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Halb Mensch, halb Wolf

Uraufführung „Der Steppenwolf“ am Mainfranken Theater Würzburg

Der erste Applaus erklingt zaghaft. Das Publikum scheint erschlagen von der Fülle an Sinneseindrücken um Hermann Hesses „Steppenwolf“: Traumbilder zwischen Realität und Fantasie, Klänge, die sich in kein Genre pressen lassen, sinnliche Choreografien, schillernde Kostüme, Poesie und hintersinnige Sprache. Doch schließlich wird eine außergewöhnliche Inszenierung in Regie von Anna Vita am Mainfranken Theater Würzburg mit stehenden Ovationen belohnt. Als Opernuraufführung war sie zunächst angekündigt; der Begriff Musiktheater trifft es besser – und Komponist Viktor Åslund empfiehlt: Der Beobachter solle einfach selbst entscheiden, was er sehe, höre, erlebe.

„Der Steppenwolf hatte also zwei Naturen, eine menschliche und eine wölfische, dies war sein Schicksal…“ heißt es in Hermann Hesses Traktat vom Steppenwolf. Und genau hier liegt die Schwierigkeit für ein Bühnenstück, denn Hesses komplexes Werk handelt überwiegend von Harry Hallers innerer Zerrissenheit, seinem Seelenleben. Librettist Rainer Lewandowski greift zu einem klugen Trick: Er stellt dem bieder-bürgerlichen Harry einen lebendigen Steppenwolf zur Seite – lässt die beiden diskutieren, streiten, kämpfen und auch einmal im Duett singen. Kombiniert mit Steppenwolf-Zitaten und Hesse-Gedichten wird einerseits die Handlung ohne große Kürzungen transportiert, andererseits die sinnreiche Sprache des Autors gewürdigt.

Foto: Falk von Traubenberg

Foto: Falk von Traubenberg

Und was Worte nicht können, gelingt Åslund mit Musik: Er lässt eine Fülle an Emotionen lebendig werden, transportiert Sehnsüchte und Wünsche, wilde Lust und Triebhaftigkeit, Liebe und Hass, ständige Zerrissenheit. Die Komposition entwickelt sich dabei parallel zum inneren Wandel des Protagonisten, nimmt den Zuhörer dadurch klanglich mit auf dessen Reise. Der bieder-bürgerliche Harry Haller liebt Mozart, liebt die Spätromantiker. Entsprechend opernhaft und bewusst steif steigt Åslund in die Komposition ein. Dann allerdings nimmt die Prostituierte Hermine Harry mit in eine neue, nämlich in ihre Welt des Jazz und Shimmy. Eine Jazzcombo sitzt nun auf der Theaterbühne. Im Magischen Theater gesellt sich mit Pablo Musicalhaftes, später auch noch Elektronisches hinzu. Das Faszinierende: So wenig sich die Musik in eine Genre-Schublade stecken lässt, so stimmig kommt doch die Gesamtkomposition daher – mal sperrig, mal herrlich leicht und eingängig, eben wie es auch Harry und seinem Steppenwolf auf ihrem Weg zwischen realer Welt und Fantasie geht.

Der Erste Kapellmeister Sebastian Beckedorf dirigiert gewohnt akkurat und bewusst unaufdringlich. So steuert er das Philharmonische Orchester feinfühlig durch die unterschiedlichen Klangwelten. Der Chor unter Leitung von Michael Clark meistert die kompositorischen Hürden des Åslund-Werks, besticht durch Präzision – und ist zusätzlich gefordert, weil er sich auf der Bühne in Dauerbewegung befindet.

Einen ganz wesentlichen Beitrag zum Uraufführungserfolg leistet schließlich und vor allem auch die Regisseurin Anna Vita. Musiktheater stellt die Ballettdirektorin des Mainfranken Theaters vor eine völlig neue Aufgabe. Trotzdem – und zum Glück – bleibt sie ihrer bildhaften Handschrift treu. Sänger bewegen sich in Choreografie, ein Mozart schwebt tänzelnd durch den Raum. Die Ballettcompagnie erschafft sinnliche, hochpoetische Traumwelten. Bühnenbildnerin Verena Hemmerlein lässt opulent und gleichzeitig abstrahierend Realität und Fantasie verschwimmen. Schillernde Kostüme entführen in die 20er-Jahre. So kommt es, dass das Publikum bei der Überfülle an Sinneseindrücken erst einmal durchatmet vor dem Applaus. Aber: Ein Zuviel kann es beim „Steppenwolf“ nicht geben - wer Hesse kennt, weiß: Der Eintritt ins Magische Theater kostet den Verstand.

Michaela Schneider

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