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Ein veritables Ehedrama

Wolfgang Rihms „Die Eroberung von Mexiko“ in Köln

Es gibt wenige szenische Werke neueren Datums, die nach ihrer Uraufführung auf eine ähnliche Aufführungsgeschichte verweisen können. Nicht selten verschwinden zeitgenössische Werke im Opern-Nirvana, werden hochgelobt, aber schnell vergessen. Nicht so Wolfgang Rihms Oper „Die Eroberung von Mexiko“. Sie hat nach ihrer ersten Premiere 1992 an der Hamburger Staatsoper etliche andere erlebt, zuletzt nun im Staatenhaus der Kölner Oper. Das Werk über den Azteken-König Montezuma und den Eroberer Cortez wurde von Rihm auf der Grundlage eines Textes von Antonin Artaud zu einem abendfüllenden Stück verarbeitet und kann aufgrund eines teilweise im Raum verteilten, blech- und schlagwerklastigen Klangkörpers mit großangelegten orchestralen Surroundorgien der Extraklasse aufwarten.

Die Kölner Produktion wurde von Peter Konwitschny inszeniert, der das Werk als kammerspielartiges Psychodrama zweier Alphatierchen angelegt hat: Cortez wirbt um die Gunst von Montezuma, der von Rihm als Frau auf die Bühne gebracht wird. Konwitschny entwickelt aus dieser Konstellation ein veritables Ehedrama mit kräftigen Seitenhieben auf die moderne Mediengesellschaft, bei der am Ende beide Partner verlieren und auch die Gesellschaft ihr Fett abbekommt. Das fängt beim Bühnenbild (Johannes Leiacker) an, das auf den Resten des allgegenwärtigen Zivilisationsmülls aufgebaut ist, und gipfelt in einer Szene, in der Montezuma Unmengen von Smartphones und Tablets statt eines Kindes gebiert, ein technischer Overkill, der den medialen Götzendienst der Gesellschaft gnadenlos überzeichnet und auf die Spitze treibt.

Susanna Andersson (Sopran), Ausrine Stundyte (Montezuma), Kismara Pessatti (Alt). Foto: Paul Leclaire

Susanna Andersson (Sopran), Ausrine Stundyte (Montezuma), Kismara Pessatti (Alt). Foto: Paul Leclaire

Hier zeigt sich die Qualität der Inszenierung Konwitschnys, der das ohnehin schon konzentrierte Libretto noch weiter verdichtet. Insbesondere die Geburtsszene bekommt durch die medialen Einspielungen einen geradezu beklemmenden Charakter. Es ist zweifellos eine der dichtesten Szenen des ganzen Werkes. Spannung entsteht aber auch gleich am Anfang, wenn man durch ein sich unmerklich entwickelndes Schlagzeuggewitter gewissermaßen in den Abend hineingeleitet wird und sich unversehens mitten im Zentrum des Geschehens wiederfindet. Das Gürzenich Orchester leistet großartige Arbeit und spielt die komplexe Partitur Rihms unter dem omnipräsenten Dirigat von Alejo Perez mit fulminanter Präzision.

Es gibt nur vier Sänger, denn genauso unkonventionell wie Rihm das Orchester mit nur wenigen Streichern besetzt hat, so außergewöhnlich behandelt er die Sänger. Ausrine Stundyte (Montezuma) und Miljenko Turk (Cortez) füllen ihre Partien fabelhaft aus, nicht weniger bemerkenswert sind auch Susanna Andersson und Kismara Pessatti, die den Soli als Ergänzungen zugeordnet sind. Dazu kommt ein sogenannter Bewegungschor, der etwa im zweiten Teil zu Anfang aus dem Publikum heraus agiert und nicht nur hier überraschende Momente von größter Intensität schafft.

Letztendlich hinterlässt die Kölner Aufführung einen bleibenden Eindruck, nicht nur weil hier mit Rihm und Konwitschny zwei Altmeister aufeinandertreffen, die sich immer gegen das Establishment gewehrt haben, aber insgeheim doch längst dazu gehören. Der dramaturgischen Spannung und gesellschaftskritischen Sprengkraft der Inszenierung tut das indes keinen Abbruch, denn abgesehen von gelegentlichen leichten Anflügen von Klamauk begegnen sich Artauds dichte literarische Vorlage, Rihms auch fast 25 Jahre nach der Uraufführung immer noch innovative Musik und die herausragenden musikalischen Leistungen aller Beteiligten auf Augenhöhe.

Guido Krawinkel

 

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