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Hintergrund
Oper mit doppeltem Boden
Musiktheater in der DDR
Theoretisch war die Deutsche Demokratische Republik ein sozialistischer Staat. Das Opernleben wurde ideologisch eingepasst, kontrolliert und hatte seine festgelegte Aufgabe beim Aufbau und der Vervollkommnung des sozialistischen Gemeinwesens. Doch von Anfang an klaffte zwischen ideologischem Anspruch und realer Wirklichkeit eine tiefe Kluft. Staatswille und Volkes Wille, die Interessen von Politik und Publikum, waren nicht deckungsgleich, was zu befremdlichen Widersprüchen führte.
Die Bühnen der DDR unterstanden der Aufsicht der staatlichen Behörden sowie der SED, die in den Theatern selbst durch Parteigruppen und Parteisekretäre vertreten war. Über alle wachten IMs der Staatssicherheit. Diese Instanzen sorgten dafür, dass die dem Medium zugewiesenen Funktionen erfüllt wurden. Die wichtigste war die Popularisierung des Marxismus-Leninismus als herrschende Staatsideologie sowie die Propaganda für den Aufbau und die Festigung des Sozialismus. Insbesondere die Oper setzt ja im Gegensatz zum Sprechtheater per se auf die Überwältigung der Zuschauer durch Affekte und lässt sich relativ leicht – entsprechende ideologiekonforme Libretti vorausgesetzt – propagandistisch instrumentalisieren.
7. Oktober 1989: Premiere des „Fidelio“ in der Regie von Christine Mielitz. Das Foto (Matthias Creutziger) zeigt Ute Selbig als Marzelline und Herren des Sächsischen Staatsopernchors.
Die Oper wurde in der DDR einerseits als vielbeschworenes „kulturelles Erbe“ verwaltet und gepflegt mit traditionellem Repertoire (welches das breite Publikum verlangte), andererseits brüstete sich die politische Staats- und Theaterführung mit neuen, zeitgenössischen (Auftrags-) Werken. Auch die Operette feierte – obwohl „plüschig-dekadente“ Gattung des „Klassenfeinds“ – fröhliche Urständ‘, es gab spielfreudige, leistungsstarke Operettentheater (in Berlin, Leipzig und Dresden), die sich größten Zuspruchs erfreuten, nicht immer zur Freude der Staatsorgane, SED oder Staatssicherheit, die den Opernbetrieb bis ins Kleinste zu lenken sich bemühten und in einer Weise in Spielplanpolitik und Sängerbesetzungen hinein regierten, dass ein „normaler“ Opernbetrieb eigentlich unmöglich war.
Es bedurfte schon gewiefter und couragierter Intendanten (die gab es, abgesehen davon, dass die meisten in der Partei waren), das Unmögliche möglich zu machen. Oftmals waren sie politisch eingebunden oder arrangierten sich mit der alles kontrollierenden Staatssicherheit. Dann war vieles möglich, wenn auch nicht alles, beispielsweise litten die Etats der Theater permanent unter Devisenmangel, weshalb westliche Künstler nur in Ausnahmefällen engagiert werden konnten.
In der Regel hatte man sich mit dem DDR-eigenen, beschränkten Sängerpool zu begnügen, was manchmal zu suboptimalen Besetzungen führte. Einmal abgesehen von herausragenden Sängerpersönlichkeiten wie Theo Adam oder Peter Schreier, die, allerdings staatlich gelenkt und geführt (überwacht), auch im Westen Geld verdienten, nicht zuletzt, um die Devisenkasse ihres Staates aufzufüllen. Man behalf sich mit Sängern aus sozialistischen Bruderländern. Viele Ensembles waren hoffnungslos überaltert, da die Sänger auf Lebenszeit angestellt waren und – wenn sie Staatspreisträger oder Kammersänger waren – ein Recht hatten auf eine stete Zahl von Hauptpartien bei Premieren. Ganz zu schweigen vom notorischen Materialmangel für Kostüme und Dekorationen. Auch spielte man vornehmlich „billige“ Ausgaben von Werken, für teure Tantiemenzahlungen (zumal in Devisen), war meist kein Geld da. Auch da bestätigten Ausnahmen die Regel. Der Chef der Berliner Komischen Oper, Walter Felsenstein, ist wohl das berühmteste Beispiel.
Man sah in der DDR ausstattungsprächtige Prestigeaufführungen neben ärmlichen „Provinz“-Produktionen, erschütternd harmlose, oft unsagbar spießige Aufführungen, aber auch avanciertes anspruchsvolles Musiktheater. Auch die Bauten und technischen Ausstattungen, ganz zu schweigen vom Komfort vieler Theater, ließen zu wünschen übrig. Von insgesamt 42 Bühnen, die die DDR zu einem beispiellos reichen und vielfältigen Theaterland machten, waren viele veraltete, provisorische, wo nicht baufällige, auch zweckentfremdete Gebäude wie Schulen, Hallen oder sogar gastronomische Betriebe. Wer vor der Wiedervereinigung das Opernland DDR zwischen Rostock und Karl-Marx-Stadt, Berlin und Dresden, Halberstadt und Frankfurt an der Oder, Erfurt und Annaberg-Buchholz bereiste, war nicht selten sprachlos. Die DDR war eben ein Mängelstaat.
