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Weisse und andere Elefanten
Editorial 2016/04 von Gerrit Wedel

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Hintergrund

Auf ein Wort mit …

Dietmar Schwarz, Intendant der Deutschen Oper Berlin.
Im Gespräch mit Barbara Haack und Gerrit Wedel

Seit 2012 ist Dietmar Schwarz Intendant der Deutschen Oper Berlin. Zuvor war der Literatur- und Theaterwissenschaftler unter anderem Operndirektor am Nationaltheater Mannheim und von 2006 bis 2012 in gleicher Funktion am Theater Basel. Die Präsentation zeitgenössischen Musiktheaters sei ihm ein besonderes Anliegen, ist in seiner Biografie zu lesen. Seine ersten Jahre in Berlin belegen dies. Grund genug für Oper & Tanz, Dietmar Schwarz zu dem Thema zu befragen. Für Oper & Tanz sprachen Barbara Haack und Gerrit Wedel, stellvertretender Geschäftsführer der VdO, mit dem Intendanten.

Oper & Tanz: Als Sie 2012 an der Deutschen Oper Intendant wurden, sind Sie mit Helmut Lachenmanns „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ angetreten. Zeitgenössisches Musiktheater ist für Sie kein „Muss“, sondern eine Leidenschaft?

Dietmar Schwarz. Foto: Peter Bade

Dietmar Schwarz. Foto: Peter Bade

Dietmar Schwarz: In zunehmendem Alter und mit zunehmender Berufserfahrung stelle ich fest, dass ich als Verantwortlicher weg muss von Kriterien, die vielleicht richtig sein könnten für die Feuilletons, richtig sein könnten für die Abonnenten. Ich muss einfach fragen: Was gefällt mir selbst? Und warum gefällt mir gerade das so gut? Nur dafür kann ich eine Leidenschaft entwickeln. Und dann erst habe ich die Möglichkeit, diese gut zu kommunizieren und Mit-Begeisterte zu finden. Seit ich im Musiktheater arbeite, also eigentlich mein ganzes Berufsleben, war es so, dass zeitgenössische Musik in der Oper nicht automatisch die Neugierde der Menschen geweckt hat. Stattdessen gab es oft die Haltung: „Das muss halt auch sein.“ Die wenigsten Abonnenten haben ihr Abonnement gekauft, weil ein zeitgenössisches Werk auf dem Programm stand, sondern weil der Spielplan die „Traviata“ oder die „Zauberflöte“ beinhaltete. Mein erstes Engagement hatte ich in Ulm, wo ich während meines Studiums ein Jahr als Assistent gearbeitet habe. Da war das „zeitgenössischste“ Werk auf dem Spielplan der „Wozzeck“. Das kannte ich damals noch nicht, und es war auch für mich kein einfaches Werk. Natürlich kann man auch nicht erwarten, dass das beim ersten Hören einem Publikum gleich zugänglich ist. Heute kann ich das nicht mehr verstehen: „Wozzeck“ gehört einfach zum Repertoire. Aber ich wähle extra dieses Beispiel, weil der „Wozzeck“ 1982 schon älter als 50 Jahre war – und trotzdem gab es noch diese Distanz.

Für mich wurde das damals zur Initialzündung. Ich habe zum ersten Mal erlebt, wie spannend es zunächst für einen kleinen Teil des Publikums ist, sich mit diesem Neuen auseinanderzusetzen. Wir haben Einführungen gemacht, nicht nur die typischen Dramaturgen-Einführungen, sondern mit Sängern und dem Orchester, die Teile vorgespielt haben. Alban Berg hat das damals in den 20er-Jahren auch gemacht. Die Uraufführung fand in Berlin statt, die zweite Aufführung in Oldenburg, für das er dezidiert den „Oldenburger Einführungsvortrag“ erarbeitet hat. So etwas hat für mich einen Vorbildcharakter. Bei zeitgenössischer Musik ist es wichtig, dass man dem Publikum Verständnishilfen anbietet.

Bei uns in Berlin war das mit Helmut Lachenmann auch toll, weil er eine großartige Art hat, diese zugegebenermaßen auch für die Interpreten komplizierte Musik zu erklären. Die Anwesenheit eines Komponisten ist sowohl für das Haus als auch für das Publikum extrem wichtig.

