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Rezensionen
Die Herausforderung, Wagner zu singen
Isolde Schmid-Reiter (Hg.) „Worttonmelodie. Die Herausforderung, Wagner zu singen“,
ConBrio, 304 S., 29 Euro
Schon der Musikkritikerpapst der Wagnerzeit, Eduard Hanslick, sprach von „specifischen Wagner-Sängern“, deren Vorzüge „der declamatorische Vortrag und die eminent dramatische Darstellung“ zu sein hätten. Wagner schwebte eine Anpassung der traditionellen Gesangstechnik an die Ansprüche seiner Musikdramen vor. Jedenfalls entsprachen die meisten Sänger seiner Zeit nicht seinen Vorstellungen.
Isolde Schmid-Reiter (Hg.) „Worttonmelodie. Die Herausforderung, Wagner zu singen“,
ConBrio, 304 S., 29 Euro
Der Gesangspädagoge Julius Hey, den Wagner als Lehrer seiner geplanten „Stilbildungsschule“ vorsah, baute in seinem bedeutenden Lehrwerk „Deutscher Gesangs-Unterricht“ (1882-1886) auf Wagnerschen Vorstellungen auf. Er forderte zur Bewältigung unterschiedlichster Partien des internationalen Repertoires eine profunde gesangstechnische Basis von den deutschen Sängern, die „die unerlässlichen Bestandteile des italienischen bel canto“ einbeziehe. Durchaus im Sinne Wagners zielte Hey konkret auf einen „vaterländischen“ Gesangsstil, der sich durch „höchste Deutlichkeit der Textaussprache, gesteigerte Energie des musikalisch-deklamatorischen Accents“ und durch Verschmelzung von „Wort- und Toncantilene zu melodischer Einheit“ auszeichne. Er nannte das den „deutschen“ oder „vaterländischen Bel Canto“. Auch der langjährige Bayreuther Studienleiter Wag-ners, Carl Kittel, berichtet in seinen Erinnerungen, dass Wagner bei aller Forderung nach sprachlicher Genauigkeit eine „ausgereift-vollendete Gesangskunst“ verlangt habe.
Isolde Schmid-Reiter hat sich im neuesten Band der Schriften der Europäischen Musiktheater-Akademie gemeinsam mit Musikwissenschaftlern, Regisseuren, Sängern, Agenten, Intendanten, Operndirektoren und anderen Wagnerkennern und Gesangsspezialisten dem Phänomen des Wagner-Gesangs zugewandt, und zwar „in Grundfragen wie in Details, (…) aus wissenschaftlichen Perspektiven wie aus praktischer Erfahrung“. Es geht in diesem Buch um Wagners Ideen und Ideale im Spannungsverhältnis zwischen Anforderung und Realisierbarkeit, zwischen „utopischem Entwurf und seiner Verwirklichung“, um die von ihm sogenannte „Worttonmelodie der menschlichen Stimme“, der, wie es in „Oper und Drama“ (Wagners programmatischer Hauptschrift) heißt, „Symbiose von Wortsprache und Tonsprache“.
Wagners Ziel war eine „Verschmelzung von Wort und Ton“, die für ihn als „das höchste dramatische Ausdrucksmittel“ galt. Der Musikwissenschaftler Laurenz Lütteken weist zurecht darauf hin, dass der „absichtsvolle Widerspruch zwischen den zugespitzten technischen Anforderungen und ihrer Realisierbarkeit“ bisher zu wenig erörtert worden sei.
Zuständig und charakteristisch für den Wagnergesang heute sind vor allem schwere Heldentenöre wie Hochdramatische und Heldenbaritone. Der Musikwissenschaftler Thomas Seedorf macht allerdings auf die Fragwürdigkeit solcher Stimmfächer (als Verbindung von Stimmgattung, Stimmtyp und Tradition des Rollenfachs) aufmerksam, wie sie beispielhaft bis heute etwa von Rudolf Kloiber festgelegt wurden. Susanne Vill erläutert konkret, was den Wagner-Sing-Schauspieler ausmacht: „Selbstentäußerung“. Ein zentraler Begriff für den Wagnergesang. Der Wagner-Sänger sei „Medium eines Austauschs zwischen physischer und geistiger Welt“. Der Mediziner Dirk Mürbe untermauert dies mit der detaillierten Erklärung der organischen und funktionellen Voraussetzungen aus stimmphysiologischer Perspektive. Welche Probleme es mit sich bringt, den Wagnersänger in das große Wagner-Orchester zu integrieren, erläutert die Dirigentin Simone Young.
Es ist kein leichtes opernpraktisches Unterfangen, Wagnerpartien im Spannungsfeld zwischen Sexappeal und Gesangskunst, Stimmkraft und deklamatorischer Kultur angemessen, will sagen szenisch wie musikalisch glaubwürdig zu besetzen. Darauf weist auch Operndirektor Intendant Dominique Meyer hin. Er plädiert angesichts eines (seiner Meinung nach) Mangels geeigneter deutscher Sänger dafür, „das Feuer nicht aussterben zu lassen und diese Lust an der Oper“ weiterzugeben. Letzterem kann man nur zustimmen.
Dieter David Scholz
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