Berichte
Auftakt nach Maß
Das Wuppertaler Theater kehrt zum Repertoirebetrieb zurück
Einen Doppelschlag gab es zur Saisoneröffnung am Opernhaus in Wuppertal, einen mit großer Symbolkraft mithin. Bislang war das dortige (Musik-)Theater ja vorwiegend mit Sparbeschlüssen und den daraus resultierenden Folgen in den Medien beschäftigt: Das in ein Provisorium ausgelagerte Schauspielhaus ist seit Jahren marode und geschlossen, das Opernensemble musste aus Kostengründen weg, ein Stagione-Betrieb ohne festes Ensemble sollte die Lösung sein.
Am Ende war auch Intendant Toshiyuki Kamioka weg, der dieses Desaster zu verantworten hatte, und mit Berthold Schneider ist ein neuer gekommen, der es jetzt richten soll. Der Stagione-Betrieb ist nun Geschichte, auch in Wuppertal hat man wieder ein festes Ensemble, eines, das dem bis dato gesichtslosen Abspielort für reisende Opernproduktionen wieder ein persönliches Gesicht und vor allem eine Seele geben soll.
Stationen der Technikgeschichte. Foto: Uwe Stratmann
Der Auftakt dazu war jedenfalls vielversprechend. Das fing schon mit der Wahl des Stückes an: „Three Tales“, die Video-Oper von Steve Reich und Beryl Korot entzieht sich traditionellen Schemata. Oper im traditionellen Sinne ist dieses gut einstündige Stück sicherlich nicht, eher ein musikalisch-cinegrafisches Gesamtkunstwerk. Hier gibt es keine Handlung im engeren Sinn, die mit auf einer Bühne agierenden Sängern operiert, sondern suggestiv geschnittene Bilder von drei wichtigen, auf großen Videoscreens zu sehenden Stationen der Technikgeschichte: Bilder der Explosion des Luftschiffes Hindenburg in New Jersey, der Atombombenversuche auf dem Bikini-Atoll und des geklonten Schafs Dolly, die das Geschehen in all seinen zwischen menschlicher Genialität und Hybris changierenden Facetten zeigen, verschmelzen mit Minimal Music zu einer rauschartigen Symbiose aus Bild und Musik. Das ist keine Massenkost, kein gefälliges Werk, mit dem man es aus gegebenem Anlass mal so richtig krachen lassen kann.
Das tat man dann am darauffolgenden Abend, als „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach gegeben wurden. Vier Akte mit vier Geschichten, von vier verschiedenen Regisseuren inszeniert: auch das eine Idee von Intendant Schneider, die ebenso ungewöhnlich wie reizvoll ist. Reizvoll auch der Auftakt zu der Premiere der „Three Tales“. Da musste das Publikum nämlich im wahrsten Sinne des Wortes selbst Hand anlegen: Steve Reichs „Clapping Music“ galt es aufzuführen, im Grunde nur eine Studie darüber, was passiert, wenn ein und dasselbe Pattern phasenverschoben erklingt. Das Publikum meisterte die Herausforderung ausgezeichnet, nicht zuletzt dank einer pfiffigen Eselsbrücke Schneiders. In Bezug auf den Rhythmus solle man an „Wuppertal – Barmen – Elberfeld“ denken, so sein Ratschlag. Das funktionierte blendend und mag als durchaus aussagekräftiges Symbol dafür herhalten, was eine gesunde Portion Lokalpatriotismus zu bewirken imstande ist.
Auch sonst war der Premierenabend in jeder Hinsicht überaus gelungen. Gespielt wurde auf der großen Bühne, wo auch das Publikum in großen weißen Sesseln Platz nehmen durfte. Leinwände links und rechts, ein den ganzen Bühnenraum einbeziehendes Konzept und – durch das schrittweise Öffnen des Eisernen Vorhangs symbolisiert – ein neugierig machender Ausblick auf die kommende, ganz im Zeichen des neuen Ensembles stehende Saison. Es war also ein Auftakt nach Maß in Wuppertal, woran natürlich ganz entscheidend auch die ausgezeichneten Musiker unter der Gesamtleitung von Jonathan Stockhammer ihren nicht zu unterschätzenden Anteil hatten. Und es war eine angemessene Hommage an Steve Reich, der am 3. Oktober 80 Jahre alt wurde. Vor allem aber machte dieser Auftakt neugierig darauf, was der fulminanten Eröffnung noch alles folgen mag.
Guido Krawinkel
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