O&T: Das heißt, Sie haben das Werk auch ins Haus hinein „kommuniziert“. Ist der Chor da sehr schnell mitgegangen? Für die Chorsänger ist das Werk ja wirklich nicht einfach.

Dirigent Lothar Zagrosek mit der Partitur von Helmut Lachenmann. Foto: Bernd Uhlig

Dirigent Lothar Zagrosek mit der Partitur von Helmut Lachenmann. Foto: Bernd Uhlig

Schwarz: Ich war 2012 ja ganz neu als Intendant. Die Deutsche Oper hatte seit Isabel Mundrys „Odyssee“ im Jahr 2004 kein großes zeitgenössisches Werk mehr aufgeführt. Als neuer Intendant da gleich mit so einem schweren Werk zu kommen, kann auch schnell nach hinten losgehen. Es passierte aber das Gegenteil. Unser Chor ist ohnehin musikalisch sehr gut und er kann komplizierte Partituren realisieren. Bei dem Lachenmann-Werk haben die Sänger dann gespürt, welchen besonderen Klang sie im Zuschauerraum erzeugen können, was auch jeder einzelne Künstler im Chor bewirken kann. Und dann entsteht der Effekt, wie Chordirekter William Spaulding es beschrieben hat, dass die Bereitschaft des Chores für schwierige Partituren nochmal sensibilisiert wurde.

O&T: Wie nimmt ein Publikum so ein Stück auf – gerade, wenn es acht Jahre lang an der Deutschen Oper kein zeitgenössisches Werk mehr erlebt hat?

Schwarz: Der Lachenmann kam kultartig hier in Berlin an.

Gerrit Wedel: Obwohl es auch gespaltene Meinungen gab.

Schwarz: Es gibt immer gespaltene Meinungen. Die Verkaufszahlen waren aber so gut, dass wir nochmal zusätzliche Plätze aufgemacht haben – bis zur letzten Aufführung, wo wir 200 Leute wegschicken mussten, weil es einfach keinen Platz mehr gab. Das ist für mich ein Indiz, dass sie in sehr kurzer Zeit wirklich Kult wurde. Natürlich gab es auch negative Stimmen, es wäre ja schlimm, wenn das nicht der Fall wäre.

Wedel: Sie sagen, Sie wählen die Werke auch danach aus, ob sie Ihnen gefallen. Was bedeutet denn dieses „Gefallen“? Wie wird es entwickelt? Es ist ja sicherlich nicht nur Ihr persönlicher Gusto. Jedes Haus hat ja auch den kulturpolitischen Auftrag, sich um die Weiterentwicklung der Kunst zu bemühen; den Auftrag, eine künstlerische Aussage zu entwickeln und nicht nur darauf zu setzen, einer Erwartung zu genügen.

„Morgen und Abend“ von Georg Friedrich Haas (Deutsche Erstaufführung an der Deutschen Oper Berlin im April 2016). Foto: Marcus Lieberenz

„Morgen und Abend“ von Georg Friedrich Haas (Deutsche Erstaufführung an der Deutschen Oper Berlin im April 2016). Foto: Marcus Lieberenz

Schwarz: Das hat eben auch mit den Kriterien der Leidenschaft, der Emotionalität zu tun. Der kulturpolitische Auftrag ist, „etwas Neues zu schaffen“. Sonst bräuchte man keine Subvention. Das Neue muss nicht immer heißen, dass man jedes Jahr eine Uraufführung macht, sondern dass auch Werke in den Theatern zur Aufführung kommen, die es unter kommerziellen Gesichtspunkten nicht so leicht hätten. Kulturpolitiker jeder Couleur sehen das genauso, auch wenn immer mehr auf die Verkaufszahlen geschaut wird. Es wird heute kein Intendant bei 100 Prozent Platzauslastung rausgeschmissen mit der Begründung, dass er nur alle zehn Jahre ein zeitgenössisches Werk auf den Spielplan setzt. Das war früher anders.

Mit dem Fokus auf dem Zeitgenössischen stehen wir natürlich in einer klaren Tradition seit der Eröffnung dieses Hauses vor mehr als 100 Jahren. Das begann mit dem damals noch fast zeitgenössischen „Parsifal“ und Puccinis damals brandneuem „Mädchen aus dem Goldenen Westen“. Dieses Haus wurde im Blick darauf gebaut, dass man hier die Werke Wagners spielen kann. Hier wurde das erste Mal „Parsifal“ außerhalb von Bayreuth aufgeführt. Und – mit der Unterbrechung durch die Nazizeit – spielte in den 60er-Jahren auch im neuen Haus wieder die zeitgenössische Musik eine wichtige Rolle.

