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Rezensionen

Die hohe Kunst der Kostümierung

Hanspeter Spek (Hg.), Renate Schmitzer – Kostüme. „... und sie waren wieder einmal alle nackt“. Verlag KulturConsulting, Ulm 2020, 120 S., 38 Euro, ISBN: 978-3-936167-14-6, mit Stoffmustern

Das Theater hat sich überwiegend der klassischen Künste der Kostümierung entkleidet. Weithin hielt Alltagsgarderobe aus verschiedenen Phasen der Moderne Einzug. Das tat sie immer wieder auch bei Produktionen, für die Kleidung der Akteure von Renate Schmitzer konzipiert wurde. Doch diesem Zug der Zeit setzte die Kostümbildnerin eine Vielzahl von Arbeiten entgegen, die durch historische Bezugnahmen, Opulenz und Originalität brillierten.

Renate Schmitzer: Figurinen zu „Lohengrin“

Renate Schmitzer: Figurinen zu „Lohengrin“

Zwei Beispiele der Ausstattung von szenisch realisierten Händel-Oratorien, bei denen jeweils Dietrich Hilsdorf Regie führte und Dieter Richter die Bühnenarchitektur kuratierte: Bei „Jephta“ (Bonn 2005) orientierte sich Schmitzer an der nazarenischen Malerei des 19. Jahrhunderts, die mit der Händel-Rezeption verschiedentlich eine innige Symbiose bildete. Bei „Hercules“ (Essen 2010) erschien der antike Held im Ambiente der Londoner Society um 1745 und des Österreichischen Erbfolgekriegs, an dem die Briten maßgeblich beteiligt waren. Die zeitgenössischen Darstellungen von Hoffesten und Heerführern verlieh der Szene gespenstischen Realismus.

Das Lebenswerk der Künstlerin Renate Schmitzer (1941–2019) resümiert jetzt ein prächtiger Band mit einer von Hilsdorf und Richter sowie Kerstin Jacobssen getroffenen Auswahl großformatiger Abbildungen (Skizzen, Figurinen, Szenenfotos). Sie dokumentiert die Entwicklung von detailverliebten frühen Arbeiten bis zu den mit breitem Pinsel hingeworfenen späten; vor allem ein Auge für mögliche, auch groteske Interpretationen von Figuren. Zwei exquisite Gewebeproben wurden eingebunden (Schwarze Spitze „Dentes Gallon“ und Pailettenstoff), ein halbes Dutzend Texte von Susanne Fetzer, Georg Kehren, Alexander Kluge sowie Jacobssen eingestreut.

Renate Schmitzer: Figurinen „Peer Gynt“

Renate Schmitzer: Figurinen „Peer Gynt“

Der Dramaturg Kehren erzählt den Lebenslauf plastisch – von den Autoritätsproblemen im Elternhaus der 1950er-Jahre und der gründlichen handwerklichen Ausbildung in Köln, von den ersten festen Engagements in Dortmund und Ulm bis zur europaweiten freiberuflichen Tätigkeit. Die führte Schmitzer nach Antwerpen und Basel, Ferrara und Catania, Hamburg und Kopenhagen, München und Salzburg, Paris, London und Berlin. Sie arbeitete zwar schwerpunktmäßig mit Hilsdorf und Richter zusammen, unter anderem aber auch mit Giancarlo del Monaco, Augusto Fernandez, Jean-Louis Martinoty oder Juri Ljubimow.

Jacobssen weist auf eine Innovation hin, für die Schmitzer in ihrer Branche sorgte. Während man traditionell für die Herstellung historischer Kostüme vor allem zu „schweren Stoffen und Materialien“ gegriffen habe, verwendete sie für „ihre Visionen“ leichte Stoffe, „mehrere Lagen verschiedener Materialien und ungewöhnliche Schnitte“: „Reifröcke beispielsweise wurden aus biegsamem Plastik und Leder hergestellt, und schon war die Kunst nicht mehr auf ‚Stehen und Sprechen’ reduziert, die Schauspielerin konnte sich ganz anders bewegen, sich auf den Boden setzen.“ Schmitzer gelang es, „Althergebrachtes infrage und auf den Kopf zu stellen“. Sie charakterisierte Kleidung als soziale Chiffre – dass und wie Kleider Leute machen. Oder eben auch Parvenüs.

Der Untertitel des hervorragend gestalteten Bandes zitiert die Geehrte. Die ärgerte sich immer wieder, dass die Rezensenten die Leistung der Kostümabteilung nicht erwähnten. Das rührt an ein strukturelles Problem auch der Fachkritik, der in den letzten Jahrzehnten zunehmend weniger Zeilen oder Sendeminuten zur Verfügung standen. Und tatsächlich unterliegt auch eine hochkarätige Kostümgestalterin in der Konkurrenz um Aufmerksamkeit häufig gegenüber der Stimme der Primadonna. Die editorische Anstrengung von Schmitzers Kombattant/-innen bedeutet einen bemerkenswerten Akt ausgleichender Gerechtigkeit.

Frieder Reininghaus

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