Honegger im Gespräch mit Jordi Roig

Zwischen Schein und Wirklichkeit
Das Theater und die Illusionskunst

Die Maschine und die Ästhetik im Barock
Aus „Poiesis der Maschine“

Ein Traum von Wirklichkeit
Überlegungen anlässlich eines Besuchs in der Theaterstadt Meiningen

Dance Machines
Spitzentechnologie als Kulturtechnik

Die Fabrik der Träume
Wie Opernwerkstätten Illusionen erzeugen. Ein Besuch beim Bühnenservice Berlin

Täuschende Illusionskraft
Über die Darstellung von Massenszenen im Musiktheater

Machen Sie mal den Lachstest
Gedanken über das „illusionistische Komponieren“

Digitale Landschaften
„Beyond Lightscapes“, ein zukunftsweisendes Projekt in Neubrandenburg

Berichte

Aus Japan und Sibirien
„Madame Butterfly“ und „Sibirien“ bei den Bregenzer Festspielen

Das Wunder der Musik
Musiktheater bei den Salzburger Festspielen

Von Utopie und Scheitern
Richard Wagner und Ernest Chausson bei den Tiroler Festspielen Erl

Wagner-Marathon in Leipzig
Mit 13 Bühnenwerken Richard Wagners beendet Ulf Schirmer seine Intendanz

Ein Teil der deutschen Kultur
Barrie Kosky’s All-Singing, All-Dancing Yiddish Revue in der Komischen Oper

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Chordirigentenpreis – BAG-Urteil Arbeitszeiterfassung – NV Bühne-Manteltarifverhandlungen

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Spielpläne 2022/2023

Schwerpunkt: ILLUSION & BÜHNE

Die Fabrik der Träume

Wie Opernwerkstätten Illusionen erzeugen. Ein Besuch beim Bühnenservice Berlin

Eine große Stofffläche, 10 mal 15 Meter, straff auf den Boden gespannt. Verschiedene Grautöne. Oben ein von Wolkenschlieren durchzogener Himmel, darunter eine schimmernde Wasserfläche, rechts ist ein Uferstreifen zu erkennen, von dunklen Bäumen gesäumt. Ein Prospekt für „Schwanensee“. Wenn er fertig ist, wird er wie eine fotorealistische Landschaft erscheinen.

Martina Arnold im Malsaal. Foto: Vivian J. Rheinheimer

Martina Arnold im Malsaal. Foto: Vivian J. Rheinheimer

Noch ist an manchen Stellen der weiße Tüll zu sehen. Mitten auf dem Stoff steht die Theatermalerin Rica Mende, über eine dicke Schicht aufgestreuter Sägespäne gebeugt. Mit einem Spachtel zeichnet sie Wellen in die Späne. Schiebt sie zu kleinen Häufchen zusammen, wischt vorsichtig feine Linien frei. „Das ist der Trick dabei!“, erklärt der Leiter des Malsaals, Maik Sinz. Denn die Späne, die am Ende weggefegt werden, sorgen für einen Pixel-Effekt, der die Illusion eines Fotos hervorruft. Die Farbe wird dabei in vielen Durchgängen mit der Spritzpistole aufgesprüht. „Wenn man sie mit dem Pinsel auftragen würde, wäre der Duktus des Pinsels sichtbar. So gibt es keine harten Linien, alles erscheint pixelig aufgelöst.“ Und das Material selbst, Gobelintüll, ist ein Stoff, aus dem magische Theatermomente gewebt werden: „Eine Landschaft auf der Bühne, dann kommt von hinten langsam Licht, und auf einmal tauchen die Personen auf, die hinter der Landschaft stehen. Oder die Bühne erscheint wie im leichten Dunst, so dass die Konturen der Tänzerinnen und Tänzer etwas unscharf sind – das sind Dinge, die mit einem solchen Tüll erzielt werden.“

„Wir sind eine Fabrik der Träume“, sagt Rolf D. Suhl, der Geschäftsführer des Bühnenservice Berlin, beim Rundgang durch die Werkstätten. „Die Regisseure und Bühnenbildner träumen, und wir setzen ihre Träume in die Realität um.“ Und das in beinah industriellem Ausmaß. Der Bühnenservice Berlin ist nach eigenem Bekunden der größte „Theaterdienstleister“, wie es etwas beamtenmäßig heißt, in Deutschland. In den Werkhallen nahe dem Berliner Ostbahnhof werden auf einer Fläche von 25.000 Quadratmetern Kostüme und Dekorationen für rund 70 Produktionen im Jahr hergestellt, hauptsächlich für die drei Berliner Opernhäuser, das Staatsballett, das Deutsche Theater, das Theater an der Park-aue. Schlosserei, Tischlerei, Tapezierwerkstatt, Damen- und Herrenschneiderei, Schuhmacherei, Hut- und Putzmacherei, Malsaal, Theaterplastik: Gut 200 Menschen sind damit beschäftigt, aus Träumen Theaterrealität werden zu lassen.

