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Rezensionen

Doppelrolle: Tänzerin und Mutter

Zum Filmstart von „Becoming Giulia“ in deutschen Kinos

Eine Balletttänzerin, gar eine Primaballerina mit Kind? „Früher war das undenkbar“, sagt Giulia Tonelli. „Heute können Balletttänzerinnen Kinder haben. Für diesen Fortschritt bin ich dankbar.“ Dass es geht, zeigt der Film „Beco-ming Giulia“, der in Deutschland gerade seinen Kinostart erlebte. Dass es nicht einfach ist, wird aber ebenso deutlich.

Giulia Tonelli und Cathy Marston. Foto: W-FILM

Giulia Tonelli und Cathy Marston. Foto: W-FILM

Der Film begleitet die Tänzerin über drei Jahre, angefangen bei ihrem Wiedereinstieg am Ballett Zürich nach einer nur elfmonatigen Babypause. Wir sehen eine junge Frau, die zu Hause Babywäsche zusammenlegt, die Wohnung putzt, kocht. Sie organisiert die Betreuung des kleinen Jacopo durch den Ehemann, die Eltern oder auch eine Babysitterin. In ihrem anderen Leben wird sie von den Kolleg*innen des Theaters nach der Pause freudig begrüßt, trainiert und bereitet sich auf die erste Rolle nach der Geburt vor: die Julia in Prokofjews „Romeo und Julia“. Sie habe das Tanzen so vermisst, erzählt sie, verbirgt aber auch nicht, dass der Neustart hart und schmerzhaft ist.

Der erste Abend vor Publikum wird zum Erfolg mit Standing Ovations. „Der Abend war wie eine Heimkehr“, sagt sie anschließend, sichtbar bewegt. „Monatelang fehlte mir der Boden unter den Füßen. Das war die Wiederentdeckung meiner Welt, der Bühne.“

Die Kollegin erinnert sich daran, wie Giulia tanzte, als sie schwanger war. Der Tanz der werdenden Mutter habe etwas Magisches gehabt. Sie stelle sich das schwierig vor. Das geht offenbar den meisten so – denn nach wie vor sind Tänzerinnen-Mütter selten. Umso verdienstvoller ist diese Langzeitbeobachtung.

Das Kind gebe ihr zusätzlich Energie, sagt sie – einerseits. „Wenn man ein Kind hat, weckt das Kräfte, die man nie zu haben glaubte.“ Andererseits hasse sie es, wenn sie nach einer nutzlosen Probe nach Hause komme und für den kleinen Jacopo keine Energie mehr habe. Die Probendisposition scheint keine Rücksicht auf ihre besondere Situation zu nehmen. „Ich weiß nicht, warum ich immer die Letzte beim Proben bin“, sagt sie. Und fragt: „Tun sie das aus Gedankenlosigkeit oder aus Absicht?“

Zunehmend erleben wir eine Künstlerin, die ihre Situation als Mutter und Tänzerin reflektiert. „Unsere Arbeitsverträge geben uns keine Sicherheit. Niemand ist sicher.“ Sie hat Angst, man könne glauben, sie sei wegen des Kindes weniger verfügbar. Bewunderung auf der einen Seite treffen auf Rollenklischees auf der anderen. Sie spürt durchaus die Haltung, dass eine Frau sich damit zufrieden geben solle, zu Hause und Mutter zu sein. Das werde nicht ausgesprochen, stehe aber immer im Raum. Filmregisseurin Laura Kaehr kommt Giulia Tonelli in ihrem Porträt sehr nahe – in ihrer Leidenschaft und ihren Zweifeln. Gezeigt wird unter anderem die Zusammenarbeit mit Intendant Christian Spuck, die nicht ohne Schwierigkeiten ist. Gezeigt wird aber auch die spannende Arbeit mit Cathy Marston, selbst Mutter, die mit ihr zusammen eine Choreografie entwickelt. Cathy Marston – das erfährt der Zuschauer erst im Abspann – wird 2024 Nachfolgerin von Spuck als Leiterin des Balletts Zürich.

Im Gespräch mit dem Vater spricht sie über das System Ballett. Es fehle an unabhängigen und reifen Leuten in ihrer Welt, findet sie. „Leider neigt die Tanzkunst dazu, dafür zu sorgen, dass wir alle infantil bleiben, wie Kinder. Das macht uns kontrollierbarer.“

Der sehenswerte Film folgt Giulias Entwicklung als Mutter und Tänzerin. Er macht auch deutlich, dass diese Balance zwischen Familie und Tanzkarriere nicht ohne Unterstützung, viel eigene Kraft und den Zuspruch der Umwelt möglich ist. Das Kind, so sagt sie, sei das Wichtigste in ihrem Leben, und sie wünscht sich, ihn an ihrer Leidenschaft für den Tanz teilhaben zu lassen: „Ich hoffe, ich tanze noch, wenn er sich an mich erinnern kann.“

Barbara Haack

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