Und doch war die enorme Produktivität (nicht selten mehr als ein Dutzend Premieren pro Spielzeit), der künstlerische Output (man konnte selbstverständlich einen „Ring“ in Magdeburg, den „Tristan“ in Cottbus und einen „Rosenkavalier“ in Meiningen erleben) und die Begeisterung bei den Machern wie beim dankbaren Publikum für das Musiktheater enorm. Gerade in den kleinen und mittleren, in den sogenannten Provinztheatern, war das Theater, auch das Musiktheater, oft Zentrum des kulturellen städtischen Lebens, wenn es nicht verordnetes Theater von „oben“ war und ganze Arbeiterbrigaden angekarrt wurden, um die leeren Zuschauerräume zu füllen, denn zunehmend vertiefte sich mit dem Älterwerden der DDR die Diskrepanz zwischen ideologischem Auftrag und gesellschaftlicher Wirklichkeit des Musiktheaters, zwischen offizieller Platzausnutzung und tatsächlichem Publikumszuspruch. Die staatliche Wirklichkeit wurde schließlich interessanter als das Theater, weshalb nach der Wende ein trauriges Theaterfusionieren und -sterben einsetzte.
Eckart Kröplin: Operntheater in der DDR.
Zwischen neuer Ästhetik und Politischen Dogmen
Henschel Verlag. 360 Seiten. Hardcover. 28,00 Euro
ISBN 978-3-89487-817-7
Was das Musiktheater der DDR bis Anfang der 1980er-Jahre kennzeichnete, war seine utopische und subversive Funktion, die einem Dialog mit dem Publikum gleichkam. Chiffriert, durch allegorische oder parabelhafte Handlungen, Dekorationen und historischen Abstand auf der Bühne, konnte im Musiktheater soziale Wirklichkeit und politische Gegenwart der DDR gespiegelt werden. Es war oft ein Katz- und Mausspiel mit den Aufpassern der Staatsmacht. Doch das Publikum war hellhörig für subversive Zwischen- und Untertöne und verstand die Botschaften. Das Theater erfüllte eine Ventilfunktion und stärkte zugleich den Mut zur öffentlichen Kritik am herrschenden System.
„In der DDR lernte das Theaterpublikum schnell, zwischen den Zeilen zu lesen und Zwischentöne zu hören – so wie es der Dramatiker Heiner Müller in seinem Libretto zur Oper ‚Lanzelot‘ von Paul Dessau formulierte: ‚Was man noch nicht sagen kann, kann man vielleicht schon singen.‘“ Zu Recht spricht Eckart Kröplin in seiner jüngsten Publikation von „Oper mit doppeltem Boden“.
Eine „noch ungeschriebene DDR-Kulturgeschichte des Musiktheaters“ hat er, seinem Bekenntnis zum Trotz, jedoch nicht geschrieben. Schon Sigrid Neef, die Dramaturgin, engste Mitarbeiterin und wichtigste Stasi-Bespitzlerin von Ruth Berghaus – so Corinne Holtz in ihrem Enthüllungsbuch („Ruth Berghaus. Ein Porträt“, 2005) –, hat 1992 ein opulentes Werk publiziert: „Deutsche Oper im 20. Jahrhundert. DDR 1949-1989“. Allerdings legt Kröplin in vier Kapiteln eine wesentlich sachlichere Aufarbeitung der DDR-Operngeschichte vor, in der das Operntheater in seiner ganzen Bandbreite in den Blick genommen wird. Aufführungspraxis, Rezeption, neue Werke, der Umgang mit der klassischen Tradition, theatergeographische Strukturen im kulturpolitischen Raum, Inszenierungsgeschichten, Repertoirepolitik und ästhetische Diskussionen werden in einen Zusammenhang gebracht und durchaus kritisch gewertet. Auch die ideologischen wie ästhetischen Kämpfe innerhalb der Theaterverbands-Kongresse und SED-Parteitage werden dem Leser nicht vorenthalten.
