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Editorial 2016/04 von Gerrit Wedel

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Hintergrund

Phänomen Zeitgenossenschaft

Der Tanzkongress in Hannover

Die vierte Ausgabe des Tanzkongresses hat sich in Hannover der Erforschung von Grenzen und Möglichkeiten körperlicher Ausdruckskraft gewidmet. Zutage gekommen ist dabei eine beeindruckende Vielfalt künstlerischer Positionen.

Die Frau ist noch immer ein Publikumsmagnet. Zur Eröffnung des von der Kulturstiftung des Bundes initiierten vierten Tanzkongresses im Juni in Hannover haben sich rund zwanzig Tänzer und Choreografen aus aller Welt in Boris Charmatz‘ „Musée de la Danse“ als lebendige Exponate zusammengefunden, die – verteilt über das gesamte hannoversche Opernhaus – Momentaufnahmen aus hundert Jahren Tanzgeschichte zeigen. Doch Karine Seneca versammelt die meisten Zuschauer um sich.

„Musée de la Danse“ mit 20 Tänzern. Foto: Anja Beutler

„Musée de la Danse“ mit 20 Tänzern. Foto: Anja Beutler

Ehemalige Fans aus ihrer Zeit als Solistin beim Niedersächsischen Staatsballett applaudieren ihr ebenso wie Tänzerkolleginnen und -kollegen. Der Beifall gilt nicht nur ihren anschaulichen Ausführungen zur Arbeit George Balanchines, sondern ist auch ihrem Enthusiasmus gezollt, mit der sie ihre neue Rolle ausfüllt: Sie lehrt Tanz. Vier Jahre nach dem Abschied von der großen Bühne unterhält die 45-jährige Französin nunmehr eine eigene Ballettschule in ihrer Heimatstadt Cannes. Für Charmatz‘ Projekt trat sie nun ebenfalls als Vermittlerin zwischen Theorie und Praxis auf. Die Phase der Transition, dem Übergang vom Ende der Tänzerkarriere in ein Berufsleben abseits des Rampenlichts, hat sie gemeistert. Einfach sei es indes nicht gewesen. Oft sei sie an Grenzen gestoßen, sagt Karine Seneca, die auch im Mittelpunkt einer Fotoreportage der Fotografin Insa Cathérine Hagemann zum Thema Transition steht. Ein Teil dieser Bilder illustriert das Programmheft zum diesjährigen Tanzkongress, der sich neben dem titelgebenden Thema „Zeitgenoss*in sein“ schwerpunktmäßig auch mit Grenzerfahrungen beschäftigt hat.

Wie beeinflussen und strukturieren Grenzen den Alltag und die Arbeitsprozesse von Künstlern? Welchen Stellenwert nimmt der Körper in übergeordneten und alltäglichen Grenzen und Grenzziehungsprozessen ein, und was sind die Bedingungen des „In-der-Zeit-Seins“ als Tänzer, Choreograf, Forscher, Lehrer oder Publikum? Diese Fragen griff das Vortrag- und Workshop-Programm des viertägigen Kongresses mit rund 70 Veranstaltungen auf. Soziale, gesellschaftliche und politische Hintergründe wurden bei dieser Standortbestimmung für den zeitgenössischen Tanz beleuchtet. „Unterschiedliche ästhetische und diskursive Entwürfe des Tanz-Machens und Choreografierens“ wollte das Team um Sabine Gehm, Katharina von Wilcke und Sandra Noeth mit dem Programm aufzeigen. Der Programmkern wurde aus Einreichungen ausgewählt, mit dem internationale Künstler, Wissenschaftler und Studierende auf einen thematischen „Call for Proposals“ reagiert hatten. Das Phänomen Zeitgenossenschaft, das sich schließlich herauskristallisierte, ist keineswegs neu: Seit dem frühen 20. Jahrhundert wird der Begriff in der künstlerischen und theoretischen Praxis als Aufforderung verstanden, sich mit den Bedingungen und Umbrüchen der Gegenwart auseinanderzusetzen und sich ästhetisch, politisch, gesellschaftlich und im Tanz nicht zuletzt auch physisch in der eigenen Zeit zu verorten. Der Tanzkongress habe sich dafür als ein perfektes Forum erwiesen, konstatierten die Organisatorinnen: Gerade in Zeiten globaler Krisen brauche es dringend Freiräume, um die unterschiedlichen künstlerischen Positionen im Tanz, aber auch seine Rollen und Möglichkeiten in Hinblick auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen zu diskutieren.

