Berichte
Keine Chance für die Liebe
»Die Hugenotten« in Würzburg
Sie könnte einfach nur herzergreifend sein: die Geschichte von Valentine und Raoul, zwei sich Liebenden aus verfeindeten Lagern. Zugegeben, der Stoff wirkt bekannt. Doch müssen alle Geschichten à la Romeo und Julia in einer Katastrophe münden? Der Erzähler will nicht daran glauben. Also setzt er alles daran, dass die Fabel gut endet. Doch jede Mühe ist umsonst. Mitsamt den Liebenden wird er von Hass und Fanatismus überrollt. Als das einst leuchtend-weiße Kostüm des Fabelerzählers längst blutbeschmiert ist und er am Boden liegt, greift der meuchelnde Mob noch zum Messer und labt sich an seinem Blut zum finalen Massaker.
Mit einer überraschenden und beeindruckenden Interpretation vom Zivilisationsverfall nähert sich Regisseur Tomo Sugao Giacomo Meyerbeers Opernspektakel „Die Hugenotten“. Im Oktober feierte die knapp vierstündige Inszenierung ihre umjubelte Premiere am Mainfranken Theater im unterfränkischen Würzburg.
Uwe Stickert als Raoul de Nangis und Silke Evers als Page sowie Mitglieder des Opernchores des Mainfranken Theaters. Foto: Nik Schölzel
Als „einen der vergessensten Opernkomponisten“ bezeichnet Würzburgs Operndirektor Berthold Warnecke Giacomo Meyerbeer (1791-1864). Denn tatsächlich stieg dieser in Paris zum König der internationalen Opernszene auf. Seine „Hugenotten“ wurden zwischen dem Uraufführungsjahr 1836 und 1936 allein in Paris mehr als 1.100 mal gespielt. Dass er in Vergessenheit geriet, mag daran liegen, dass der Aufwand, Grand Opéra zu inszenieren, späteren Theatermachern schlicht zu hoch war. Seit einigen Jahren erlebt Meyerbeer seine Wiederentdeckung. In dieser Spielzeit sind „Die Hugenotten“ mit Kiel, Würzburg und Berlin an drei deutschen Theatern zu sehen.
Der japanische Regisseur Tomo Sugao, Jahrgang 1979, ist in Würzburg interpretationsfreudig. Im Stile einer Fabel nähert er sich modellhaft der Frage, was die Verführung von Massen auslösen kann. Der historische Hintergrund: Im Frankreich des 16. Jahrhunderts kommt es zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten. Sie erfahren in der Bartholomäusnacht am 24. August 1572 ihren grausamen Höhepunkt, mehr als 1.000 Menschen sterben in Paris. In dieses Szenario bettet Meyerbeer die tragische Liebe von Valentine und Raoul.
Sugao erschafft mit seiner Interpretation zunächst einmal eine Hommage an das pralle Pariser Opernleben des 19. Jahrhunderts, in dem sich Meyerbeer bewegte. Auf der Bühne stehen Bühnen (Bühnenbild: Julia Katharina Berndt), der genannte Erzähler (Barbara Schöller) lenkt zumindest im ersten Teil die Figuren durch die Handlung. Männer tragen glitzernden Fummel, schwere Ketten und Strapse, die Königin ist in Samt und eine überlange Schleppe gekleidet mit hochaufgetürmter Perücke (Kostüme: Pascal Seibicke). Es wird gefeiert, getrunken, geliebt.
Doch der blinde Fanatismus der Realität lässt keinen Platz für eine Spaßgesellschaft, Theater und die Liebe. Der Zeremonienstab des Erzählers zerbricht und er wird vom blutdürstenden Mob ermordet. Kostüme weichen Straßenkleidung, Schminke verläuft, die Bühnen auf der Bühne verschwinden. Das Publikum ist beklemmend eng Teil des Mobs, als der Chor aus dem Zuschauerraum singt. Beim finalen Massenmorden blickt das Publikum in einen leeren, schwarzen Raum, Orchesterklänge werden unterbrochen von Schüssen. Der Moment wühlt auf, denn im Zuschauerkopf sterben nicht nur die Protagonisten eines Theaterstücks. Zu präsent sind reale Bilder in Zeiten, in denen man täglich erfährt, wie Fundamentalismus Massen erfassen kann und welche verheerenden Folgen Glaubenskonflikte nach sich ziehen können.
Im Orchestergraben lenkt Generalmusikdirektor Enrico Calesso sein Philharmonisches Orchester Würzburg durch eine hochanspruchsvolle Partitur zwischen lyrischen Arien und monumentalem Klang. Aus der Ouvertüre tönt leichte Unsicherheit, teilweise gerät das Orchester aus dem Takt. Im Laufe des Abends gewinnen die Musiker an Sicherheit. Großen Applaus verdienen sich bei der Premiere Opernchor und Extrachor des Mainfranken Theaters unter Leitung von Anton Tremmel. Sie transportieren das Rauschhafte, Aufwühlende, erschreckend Mitreißende der Ereignisse treffsicher.
Mit der französischen Sopranistin Claudia Sorokina als Königin Marguerite de Valois und dem lyrischen Tenor Uwe Stickert als Raoul de Nangis hat Operndirektor Berthold Warnecke gleich zwei herausragende Meyerbeer-Interpreten als Gastsänger nach Würzburg geholt: Die beiden – in ihren Rollen erfahren – liefern für Würzburg keinesfalls selbstverständliche Gesangsleistungen ab. Da überrascht umso mehr, dass Ensemblemitglied Karen Leiber als Valentine durchaus mithalten kann. Sie bewegt sich sicher zwischen anrührender Zartheit und eindringlicher Dramatik. Bravo-Rufe schenkt das Würzburger Publikum unter anderem auch den Ensemblemitgliedern Silke Evers als Page und Daniel Fiolka als Graf von Nevers. Das Mainfranken Theater Würzburg eröffnet die Opernspielzeit mit einer gelungenen Premiere voller rauschhafter Klänge, mit fulminanten Sinneseindrücken und hervorragenden Regieideen. Stehende Ovationen.
Michaela Schneider |