Rezensionen
Neue Opern im Dritten Reich
Claudia Maurer Zenck (Hg.): Neue Opern im „Dritten Reich“. Erfolge und Misserfolge. Waxmann Verlag Münster 2016. ISBN 9783830933359, 292 S., 34,90 Euro
Die Studien dieses Bandes verfolgen das Ziel herauszufinden, warum einige im Dritten Reich neu komponierte Opern besonders erfolgreich waren, andere dagegen nicht. Dazu wurden an Werke von Paul Graener, Mark Lothar, Norbert Schultze und Rudolf Wagner-Régeny folgende Fragen gestellt und mittels kompositorischer, biographischer und (kultur-)historischer Analysen zu beantworten gesucht: Welche Intention verfolgten Librettist und Komponist in der damaligen kulturpolitischen Situation mit ihrem Werk? Wie schlug sich diese Intention textlich im Libretto und musikalisch in der Komposition nieder? Bestehen ästhetische und kompositionstechnische Unterschiede zu anderen Opern des Komponisten, die während, aber auch vor und nach dem Dritten Reich geschrieben wurden? Wie rezipierten die jeweiligen Zeitgenossen, die Kritiker (mit unterschiedlicher Nähe zur NS-Ideologie) und, wenn fassbar, das Publikum diese Opern? Und, falls das Werk nach 1945 wieder gespielt wurde: Wie wurde die Oper später aufgenommen und wie ihre Rezeption im Dritten Reich behandelt?
Mustertext
Am Institut für Historische Musikwissenschaft der Universität Hamburg wird seit drei Jahrzehnten die Musikgeschichte der 1930er- und 1940er-Jahre untersucht. Dabei gilt der Biographie und den Werken exilierter und verfolgter Musiker sowie der Musik, die innerhalb des Dritten Reiches komponiert wurde, gleichermaßen das Interesse der Forschenden und Lehrenden sowie der Studierenden. Das Projekt, dessen Ergebnisse in diesem Sammelband festgehalten sind, wurde daher von einer kleinen, gemischten Arbeitsgruppe durchgeführt.
Emporkömmlinge stellen sich einerseits gezielt in große Traditionen und gerieren sich andererseits als die großen Innovatoren. Bestechendes Beispiel dafür sind die nationalsozialistischen Kulturbarbaren: Ihr „tausendjähriges Reich“ reklamierte für sich, in der Kunst zu bewahren, was „teutsch und echt“ sei, und nach den sogenannten „Verfallsjahren“ der Weimarer Republik eine neue deutsche Kunstepoche einzuleiten. Das gilt auch für den Bereich des Musiktheaters.
Ein bestechend konzipierter und dann auch sprachlich beeindruckend klar formulierter Sammelband des Instituts für Historische Musikwissenschaft der Universität Hamburg stellt nun anhand der Bühnenwerke von Rudolf Wagner-Régeny, Norbert Schulze, Mark Lothar und Paul Graener Erfolge und Misserfolge vor – und analysiert historisch sowie soziologisch differenziert Hintergründe, Strategien und Folgewirkungen. Dabei hat die federführende emeritierte Hamburger Professorin Claudia Maurer Zenck ihre sechs Mitautoren nicht nur wissenschaftlich alles biographische Material samt aktueller Sekundärliteratur zu den ausgewählten Komponisten bearbeiten lassen, die Autoren-Duos dabei sprachlich auf ein bruchlos gleichwertiges Niveau einschwören können, sondern alle auch zu einer analytisch-kritischen Grundhaltung verpflichtet. Parallel zur sogenannten „inneren Emigration“ etlicher Literaten reklamierten ja die Komponisten speziell nach 1945 die „verdeckte Schreibweise“ für sich – und diese versuchte Beschönigung der belegbaren Anpassung an die NS-Musikpolitik wird mit 53 exemplarischen Notenbeispielen und vielen Libretto-Zitaten widerlegt. Eindrucksvoll entlarvt wird auch die jeweilige Streichung und Umformulierung von nicht-NS-konformen Textstellen samt der damit einhergehenden musikdramatischen Abmilderung und auch Banalisierung herausfordernder Grenzsituationen zum Beispiel von Büchner-Texten in Wagner-Régenys „Günstling“, von Kleists Jamben-Sprache in Graeners „Prinz von Homburg“, aber auch in Norbert Schultzes vermeintlich unpolitischen Märchenopern wie „Schwarzer Peter“ und „Das kalte Herz“.
Eindeutig erkennbar wird, dass die von Goebbels 1936 monierte „Dürre“ im Bereich der Oper nicht behoben wurde. Während sich die NS-Künstler Thorak, Breker oder Troost in Gigantomanie austobten, gelang den Komponisten eben genau vergleichbare Heroik nicht: So wirken etwa Wagner-Régenys „Bürger von Calais“ zwergenhaft vor der Expression von Rodins Plastik und der sprachlichen Wucht von Georg Kaisers Drama; seine „Johanna Balk“ darf nicht mit Judith, Leonore oder anderen heroischen Frauen in einem Atemzug genannt werden.
So bleibt als Fazit: Graeners 1938 geforderte Ausstellung „Der entartete Hörer“ zielte absurd ins Leere, denn die vier ausgewählten Komponisten, aber auch ein Georg Volkmann oder Julius Weismann konnten den von den NS-Musikideologen durchgesetzten „Wegfall zahlreicher jüdischer und fremdländischer oder sonstwie unerwünschter Werke“ nicht ausgleichen. Die NS-Forderung nach der neuen „Volksoper“ wurde nicht erfüllt. Nicht nur im Bereich der Operette, sondern generell ist ein Zug zur „De(s)intellektualisierung“ festzustellen. Die von Richard Freymann 1942 konstatierte „Eclipse of German Music Hegemony“ war Realität. All das belegt der Sammelband unideologisch glasklar. War bislang oft bei kritischer Opern-Analyse auf englische Fachliteratur zurückzugreifen: Hier liegt ein glänzendes Beispiel aus der deutschen Musikwissenschaft vor.
Wolf-Dieter Peter
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