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Wenn die Bühne Laufsteg wird

Das Engagement von Modedesignern für Theater, Revue und Oper

Die schwarzen Federn ihrer Pickelhaube erzittern, als Helena Polciková (33) an den spitzen Plastikkörbchen ihres BHs ruckelt. Alles sitzt. Die Latexjacke, die von ihrer linken Schulter gerutscht ist, der schwarze Tüll, der sich um ihre Oberschenkel bauscht. Dramatisch sieht das aus. Als wäre Polciková auf dem Weg zu einer Techno-Party der 1920er-Jahre. Ist sie aber nicht. Und sie trägt auch kein Outfit für die Halloweenparty des Berliner Szeneclubs Berghain.

Polciková ist eine der 60 Tänzerinnen und Tänzer, die in der neuen Revue „THE ONE Grand Show“ am Berliner Friedrichstadt-Palast tanzen. Die Kostüme der Inszenierung, die Pickelhauben und Latexjacken, Netzstrumpfhosen und Nietenhüte hat der Modedesigner Jean Paul Gaultier (64) entworfen.

Deutsche Oper Berlin: „Der Barbier von Sevilla“ mit Kostümen von Guido Maria Kretschmer. Foto: Marcus Lieberenz

Deutsche Oper Berlin: „Der Barbier von Sevilla“ mit Kostümen von Guido Maria Kretschmer. Foto: Marcus Lieberenz

Es sei sein absoluter Traum gewesen, nach 40 Jahren Modenschau, nach Haute Couture und Fotoshootings, ein Revue-Ensemble einzukleiden. Das betont er immer wieder. Mit dem Tanztheater habe nämlich sein Wunsch, Modedesigner zu werden, begonnen. Als er bei seiner Großmutter vor dem Fernsehen sitzt – Gaultier geht noch zur Schule und ahnt nichts von den Spitz-BHs, mit denen er später Madonna berühmt machen und Kylie Minogue oder Beyoncé einkleiden wird –, da sieht er die Übertragung einer Revueshow der Pariser Folies Bergère. Und ist begeistert. Diese Kostüme, die Atmosphäre, all der Glitzer und die Versprechen der Bühne ziehen ihn in den Bann. Am nächsten Tag zeichnet er in der Schule Kostüme, Mannequins in Netzstrumpfhosen und Federn. Als er dann, vor zwei Jahren ungefähr, eine Show im Berliner Friedrichstadt-Palast besucht, ist ihm klar: Da möchte ich jetzt auch mitarbeiten – um den Kindheitstraum endlich zu erfüllen. Klar, dass der Palast-Intendant Berndt Schmidt (54) sofort begeistert ist von Gaultiers Wunsch.

Friedrichstadtpalast: „THE ONE Grand Show“ mit Kostümen von Jean Paul Gaultier. Foto: Tobias Schwarz/AFP

Friedrichstadtpalast: „THE ONE Grand Show“ mit Kostümen von Jean Paul Gaultier. Foto: Tobias Schwarz/AFP

Es scheint ein Trend zu werden, Modemacher auf die Bühne zu holen. Nicht nur der Friedrichstadt-Palast hat das für sich entdeckt. Vor wenigen Wochen feierte Mozarts „Così fan tutte“ Premiere an der Deutschen Oper in Berlin. Auf der Bühne: Harlekinkostüme, Lackkleider, fließende Stoffe in Neon-Signalfarben, viel Pink und Sonnengelb. Es sind die Kreationen des Berliner Modedesigners Michael Sontag (36). Obwohl seine Drapierungen und Asymmetrien eher auf Laufstegen denn auf der Opernbühne beheimatet sind, gab Sontag gemeinsam mit Regisseur Robert Borgmann sein Operndebüt. Mozart habe ihn einfach gereizt, sagte er. Die Arbeit für die Bühne sei fantasievoll gewesen. Das habe Spaß gemacht. Auch in der vergangenen Spielzeit waren an der Deutschen Oper unter dem Intendanten Dietmar Schwarz die Entwürfe eines gefragten Designers zu sehen. Der Brite Hussein Chalayan staffierte das Ensemble von „Entführung aus dem Serail“ aus. Wird die Theaterbühne jetzt zum Laufsteg? Nur auf den ersten Blick erscheint das abwegig. Denn auch der Laufsteg ist eine Bühne. Auch dort geht es um Inszenierung, um Show, um Dramatik. Die Crux entsteht erst beim Zusammenspiel von Mode und Inhalt des Stücks. Ist der Spagat zu groß, gerät die Inszenierung seelenlos. Gelingt es den Modemachern, Geschichten zu erzählen?