„Das Operntheater in der DDR war nicht nur Ort großer inszenatorischer Leistungen, sondern auch repräsentatives Statussymbol. Der neue Staat sah sich als Volksdemokratie, die Theater wurden zu ‚Volkstheatern‘, diese wiederum auch zur Kulisse der sozialistischen Politik.“ Das Verhältnis zwischen Staat und Opernhäusern in der DDR war stets ambivalent. Kröplin nennt als Paradebeispiel die Oper „Das Verhör des Lukullus“ von Bertolt Brecht und Paul Dessau aus dem Jahre 1951, die an der Staatsoper Berlin aufgrund ihrer unerhörten avantgardistischen Ästhetik schnell wieder abgesetzt wurde. „Man versuchte den Einfluss spätbürgerlicher, westlicher Kunst auf die DDR zu verhindern, Künstler hatten kulturpolitischen Dogmen zu folgen.“
In seiner Publikation wird deutlich, dass das Operntheater und überhaupt das Kulturleben in der DDR geprägt wurde von Schriftstellern und Theaterautoren wie Bertolt Brecht, Friedrich Wolf, Erwin Strittmatter, Christa Wolf oder Brigitte Reimann, von Komponisten wie Hanns Eisler, Paul Dessau oder Udo Zimmermann, von Bildenden Künstlern wie Wolfgang Mattheuer, Bernhard Heisig oder Willi Sitte und natürlich von Regisseuren wie Walter Felsenstein, Harry Kupfer, Ruth Berghaus oder Peter Konwitschny.
Auffällig bei fast allen DDR-Inszenierungen, so ist zutreffend zu lesen, „war immer wieder – bei aller Unterschiedlichkeit der Handschriften – eine werkkritische ästhetische Analyse, verbunden mit einer sozialkritischen und historisch differenzierten Lesart“. Dies gilt vor allem in Bezug auf die Werke Richard Wagners.
Boris Kehrmann hebt in seinem Aufsatz „Um einen marxistischen Wagner von innen bittend“ (in „Richard Wagner. Kgl. Kapellmeister in Dresden“, 2016) hervor, dass gerade das marxistisch-leninistisch (aber auch von Shaw, Thomas Mann und Lunačarskij) geprägte Wagnerbild der DDR durch prominente DDR-Regisseure, aber auch nicht unwesentlich durch den Wagnerschriftsteller Hans Mayer, der Wagner als Kapitalismus-Kritiker lesbar machte, in die Bundesrepublik exportiert und zum vorherrschenden Wagnerbild bis heute wurde.
Eckart Kröplin bestätigt dies: „Gastinszenierungen von DDR-Regisseuren“ in der BRD hätten „immer wieder Aufsehen“ erregt und gerade in den 1970er-Jahren nicht nur gegen ein gängiges Wagnerbild, sondern auch „gegen eine saturierte, selbstgefällige Befindlichkeit der BRD-Wohlstandsrealität“ rebelliert. Da verrät sich Kröplins alte West-Animosität. Er war ehemals einer der Repräsentanten des DDR-Theaters, ab 1984 Chefdramaturg und Stellvertreter des Intendanten an der neueröffneten Semperoper in Dresden.
Nichtsdestotrotz spannt Kröplin, souverän über seinen eigenen Schatten springend, einen großen Bogen von der „antifaschistischen“ Aufbruchsstimmung nach 1945 (die Behauptung vieler Theaterleute noch 1989, als Antifaschist angetreten zu sein, bedürfte einmal einer genauen Überprüfung!), der ästhetischen Neuorientierung in den 1950er-Jahren, „dem Weggang vieler Künstler nach dem Mauerbau 1961, der letztlich nur scheinbaren Liberalisierung in den 1970er-Jahren“ bis zum großen Widerspruch zwischen nach Freiheit strebender Kunst und herrschender Politik. Sein Buch reicht bis zur Oper in der Wende und das Einstürzen der Kulissen angesichts der Konfrontation der DDR-Bevölkerung „mit der morbiden sozialistischen Realität“, mit „festgefahrenen und versteinerten Dogmen in Kunst und Kultur“. Das „Operntheater der DDR war jedoch bereits vor dem Ende der DDR im Geiste aus dem Lande geflohen“. Kröplin meint die immer stärkere Arbeit von DDR-Regisseuren und Sängern im Westen. „Das Land hatte sich überlebt, nicht aber seine Opernkunst.“ So sein Fazit. Auch da zeigt sich, dass der Autor Kind seines Landes, der ehemaligen DDR, ist, und stolz auf dessen Operntheater.
Kröplin erinnert mit gutem Grund (neben vielen anderen Aufführungen, die er prägnant beschreibt) auch an eine der letzten Opernaufführungen der untergehenden DDR. Im „Fidelio“ an der Dresdner Staatsoper anlässlich des 40. Jahrestages der DDR wurde „mit einer radikalen Bildsprache die Geschichte vorweggenommen: Eine Mauer und ein Stacheldrahtzaun schlossen das Geschehen unerbittlich ein – währenddessen forderte die Bevölkerung draußen auf der Straße ihre Befreiung aus der Einzäunung ein. Der Untergang der DDR stand an, das Volk erstürmte den ‚antifaschistischen Schutzwall‘ und brachte ihn zu Fall.“
Ein Verzeichnis wichtiger Inszenierungen in Berlin, Dresden und Leipzig, reiche Bebilderung, ein Literatur- und ein Personenverzeichnis machen das Buch zu einem wichtigen Nachschlagewerk.
Dieter David Scholz
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