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Berichte
Dramatisches Kontinuum
Die Sache Makropulos am Musiktheater im Revier
Es ist kompliziert. Das sind Opernplots nicht selten. Bei diesem aber gibt es eine Vorgeschichte, die immerhin schon schlappe 337 Jahre dauert, bis die eigentliche Handlung einsetzt – und die ist nicht weniger kompliziert. Keine Frage, bei „Die Sache Makropulos“ von Leoš Janácˇek, die nun in der Inszenierung von Dietrich Hilsdorf im Musiktheater im Revier (MiR) in Gelsenkirchen Premiere hatte, handelt es sich um ein komplexes, wenn auch temporeiches Stück. Hier gelingt es mit durchschlagendem Erfolg.
Die Geschichte der Emilia Marty, die schon unter vielerlei Namen und mit zahlreichen Berufen mehr als 300 Jahre gelebt hat, ist ein spannender Plot. Sie taucht auf einmal in der Kanzlei eines Advokaten auf, um in den Besitz eines Dokuments zu gelangen, das ihr weiteres Überleben garantiert. Denn der Trank, der sie einst unsterblich machte, verliert an Wirkung, und besagtes Schriftstück enthält das Rezept hierfür. Zusammen mit allerlei beruflichen und libidinösen Verwicklungen der Protagonisten, die sich im Laufe eines Jahrhunderte andauernden Lebens der Hauptperson eben schon mal ergeben, verkompliziert sich die Angelegenheit allerdings.
Joachim G. Maaß als Dr. Kolénaty, Petra Schmidt als Emilia Marty. Foto: Monika und Karl Forster
Leoš Janácˇek hat die Geschichte selbst zu einem Libretto verarbeitet, was dem Urheber selbiger Geschichte, Karel Čapek, zunächst gar nicht so recht gewesen ist. Am Ende konnte sich Janácˇek zum Glück durchsetzen und die Geschichte mit ihren Anklängen an phantastische Literatur zusammen mit seiner Musik, die auf das Engste mit der Sprache verflochten ist, in Bühnenform bringen. Diese dramaturgische Symbiose funktioniert auch in Gelsenkirchen sehr gut. Die Neue Philharmonie unter der Leitung von Rasmus Baumann spielt bis auf seltene Ausnahmen spannungsvoll und auf sehr gutem Niveau. Baumann bleibt stets am Puls der Musik, ohne dabei zuviel Öl ins Feuer zu gießen, denn Tempo – und Text – hat das Stück an sich bereits genug. Das setzen Inszenierung und Ensemble auch treffend um, so dass sich ein dramaturgisches Kontinuum ergibt. Und das fesselt die pausenlosen eindreiviertel Stunden des Stückes durchweg.
Vorne hui, hinten pfui ist in Gelsenkirchen scheinbar die Devise, was das Gelsenkirchener Opernhaus anbetrifft, ebenso wie das Bühnenbild von Dieter Richter. Der Bau gibt sich vorne luftig und transparent, auf der Hinterseite dagegen herrscht Tristesse. Ähnlich wie in dieser Inszenierung, dessen kafkaeske Bürokulisse im ersten Akt mit ihren aberwitzig vielen Aktenschränken sehr beeindruckend ist. Für den zweiten Akt wird diese von den Bühnenarbeitern coram publico einfach umgedreht und flugs ist man auf einer nackten Theaterbühne, dort, wo der zweite Akt laut Libretto auch spielt. Theater auf dem Theater, hier verbunden mit einer noch durch die helle Ausleuchtung gestützten Desillusionierung, heißt die Devise. Der dritte Akt spielt dann sehr stilvoll auf einem zeittypischen Hotelzimmer, was ebenfalls einen stimmigen Eindruck hinterlässt.
Gleiches lässt sich von der Inszenierung sagen. Dietrich Hilsdorf dröselt die komplizierte Geschichte mit feinen szenischen Details auf, ohne dabei das Tempo rauszunehmen, das Musik und Libretto vorgeben. Das verlangt vom in tschechischer Originalsprache singenden Ensemble nämlich einiges, dafür ergeben sich aber immer wieder Konstellationen, die – wie etwa im dritten Akt, als sich alle Männer gegen die Protagonistin verbünden – das psychologische Setting in geradezu bestechender Weise augenfällig illustrieren. Auch sängerisch weiß die Inszenierung zu überzeugen. Star des Abends ist aber nicht durchweg die Titelheldin, sondern der immerhin schon 83-jährige Bariton Mario Brell. Der spielt und singt den verrückten Hauk Schendorf mit einer beeindruckenden stimmlichen und schauspielerischen Präsenz. Ausgezeichnet auch Petra Schmidt als Emilia und Martin Homrich als ihr Verehrer Albert, ebenso wie Joachim G. Maaß als Dr. Kolénaty, Timothy Oliver als Vitek und Lina Hoffmann als Krista. Die anderen Rollen sind ebenfalls bestens besetzt, der Chor hat am Ende einen kurzen aber glänzenden Auftritt. Insgesamt ein schöner Opernabend in Gelsenkirchen.
Guido Krawinkel |