„Ich finde es enorm, was in Deutschland an zeitgenössischer Musik in kleineren Häusern gemacht wird. Da können sich eher die Grossen dran orientieren.“

In den ersten drei Jahren meiner Intendanz haben wir zeitgenössische Werke gespielt, mit denen es schon Erfahrungen gab, wie eben Lachenmann. Ab der Saison 2015/16 wird es alljährlich Uraufführungen geben, die wir in Auftrag gegeben haben – dafür braucht man eben immer ein paar Jahre Vorbereitung. Zur Auswahl: Das sind langwierige Prozesse innerhalb des Teams. Da erwarte ich als Intendant auch die Leidenschaftlichkeit der Kollegen: des GMDs, der Dramaturgen… Donald Runnicles war ja 17 Jahre GMD in den USA. Da gibt es ganz andere Entwicklungen, ganz andere Komponistennamen, die wir diskutiert haben, die ich teilweise gar nicht kannte. Es gilt, eine Linie zu finden mit Werken, die – auch in Richtung Publikum gedacht – sehr unterschiedlich sein sollen. Das hat in der letzten Spielzeit mit „Morgen und Abend“ von Georg Friedrich Haas begonnen. Jetzt kommt mit Andrea Lorenzo Scartazzini also ein Komponist der jüngeren Generation, der wieder eine ganz andere Musik schreibt als zum Beispiel Aribert Reimann, der 40 Jahre älter ist und den wir dann in der folgenden Spielzeit zur Uraufführung haben. Solche Entwicklungen finden wir sehr spannend.

O&T: Uraufführungen verursachen mehr Kosten als andere Stücke des Repertoires. Ist das für manche Häuser vielleicht auch ein Hinderungsgrund, Zeitgenössisches zu spielen?

Ort zum Experimentieren: Die Tischlerei. Foto: Leo Seidel

Ort zum Experimentieren: Die Tischlerei. Foto: Leo Seidel

Schwarz: Natürlich. Zeitgenössische Oper in der Dimension, wie wir das an der Deutschen Oper Berlin betreiben, ist richtig teuer. Das fängt bei den Kosten der Verlage an, die sowohl für die Komponisten verhandeln, aber eben auch für sich mit Uraufführungszuschlägen und anderem. Damit ist klar, dass ein kleineres Theater sich so etwas irgendwann nicht mehr leisten kann. Es kommt hinzu, dass unsere Orchester für Kompositionen des 19. Jahrhunderts aufgestellt sind. Keine zeitgenössische Oper kann aber mit dem Orchesterzuschnitt dieser Werke umgehen: Es werden zusätzliche Instrumente benötigt. Und das kostet natürlich sehr viel.

Dann stellt sich die Frage: Wer von den szenischen Interpreten kann eine zeitgenössische Partitur wirklich so lesen, dass eine Emotionalität für die Umsetzung entsteht? Selbst erfahrene Regisseure hören die Musik beim Lesen nicht so wie der Komponist. Was macht man also? Sobald die Partitur fertig ist, macht man Einspielungen, mit dem Orchester oder mit dem Synthesizer. Das kostet natürlich auch. Bei der Oper von Haas haben wir ein Jahr zuvor mit dem Orchester das Stück schon einmal angelesen und aufgenommen, damit dann der Regisseur damit arbeiten konnte.

O&T: Was tun Sie konkret, um das Publikum bei der nächsten Uraufführung mitzunehmen?

Schwarz: Wir bieten kommentierte Proben an, Gespräche vorab mit dem Komponisten, aber auch Veranstaltungen, die eine thematische Heranführung an den Stoff, an die Geschichte von Edward II. bieten: den Film von Derek Jarman zum Beispiel. Das Wichtigste aber ist, dass Scartazzini für sechs Wochen nach Berlin kommen wird. Er wird in Schulen gehen, hat auch Lust dazu und kann sehr gut erklären.

