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Das Jahrhundert des Tanzes

„Das Jahrhundert des Tanzes. Ein Reader“. Hrsg. Johannes Odenthal im Auftrag der Akademie der Künste, Berlin. Alexander Verlag, Berlin 2019, deutsch/englisch, 328 Seiten, 150 Abbildungen, ISBN 978-3-89581-510-2, 19,90 Euro

Wie kann man Tanz archivieren? Was bleibt von einer Aufführung übrig? Was ist ein Dokument des Tanzes? Antworten auf diese Fragen versuchte das von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Projekt „Tanzfonds Erbe“ zu finden. Zum Abschluss des achtjährigen Programms fand in der Berliner Akademie der Künste eine Veranstaltungsreihe „Was der Körper erinnert. Zur Aktualität des Tanzerbes“ mit einer Ausstellung, Aufführungen und Diskussionsrunden statt. Ein Reader, den der Herausgeber Johannes Odenthal als „Atlas des zeitgenössischen Tanzes“ beschreibt, verbindet die Denkansätze von 100 ausgewählten Tanzpersönlichkeiten mit typischen Fotos.

Einleitend führt Odenthal aus, dass gerade der Emanzipationsprozess vom klassischen Tanz die Tanzkunst im 20. Jahrhundert kennzeichnet. Gesellschaftspolitisch bedeutete der Tanz zu Beginn dieser Epoche ebenfalls einen Aufbruch in die Moderne. Das tradierte Rollenverständnis der Frauen und soziale Unterschiede wurden in Frage gestellt. Odenthal versteht am Beispiel des Tanzes „das kulturelle Gedächtnis als einen offenen Prozess von Gegenwartskunst“. Für ihn ist der „Tanz unmittelbar mit den Lebensprozessen der Tänzer/ und Choreograf/-innen verwoben“, er sei eben auch Kultur- und Gesellschaftsgeschichte.

Warum er dann nur exemplarische Statements von berühmten Vertretern der modernen Tanzkunst zitiert, ist nicht zu verstehen. Denn dass nur der Originalton tatsächlich ein „Kraftfeld aus Körperbildern, Gesten und Bewegungserfindungen beschreibt“, funktioniert nicht bei jedem der Ausgewählten. Eine Ausnahme ist sicher Pina Bausch: „Mich interessiert nicht, wie die Menschen sich bewegen, sondern was sie bewegt“, beschreibt sie die Basis ihrer choreografischen Arbeit. Dabei versucht sie jeden darin zu unterstützen, „von sich aus Dinge zu finden, die er von sich selber nicht kennt“. Problematisch dagegen das Gret-Palucca-Statement, bei dem ohne die Einordnung in den historischen Kontext kein tiefgründiges Verstehen ihrer Arbeit möglich ist. Auch Crankos Selbstaussage wird dem „tänzerischen Sprechen“ seiner großen Handlungsballette nicht gerecht.

In begleitenden Essays von Gabriele Brandstetter, Franz Anton Cramer, Johannes Odenthal und Madeline Ritter werden Fragen diskutiert wie: „Sind Rekonstruktionen schon deshalb schwierig, weil das Publikum nicht rekonstruiert werden kann?“ oder: „Wer entscheidet da-rüber, dass bestimmte Tänze und Choreografien für eine Epoche oder für einen Stil repräsentativ sind?“ Nicht alle Antworten bringen Klarheit, doch der Anfang einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der modernen Tanzgeschichte ist gemacht. Sie ist mit diesem „Atlas“ noch lange nicht zu Ende.

Beatrix Leser

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