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Editorial

Alles Gute

Natürlich wünsche ich den Leserinnen und Lesern von „O&T“, wie eigentlich fast allen Menschen, für das neue Jahr alles erdenklich Gute! Aber – einmal abgesehen von den individuellen Faktoren wie Gesundheit, Liebe etc. – wie realistisch ist dieser Wunsch eigentlich?

Tobias Könemann. Foto: Pascal Schmidt

Tobias Könemann. Foto: Pascal Schmidt

Die Momentaufnahme der Welt zum Jahreswechsel ist doch eher ernüchternd: Der Klimawandel kommt schneller und bedrohlicher als vorhergesehen, und niemand, der über relevante Gestaltungsmittel verfügt, tut wirklich etwas dagegen. Statt dessen lodern allenthalben Kriege (wieder) auf, und die Staatengemeinschaft sieht hilflos zu, aufgeteilt in Blöcke, die es nicht schaffen, einander zuzuhören. Eine Folge dieser Kriege sind weltweite Energie- und Nahrungsmittelkrisen. In unserem Land setzt die Regierung aufs „Bremsen“: Gas- und Strompreis „bremsen“, um einerseits die Folgen der weltweiten Verwerfungen von den Vollkasko-Bürger/inne/n fernzuhalten und andererseits den raubtier-kapitalistischen Energie-Konzernen die Milliarden, die sie sonst am Markt erwirtschaften müssten, aus Steuergeldern in den Rachen zu schmeißen; gleichzeitig absurderweise die „Schuldenbremse“, gepaart mit einer „Steuerbremse“, um zugleich jegliche verantwortliche Entscheidung über Investitionen in die Zukunft, wie etwa Bildung, Digitalisierung, Integration, energetischen Umbau, vermeiden und jedenfalls eine kurze Zeit so tun zu können, als könne alles beim vertrauten, geliebten und ach so komfortablen Alten bleiben.

Aber das alles ist nicht (nur) Ausdruck einer hilflosen Politik, sondern – viel schlimmer – einer erodierenden, sich hier wie in vielen „westlichen“ Staaten täglich weiter desolidarisierenden Gesellschaft. Und prompt lauern an allen Ecken rückwärtsgewandte, machtgierige und selbstgerechte Kräfte, denen es zunehmend gelingt, mit einfachen, greifbaren Rezepten für eine vermeintlich bessere Welt Sehnsüchte von Menschen zu treffen und, auch durch den treffsicheren Einsatz von Feindbildern, massenweise Wählerstimmen auf sich zu lenken. Die Demokratie führt sich – nicht zum ersten Mal in der Geschichte – selbst in die Krise, und das in einer Zeit, in der globale Bedrohungen ein breit angelegtes gemeinsames Handeln erfordern würden.

Allein in Deutschland stehen in diesem Jahr, zusätzlich zu dem, was uns von jenseits des Atlantik droht, bekanntlich vier Wahlen an – die Europa-Wahl und drei Landtagswahlen. Insbesondere bei Letzteren steht zu befürchten, dass durch das Wahlergebnis die Handlungsfähigkeit demokratischer Institutionen spürbar eingeschränkt wird.

Warum schreibe ich das gerade hier? Weil doch die Kunst, das Theater, für sich zu Recht in Anspruch nimmt, eine menschliche, freie und wache Gesellschaft fördern und stabilisieren zu können. Versagen hier also auch wir? Möglich – vielleicht sind wir aber auch nur zu leise? Muss man nicht Populismus als Methode ein Stück weit von den typischerweise durch ihn transportierten Inhalten und Ideologien trennen? Kann man sich nicht der offenkundig erfolgreichen Methode bedienen, um andere als extreme Werte zu transportieren? Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Kunst sich in den letzten Jahrzehnten hier und da in ihre Elfenbeintürme – oder neudeutsch: „Bubbles“ – zurückgezogen hat. Natürlich äußern sich Künstler/innen immer wieder sehr rational zu politischen Fragen, und das ist gut so. Aber das ist etwas anderes als die Potentiale, die suggestive Wucht, die künstlerische Ausdrucksformen entfalten können, die, genau wie die vergifteten Heilsbotschaften der Rechtspopulisten, in der Lage sind, Emotionen ohne den Umweg über den Verstand anzusprechen. Und ich glaube, wir sind wie selten gefordert, dies in höchster Intensität, unüberhörbar und ohne Scheu vor Banalität zu tun, übrigens auch im Interesse der eigenen Nachhaltigkeit. Bleibt die Frage, wie und wo man diejenigen erreicht, die – bewusst oder unbewusst – die Kulturinstitutionen ignorieren. Ich habe keine zuverlässige Antwort, aber versuchen wir es da, wo man uns eigentlich nicht unbedingt erwartet: etwa in „social media“, auf der Straße, im Fußballstadion etc.

In diesem Sinne wünsche ich uns ein lautes, buntes und aktives Jahr 2024.

Tobias Könemann

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