Hintergrund
„Sagt nicht,
es ist fürs Vaterland!“
Udo Zimmermanns „Weisse Rose“ hatte 2018 Hochkonjunktur
Zeitlos aktuell, oder? Die Kammeroper „Weiße Rose“ des Dresdner Komponisten Udo Zimmermann konnte in diesem Jahr eine Art Hochkonjunktur erleben, was einerseits mit dem 75. Geburtstag ihres Schöpfers am 6. Oktober zu tun hatte, andererseits aber auch mit dem Datum des 22. Februar 1943. An diesem Tag sind Sophie und Hans Scholl vom damaligen Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von Roland Freisler (dessen Witwe bis 1997 eine sogenannte Kriegsopferfürsorge-Rente erhielt) zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Ihr Vergehen? Sie haben an der Münchner Maximilians-Universität mit Flugblättern gegen die Hitler-Diktatur protestiert und für ein „neues geistiges Europa“ geworben. Daraufhin wurden sie denunziert und nach einem Schnellverfahren umgebracht. „Man kann sich mit dem Nationalsozialismus geistig nicht auseinandersetzen, weil er ungeistig ist“, heißt es in einem ihrer Flugblätter. Das seinem Ende entgegenmordende Regime hatte bis zuletzt eine Höllenangst vor derartiger Aufklärung. Die Geschwister Scholl mussten verschwinden.
„Ihr wärt hier so wichtig, Sophie und Hans“, hat ihnen Jahrzehnte später der Liedermacher Konstantin Wecker ein klingendes Denkmal gesetzt (1988). Und damit auch ihre Bedeutung für heutige Generationen hervorgehoben: „Denn die aufrecht gehn, sind in jedem System/nur historisch hochangesehn.“
„Weiße Rose“ in Altenburg-Gera mit Florian Neubauer als Hans, Yuko Hayashi als Sophie (andere Besetzung als beim Besuch unseres Autors). Foto: Ronny Ristok.
Doch bereits 1968 und dann erneut 1985 mit einem überarbeiteten Libretto von Wolfgang Willaschek hat der Dresdner Komponist Udo Zimmermann in einer Kammeroper die Schicksale der beiden Scholls dargestellt. Seine „Weiße Rose“ ist daraufhin in Ost und West sehr rasch als Exempel für Mut und Widerstand gegen jegliche Unmenschlichkeit angesehen worden. Zeitweise zählte sie zu den meistgespielten Werken des modernen Musiktheaters.
2018, also 75 Jahre nach der Ermordung der Geschwister Scholl, ist das Stück auf Spielplänen von Athen bis London verzeichnet. Allein im mitteldeutschen Raum hat es mehrere Produktionen gegeben.
Den Auftakt hat das Theater Altenburg-Gera gemacht, wo die Studioproduktion von Juliane Stephan als berührendes Requiem gelang. Unter der musikalischen Leitung von Takahiro Nagasaki sorgten Mitglieder des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera für teils extreme Spannung, die aber vor allem den beiden Solisten Emma Moore als Sophie und Florian Neubauer als Hans gelang. Dank einer glaubhaften Jugendlichkeit in Spiel und Gesang wurden die letzten Stunden der Verzweiflung nachvollziehbar, in denen Sophie und Hans Scholl im Gefängnis von München Stadelheim auf ihre Hinrichtung warten mussten.
Studiotheater Belvedere in Weimar mit Benjamin Mahns-Mardy als Hans und Yuko Hayashi als Sophie. Foto: Maik Schuck
Die sensible Regieleistung in der spartanischen Ausstattung von Ronald Winter konzentrierte sich auf wesentliche innere Vorgänge der Akteure und hat sie genau dadurch als beispielhaft dargestellt. Während die Assoziationen zu Botschaft und „Vergehen“ der Geschwister Scholl hier mit realen Flug-Blättern geweckt wurden, ist in einer weiteren Umsetzung der „Weißen Rose“ ein anderer Weg gewählt worden.
Das Theater Chemnitz hat sich – erstaunlich in der sonst so langfristigen Programmplanung – nach den aufsehenerregenden Ereignissen vom August sehr kurzfristig entschlossen, das Fest zum 875. Geburtstag der Stadt mit einer Ko-Produktion der „Weißen Rose“ zu ergänzen. Gemeinsam mit der Städtischen Musikschule entstand daraus eine wache, auch: wachrüttelnde Inszenierung, die im November an der Musikschule herauskam und anschließend auch auf andere Spielorte umgesetzt werden soll.
Hier sangen Katharina Baumgarten und Andreas Beinhauer in einer ebenfalls jugendlich glaubhaften Besetzung. Die von Rebekka Bentzen entwickelte Ausstattung schaffte mehr optischen Eindruck, indem mit einer über und über beschrifteten Wandbespannung gearbeitet wurde. Regisseur Nils Braun ließ so die Entwicklungsvorgänge aus den zunächst ganz in Weiß gekleideten Figuren aufs Publikum übergehen. Extrem wurde dies deutlich, indem zum Schluss die Papierwände zerrissen und zerfetzt worden sind – ein Ausdruck größter Not, der hier aber nicht in Befreiung mündete, doch wie ein zeitlos gültiges Fanal wirken durfte.
Was all diese Produktionen verbindet, ist natürlich das wirkmächtige Ausgangsmaterial von Udo Zimmermann. Sowohl vom Klangmaterial als auch vom Inhalt her ist die „Weisse Rose“ nach wie vor aktuell.
„Weiße Rose“ in Chemnitz mit Katharina Baumgarten als Sophie Scholl und Andreas Beinhauer als Hans Scholl. Foto: Nasser Hashemi
Einen wiederum anderen Weg ist man in Weimar gegangen, wo Studierende der dortigen Musikhochschule gemeinsam mit Kommilitonen aus Leipzig die „Weiße Rose“ umgesetzt haben. Was all diese Produktionen verbindet, ist natürlich das wirkmächtige Ausgangsmaterial von Udo Zimmermann. In seiner Musik tönen Sätze wie „Sagt nicht, es ist fürs Vaterland“ und „Schießt nicht!“, um an Verantwortung zu gemahnen, die nicht nur historisch gemeint ist. Sowohl vom Klangmate-rial als auch vom Inhalt her ist die „Weiße Rose“ nach wie vor aktuell.
Michael Ernst |