Für Schmidt, der den Friedrichstadt-Palast seit neun Jahren leitet, ist Gaultier nicht der erste Modemacher, den er an seine Bühne holt. Das hat er schon öfter gemacht, mit Michael Michalsky zum Beispiel. Auch Christian Lacroix und Thierry Mugler verpflichtete er für seine pompösen Shows. Dabei sind alle drei bisher nicht als Kulturschaffende oder Kostümbildner bekannt. Die Arbeit mit solchen Weltklassedesignern sei schweißtreibend, sagt Schmidt. Was er damit meint: Sich der Bühne anzupassen, die Bewegungen der Tänzer einzukalkulieren, die Anforderungen der Rollen, Charaktere und Figuren miteinzubeziehen, das ist zeit- und empathieaufwändig. Dazu kommt der oftmals volle Terminkalender eines Modedesigners von Weltklasse und, klar, zahlreiche Absprachen mit Choreografen, Regisseuren, Dramaturgen. Sogar das Licht will abgestimmt sein. Kompromisse sind da an der Tagesordnung. Dennoch wollte Schmidt nicht darauf verzichten. Denn seine Revueshows, die dem Friedrichstadt-Palast immer wieder Rekordzuschauerzahlen bescheren, funktionieren eben so. Die brauchen diese Opulenz und Exzentrik. „Revue ist eine verschwenderische Kunstform“, sagte er kürzlich, „das muss optisch die absolute Überwältigung sein.“ Bereits in der vergangenen Saison scheint Schmidt mit diesem Revuerezept etwas richtig gemacht zu haben. Über 780.000 Zuschauer, mehr als jemals zuvor, haben eine der „The WYLD“-Shows besucht. Und so die Kostüme von Thierry Mugler gesehen.

Figurine von Gaultier: Design zu Helenas Bühnenoutfit

Figurine von Gaultier: Design zu Helenas Bühnenoutfit

Helena Polciková, die in der Eröffnung der Gaultier-Show am Friedrichstadt-Palast mit Pickelhaube und Latexjacke tanzt, gehört seit sechs Jahren dem Ensemble des Palastes an. Dass sie nun in einem der 500 Gaultier-Kostüme tanzt, die der französische Modezar eigens für die neue Revue entworfen hat, das empfinde sie als eine Ehre, sagt sie. Es verändere auch ein bisschen ihr Tanzen. „Wenn man vor der Show müde ist und dann in eines der Kostüme schlüpft, fühlt man sich gleich besser. Es motiviert sehr“, sagt sie. Als sie ihr Kostüm, den Tüllreifrock und die hohen Schuhe zum ersten Mal sieht, geht es ihr jedoch noch nicht so. Da fragt sie sich: „Kann ich damit tanzen?“ Sie kann – seit Gaultier ein paar Änderungen am Outfit vornahm. Denn die Schuhe waren zu unbequem zum Tanzen, der Rock zu lang, die Jacke flog ihr beim Rennen von der Schulter. Klar, auf dem Laufsteg oder bei einem Fotoshooting wäre das alles kein Problem. Aber die schnellen Bewegungen auf der Bühne und diese extravagante Choreografie erfordern totale Präzision. Da darf nichts zwicken oder zwacken. Oder rutschen. So wie die Handschuhe der Neoprenanzüge, die Gaultier entwarf. Da tanzt das Ballettensemble Twist im Schwimmerlook – mit kleinen Flossen, Taucherbrillen und Schwimmkappen –, aber die Flossen verhaken sich beim Paartanz in den Kostümen, und die behandschuhten Hände gleiten aneinander vorbei. Da war klar, dass Gaultier nochmal ran muss. Aber das sei kein Problem gewesen, sagt Polciková. „Er ist oft bei den Proben dabei gewesen und hat sehr leidenschaftlich mitgearbeitet“, sagt die 33-Jährige. Und er habe sofort eine neue Idee gehabt, wenn sich die alte als bühnenuntauglich erwiesen habe.