In der riesigen Montagehalle, in der die Bühnenbilder probeweise aufgebaut werden, liegt eine dicke dunkelbraune Lehmschicht auf dem Boden. Zumindest sieht es so aus. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Gummimatte mit täuschend echten Schlammspuren. Langsam hat man sich in Gesprächen mit dem Bühnenbildner, der sich für eine „Fidelio“-Produktion echten Lehm wünschte, an diesen Kompromiss herangetastet: „Die Illusion muss eingerollt, verpackt und wieder ausgerollt werden können“, erklärt Rolf D. Suhl, denn im Repertoire-Betrieb „müssen die Bühnenbilder mit all ihren Unterkonstruktionen und ihren vielen Einzelteilen so gestaltet sein, dass sie in kurzer Zeit auf- und abgebaut werden können“.

Insgesamt 100 Kabeljaus in „Lady Macbeth von Mzensk“ an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Marcus Lieberenz

Insgesamt 100 Kabeljaus in „Lady Macbeth von Mzensk“ an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Marcus Lieberenz

Emporragende Bäume, steinerne Säulen, Betonplatten auf dem Boden: alles im Original viel zu schwer für den Bühnenbetrieb. Holzvertäfelungen für eine mondäne Halle werden in kunstvoller Handarbeit auf Sperrholz gemalt, eine natürliche Maserung wäre aus dem Zuschauerraum ohnehin nicht zu erkennen. Ein Fußboden aus Riffelblech: günstiges PVC, dem mit Folienfarbe zu metallischem Glanz verholfen wurde. Die griechische Säule mit dem aufwändigen Kapitell: mithilfe der Tiefziehmaschine und erhitzter Kunststofffolie hergestellt – leicht und trotzdem originalgetreu.

Die Werkstatt der Theaterplastik ist erfüllt vom lauten Surren der Seilsäge, mit der Styroporquader zugeschnitten werden. Styropor, leicht, stabil und bildhauerisch gut zu bearbeiten, ist eins der wichtigsten Materialien für die Theaterplastiker. Ihr Reich gleicht einer Wunderkammer: Werkzeuge aller Art, Sägen, Winkelschleifer, Zangen, Feilen, Raspeln, viele davon selbstgebaut. Farbeimer, Pinsel, Leimtöpfe. Kästen voller Schrauben, Holzkeile, Klammern. An den Wänden und auf Regalbrettern Schaustücke aus vergangenen Produktionen: römische Statuen und Reliefs; ein geflügelter Drache mit weit aufgerissenem Maul, der aussieht wie der Wasserspeier einer gotischen Kathedrale; Grünpflanzen mit filigranen Blättern; ein täuschend echt wirkender großer Kabeljau – einer von mehr als 100 aus einer Produktion von Dmitri Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ an der Deutschen Oper, die der norwegische Regisseur Ole Anders Tandberg in einer Fischfabrik angesiedelt hatte. Damals wurde im Großhandel ein stattliches Exemplar als Vorlage bestellt. „Morgens um 4“, erinnert sich Geschäftsführer Rolf D. Suhl, „erhielt der Leiter der Plastik-Abteilung einen Anruf, der Fisch sei da“. Das fangfrische Exemplar wurde eilends herbeigeschafft und mit Gips abgeformt, die Negativ-Form mit Silikon ausgegossen, so dass die künstlichen Fische weich waren und beweglich. „Der Theatermaler, der die 100 Kabeljaus bemalen musste, war danach fast reif für die Psychiatrie!“

Francesca Ercoli rechnet mit anderthalb Tagen Arbeit für den Ast eines mächtigen Baumes, an dem sie gerade schnitzt. Mannshoch, sieht er noch ziemlich winklig aus wegen des stählernen Gerüsts aus der Schlosserei, auf das die Styroporlatten aufgesteckt sind. Allmählich schälen sich organische Formen heraus, werden die Linien weicher und natürlicher. Ab und zu tritt sie zurück, wirft einen prüfenden Blick auf ihr Werk, studiert noch einmal das Modell des Bühnenbildners. „Irgendwann“, sagt sie, „bekommt es eine innere Logik, dann sollte man aufhören, auf das Modell zu schauen.“ Ohnehin geht es vorläufig nur um die grobe Gestaltung – richtig spannend, findet Francesca Ercoli, werde es, wenn Stamm und Äste zusammengesetzt werden und es an die Feinheiten gehe. Bis der Baum dann in voller Pracht in der Montagehalle steht, wird noch einige Zeit vergehen. Geduld gehört zu den Tugenden in einer Opernwerkstatt, ebenso wie Kreativität. Beides ist unabdingbar für die perfekte Illusion.

Eva Blaskewitz

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