O&T: Sie haben eine weitere Spielstätte, die Tischlerei, wo Sie noch einmal auf andere Art und Weise ausprobieren, spielen, experimentieren können. Was ist die Ausrichtung dieser Bühne – und wo stellt sich eine Verbindung zum großen Haus her?

Schwarz: Um über die Zukunft des Musiktheaters nachzudenken, ist diese kleine Bühne eine große Chance. Dort können wir alles ausprobieren, wir können das berühmte „U“ und „E“ völlig aufheben – das trauen wir uns in dieser Form auf der großen Bühne nicht. Ein Beispiel war die Band „Bianca Story“, mit der wir ein Projekt gemeinsam mit Schülern gemacht haben. Jetzt beginnen die Proben für „Gianni“ mit der Szeneband „Brandt Brauer Frick“. Es ist spannend, im Sinne von Cage zu fragen: Was ist eigentlich Musik, Musiktheater, Oper? Unsere Programmlinie in der Tischlerei ist, dass dort grundsätzlich nur Musik aufgeführt wird, die bisher nicht gehört wurde.

O&T: Sie planen in der Tischlerei eine Reihe, die Sie „Aus dem Hinterhalt“ nennen, mit der Sie Werke aus dem Großen Haus auf die kleine Bühne transportieren. Das ist quasi der entgegengesetzte Weg, das Publikum aus dem einen in das andere Haus zu bewegen?

Schwarz: Ja, das ist in dieser Spielzeit neu. Wir nehmen die Themen der großen Oper, zum Beispiel die „Hugenotten“, und beleuchten diese aus anderen Perspektiven, laden Schauspieler, Musiker ein, zu dem Thema etwas zu entwickeln. Das kann teilweise auch improvisiert sein.

O&T: Sie haben zu Beginn unseres Gesprächs gesagt, zeitgenössische Oper sei Ihre Leidenschaft und nicht das „Muss“. Wenn man rausgeht aus Berlin in die kleineren Stadttheater: Finden Sie nicht, dass es dort auch zeitgenössisches Musiktheater geben muss, um dem Publikum die Chance zu geben, so etwas kennenzulernen? Ist das eine Aufgabe des öffentlich finanzierten Theaters?

Schwarz: „Müssen“ ist so ein Wort, das ich schwierig finde. Das sollte jede Stadt für sich entscheiden. Ich finde es enorm, was in Deutschland an zeitgenössischer Musik in kleineren Häusern gemacht wird. Da können sich eher die großen dran orientieren. Das ist gerade in der finanziellen Krise, in der in den letzten Jahren viele Theater stecken, gerade auch in den neuen Bundesländern, beeindruckend.

Wedel: Ich erlebe leider eine rückläufige Tendenz. Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel ist eine Katastrophe. Es wird den Häusern kein Raum mehr gelassen, irgendetwas zu entwickeln. Es wird nur noch wirtschaftlich draufgeguckt. Ich finde es fürchterlich, wenn wir erleben, dass ein fantastisches Theater wie zum Beispiel Neustrelitz/Neubrandenburg keinen Raum mehr bekommt, so etwas zu machen. Dabei hätten sie dort die Möglichkeit, weil die Leute in einer ganz anderen Form an das Theater gebunden sind.

Schwarz: Das ist wirklich ein großes Thema. Da muss sich auch der Deutsche Bühnenverein engagieren. Aber die kleineren Theater, zum Beispiel im süddeutschen Raum, waren früher finanziell besser ausgestattet und trotzdem leisten sie sich zeitgenössisches Musiktheater auch heute noch.

Wedel: Ich erlebe ein unglaubliches Aussterben dieser Experimentiermöglichkeiten.

Schwarz: Da müssen wir alle dagegen steuern. Ich war neulich in Cottbus, wo das Theater sehr gut funktioniert. Und da habe ich Menschen aus Rostock getroffen, die gesagt haben: Was da in Cottbus alles Tolles passiert, das wünschen wir uns auch.

Wedel: Brandenburg ist da allerdings auch kein optimales Beispiel, denn dort gibt es nur noch ein Musiktheater.

Schwarz: Aber Martin Schüler macht einen Spielplan, der einen gewissen Vorbildcharakter für die nächsten Jahre haben könnte.

Wedel: Da steht Schüler auch unangefochten da und lässt sich das nicht nehmen.