Darauf kommt es an. Denn das ist ein Spagat, den ein Modedesigner auf dem Laufsteg eben nicht macht. Auf der Bühne müssen die Stoffe jede Bewegung mitmachen, am besten waschbar sein und länger als einen Abend halten. So gar nicht Haute Couture eben. Tänzerinnen und Tänzer sind ja auch keine Models. „Es kann viel schief gehen, wenn man die beiden Welten, Mode und Theater, nicht zusammenkriegt“, sagt Schmidt. Es darf eben nicht in einer Verrenkung enden, wenn Mode und Theater eine gemeinsame Geschichte erzählen wollen – so wie bei dem britischen Designer Hussein Chalayan. Als er sich vor wenigen Monaten am Mozart-Stück der Deutschen Oper beteiligte, ging das Zusammenspiel nicht gut aus. Die Rodrigo-Garcia-Inszenierung der „Entführung“ arbeitet mit Monstertrucks, Drogenkrieg und Eskalation. Da nützen auch Chalayans Kostüme, die wallenden Morgenmäntel und Bustiers, nichts mehr. Ähnliches passierte auch Christian Lacroix. Als er vor zwei Jahren die Kostüme zur Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ am Berliner Schiller-Theater stiftete, kam das nicht gut an. Seine Glitzeranzüge, die bunten Leggings, Paillettentutus und die regenbogenfarbenen Lockenperücken: Das war zu bunt, zu extravagant. Einfach zu viel für eine Brecht-Oper wie diese.

Auch der japanische Modedesigner Yohji Yamamoto hat auf der Theaterbühne keine guten Erfahrungen gesammelt. 1993 lässt er sich vom Dramatiker Heiner Müller dazu anstiften, mit ihm in Bayreuth „Wagners Operngeschichte zu zerbrechen“. Yamamoto staffiert „Tristan und Isolde“ aus, passend zu Müllers Grunderneuerung des Stücks samt karger Bühne. Er denkt sich allerlei Futurismen aus, Halskrausen und anderes. „Yohji, du bist Karatemeister, also wird dir nichts passieren“, habe Müller hinter dem Vorhang gesagt, „aber die werden gleich Tomaten und Eier werfen.“ Er hatte recht. Beide wurden gnadenlos ausgepfiffen. Niemals würde er das wieder machen, sagte Yamamoto später über die Bühnenerfahrung.

Doch weder ist diese Liaison aus Bühne und Haute Couture sehr neu, noch geht sie immer schlecht aus. Es gibt berühmte Gegenbeispiele. Coco Chanel zum Beispiel. Sie hat in den 1920er-Jahren die Tänzerinnen und Tänzer der französischen Ballets Russes ausstaffiert, Jil Sander das Ballett der Hamburger Oper, Karl Lagerfeld das Wiener Burgtheater, Guido Maria Kretschmer Katharina Thalbachs lärmige Inszenierung „Barbier von Sevilla“ an der Deutschen Oper. Und jetzt eben Gaultier das Berliner Revuetheater.

11 Millionen Euro lässt sich der Friedrichstadt-Palast das Bühnenspektakel kosten. Es ist die bisher teuerste Show des Hauses. „Mehr Kostümaufwand und Kostümreichtum auf einer Bühne geht nicht und hat es auch noch nie vorher irgendwo gegeben“, meint Schmidt. Was er gefühlt habe, als er die Revue zum ersten Mal auf der Bühne gesehen habe und alle Kostüme passten? „Erleichterung und Freude“, sagt Schmidt, „und ich bin stolz auf mein Team gewesen.“ Auch wenn die Gaultier-Show gut ankommt – es gibt Standing Ovations und Ticketverkauf auf Rekordniveau – will er beim nächsten Mal andere Akzente setzen. Die Bühne, sagt er, ist eben doch kein Laufsteg. 

Elisa von Hof

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