Öffentliches Warmup mit Boris Charmatz. Foto: Anja Beutler

Öffentliches Warmup mit Boris Charmatz. Foto: Anja Beutler

Das Spektrum der Inhalte und Formate, die bei diesem Kongress geboten wurden, war schließlich so vielseitig wie der Tanz selbst: Unter dem Titel „Dance on?!“ stellte beispielweise das gleichnamige sechsköpfige Berliner Ensemble aus Tänzern über 40 seine Trainings- und Arbeitsmethoden vor. Die von den Choreografen Louise Wagner und Raphael Hillebrand initiierte Veranstaltungsreihe „Dialogic Movement“ wiederum ließ urbanen und zeitgenössischen Tanz aufeinandertreffen. So tauschte sich der für seine interdisziplinäre Arbeitsweise bekannte Choreograf Richard Siegal physisch und verbal mit einer Berliner Break-Dance-Crew aus, um Grenzen zwischen Hoch- und Alltagskultur einzureißen.

Gegensätze werfen nicht selten Konflikte auf, diese sind nach Ansicht von Dana Caspersen, Konfliktberaterin, Performerin und einstige Protagonistin und heutige Ehefrau von William Forsythe, der „Ursprung aller Kreativität“. Ihr Vortrag und Workshop in Zusammenarbeit mit dem israelischen Choreografen Arkadi Zaides über körperliche Methoden, mit denen sich Konflikte oder Krisen besser verstehen oder auch in positiver Weise verändern lassen, galt als einer der Höhepunkte des Programms, das sich vornehmlich an Fachbesucher richtete. Mehr als 800 Tanzschaffende kamen in die niedersächsische Landeshauptstadt, um sich zu informieren, auszutauschen, mitzureden – und zuweilen auch mitzutanzen.

Fragen der Zeitzeugenschaft wurden nicht zuletzt auch im Rahmen eines internationalen Tanzprogramms aufgegriffen, das auch die breite Öffentlichkeit ansprach. Zu den Künstlern, deren Stücke zu sehen waren, zählten neben Boris Charmatz auch der Direktor und Gründer der Schweizer Tanzcompagnie Alias, Guilherme Botelho, mit dem tänzerischen Science Fiction „Antes“ über den Beginn der Menschwerdung, sowie der Franzose Rachid Ouramdane mit der Deutschlandpremiere von „Tenir le Temps“, einer Arbeit, die das spannungsreiche Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft als Motor von Zeitgenossenschaft dokumentiert. Höhepunkt war die Abschlussgala im hannoverschen Opernhaus, bei der zwölf Stadt- und Staatstheater Auszüge aus aktuellen Tanzproduktionen präsentierten.

Insgesamt rund 5.500 Zuschauer besuchten die Tanzdarbietungen. Die Resonanz sei „ein schöner Beweis für die gewachsene öffentliche Aufmerksamkeit des zeitgenössischen Tanzes“, sagte die künstlerische Leiterin der Kulturstiftung des Bundes, Hortensia Völckers, abschließend. Die Stiftung wolle sich auch weiterhin für eine „kraftvoll-dynamische Entwicklung des Tanzes“ einsetzen. In drei Jahren soll der nächste Tanzkongress über die Bühne gehen. „Er ist so notwendig wie inzwischen auch selbstverständlich“, ist Völckers überzeugt.

Kerstin Hergt

 

 

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