Schwarz: Man kann natürlich alles immer auf die Politiker schieben. Aber manche Kollegen haben auch Fehler gemacht, weil sie sich zu schnell dem politischen Zahlendruck gebeugt haben. Das ist bei kleinen und bei großen Häusern so.

Wedel: Der Appell an die Kollegen ist da ganz wichtig. Da sehe ich häufig, vielleicht aus falsch verstandenem Opportunismus, die Gefahr, dass die Kollegen zu früh diesen wirtschaftlichen Nöten nachgeben, die ihnen vorgegeben werden.

O&T: Auch die Opernhäuser in Berlin standen ja unter Beschuss. Lange stand die Frage im Raum: Welches Opernhaus schließen wir? Im Moment wird diese Diskussion nicht geführt, die Existenz der drei Häuser ist gewährleistet.

Schwarz: Die AfD führt sie gerade wieder. Aber man kann sagen: Die ernstzunehmende Politik dieser Stadt, alle demokratischen Parteien, diskutieren das nicht mehr. Der Bedarf an Kultur in dieser Stadt wächst ja auch – durch den zunehmenden Tourismus, aber auch durch den Zuzug. Es zieht immer mehr Menschen nach Berlin, gerade wegen des kulturellen Angebotes. Da wird dann auch eingesehen, dass diese drei Häuser adäquat ausgestattet werden müssen.

O&T: Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den anderen Intendanten? Gibt es Konkurrenzen? Hat eine solche Konkurrenz auch etwas Anspornendes? Oder ist sie eher schwierig?

Schwarz: Es ist ein Ansporn. Das Konkurrenzdenken ist auch gut, weil es zur Profilschärfung beiträgt. Barrie Kosky hat in der Komischen Oper ein klareres Profil als die Deutsche Oper oder die Staatsoper. Wir entwickeln uns da noch. Ich denke, dass wir an der Deutschen Oper mit einem klar innovativen Anspruch an die Interpretation, aber auch an die Auswahl der Stücke den richtigen Schritt in der Tradition dieses Hauses machen. Die Kommunikation unter uns ist dank der Stiftung, durch die wir gezwungen werden uns zu treffen, aber auch durch uns als befreundete Kollegen sehr gut. Wir streiten uns auch, und es kann Phasen geben, in denen wir nicht mehr miteinander reden. Aber wir sind alle so freundschaftlich miteinander verbunden, dass wir immer wieder zusammenkommen.

Wedel: Problematisch ist aus unserer Sicht der Umgang mit dem Nachbesetzen von Stellen. Wir wissen, dass das finanzielle Füllhorn auch über die Stiftung Oper in Berlin nicht zu üppig ausgeschüttet wird. Aber es ist für die Mitarbeiter eine ganz entscheidende Frage, wie man mit den Stellenbesetzungen umgeht. Wenn wir bei den Kollektiven sehen, wo wir vor 20 Jahren mal waren und wo wir heute sind: Da sind Chöre um 15 bis 20 oder sogar 30 Personalstellen kleiner geworden. Wie werden sich die Stellenbesetzungen gerade für den Chor hier im Haus in Zukunft gestalten?

Schwarz: Diese nicht besetzten Stellen treffen in der Deutschen Oper Berlin jede Abteilung. Das ist ein großes Problem. Ungefähr 50 Stellen sind es, die die Deutsche Oper mehr haben müsste. Natürlich gibt es Konzepte, dass wir sowohl im Chor als auch im Orchester nicht besetzte Stellen wieder besetzen wollen. Aber solche Konzepte kosten Geld, und das Geld ist noch nicht da. Irgendjemand muss die Schatulle aufmachen.

O&T: Der Chordirektor William Spaul-ding verlässt das Haus – früher als geplant?

Schwarz: Früher als im Vertrag vereinbart. Aber wenn er ein Engagement am Royal Opera House Covent Garden angeboten bekommt, macht man ihm das nicht kaputt. Das ist im Theaterbereich nicht üblich. Wir haben jetzt mit Raymond Hughes eine wunderbare Interimslösung gefunden: Er hat 17 Jahre den Chor an der Met geleitet und ist jetzt pensioniert. Er macht das ein Jahr, und dann kommt Jeremy Bines, ein junger Kollege, für den der Wechsel von Glyndebourne an die Deutsche Oper genau der richtige Schritt ist.

 

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