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Chorzaubereien statt Kulturinfarkt
Große Chorpremieren am Teutoburger Wald · Von Christian Tepe
Für die Autoren des Buches „Der Kulturinfarkt“ wäre es wohl ein klarer Fall. Wenn in Bielefeld und Detmold kaum 30 Kilometer voneinander entfernt gleich zwei Mehrspartentheater der ostwestfälischen Bevölkerung mit einem jeweils eigenständigen Opernensemble aufwarten, kann es sich nur um ein Überangebot an subventionierter Kultur handeln, das nach einer Marktbereinigung schreit. Aber die Realität ist davon grundverschieden, wie die letzten großen Chorpremi
eren, „Parsifal“ in Detmold und „Peter Grimes“ in Bielefeld, eindrücklich untermauern.
Christoph Stephinger (Gurnemanz), Catalina Bertucci (1. Knappe), Michael Klein (4. Knappe),
Johannes Harten (Parsifal), Chor und Extrachor. Foto: Landestheater/Worms
Wer sich in den beiden Theatern am Teutoburger Wald richtig umschaut, bemerkt sofort, wie irrig die Diffamierung der sogenannten Hochkultur als elitäres Vergnügen für wenige auf Kosten unterprivilegierter Schichten ist. Nicht allein, dass die Kunstgattung Oper schon durch ihre Stoffe, ihre musikalischen Idiome sowie durch die Herkunft der Sänger und Musiker auf einzigartige Weise eine Migrantenkultur par excellence darstellt, auch im bunt gemischten Publikum sieht man keineswegs eine geschlossene Akademikergesellschaft aus dem Märchenbuch der Soziologie. Einige Zuschauer sind sogar von weither angereist; sie schätzen die künstlerische Attraktivität des Doppelstandorts, wo gerade die enge Nachbarschaft beider Häuser ein Maximum an Qualität und Profilierung ermöglicht, in Detmold mit seiner unkonventionellen Wagner-Pflege, in Bielefeld mit seinen bahnbrechenden Repertoireerweiterungen.
Die herausragenden Kulturtempel, die nach dem Willen der Erfinder des „Kulturinfarkts“ durch Umschichtungen bei der Kulturförderung erst zu schaffen wären, sie existieren längst, wenn auch vielleicht nicht dort, wo sie der bornierte Blickwinkel der Herren Haselbach, Klein, Knüsel und Opitz erwartet.
Geht es zum Beispiel um den Mut zu einer neuen Wagner-Ästhetik, so konnte Detmold in den vergangenen Jahren mit seinem „Ring“ deutlich vor den einschlägigen Kulturtempeln in Hamburg oder München reüssieren. Nun ist mit „Parsifal“ ein abermaliger Coup zwar nicht ganz gelungen. Dies tut jedoch der Eigenwilligkeit des inszenierenden Hausherrn Kay Metzger, seiner Lust am humorvollen Fabulieren keinerlei Abbruch. Metzger gestaltet den Gegensatz zwischen dem dahinsiechenden Gralsorden und der befreienden Religiosität eines Parsifal zu einer musikdramatischen Reflexion über die aktuelle Situation der katholischen Kirche um. Intensiv lässt Metzger das Weihrauchfass schwenken, ausführlich zitiert er die Liturgie der heiligen Messe und sinniert dabei über das Zölibat, die Stellung des Papsttums und das Diakonat der Frauen. Allerdings bleibt diese Deutung zu sehr den Vorurteilen des medialen Diskurses über die Kirche verhaftet. Schließlich macht sich kein Geringerer als Papst Benedikt XVI. für eine substanzielle Glaubenserneuerung stark,
während in Metzgers Inszenierung der am Ende als Papst-Double kenntlich gemachte greise Amfortas an spiritueller Demenz zugrunde geht. Musikalisch gerettet hat den Abend der kurzfristig eingesprungene Dirigent Uwe Sandner; mit zügigen Tempi und einem gedämpften Forte modellieren er und die Symphoniker Wagners flächige Klanglandschaften. Die metaphysische Aura des Parsifalidioms evozieren die von Marbod Kaiser sehr präzise und sicher einstudierten Chöre mit traumwandlerischem Einfühlungsvermögen: eine Sternstunde des Opernchorgesangs. Aus dem Solistenensemble ragt der Gurnemanz von Christoph Stephinger durch eloquente Artikulation, durch ebenso locker wie kraftvoll gesetzte Töne hervor. Johannes Harten (Parsifal) verfügt über ein nie versagendes Tenormaterial, ihm fehlt aber noch das Gespür für gut dosierte dynamische Steigerungen.
Zur unangefochtenen Hauptperson avancierte in Bielefeld der Chor mit „Peter Grimes“. Stimmlich furios entfesselt und mit dramatischer Attacke, engagiert-energisch auch in der darstellerischen Aktion, kreieren die von Hagen Enke ausgezeichnet disponierten Sängerinnen und Sänger ein beklemmendes Charakterbild von der unberechenbaren Wetterwendigkeit des mordlustigen Dorfmobs. Alexander Kalajdzic agiert am Pult der impulsiv aufspielenden Bielefelder Philharmoniker als virtuoser Klangmagier, der die instrumentalen Timbres der Zwischenspiele in kräftigen Farben aufleuchten lässt. Im Saisonprospekt des Theaters Bielefeld wirbt Reinhard J. Brembeck für die moderne Regie als „alternativlose Notwendigkeit“. Wie gut, dass Helen Malkowsky mit ihrer akribisch-stringenten Personenführung, die jede Beziehung zwischen den Menschen körperlich ausdeutet, ganz im Vertrauen auf Brittens musikalische Sprache eine triumphale Widerlegung von Brembecks These gelungen ist.
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