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The crazy German

Die Sopranistin Irene Kurka im Gespräch mit Barbara Haack

Die Sopranistin Irene Kurka ist eine vielseitige Künstlerin. Schon früh hat sich die in Düsseldorf lebende Musikerin für neue Musik interessiert und tritt heute – neben ihren Engagements im klassischen Repertoire – in zahlreichen Avantgarde-Konzerten und -Zusammenhängen auf. Ein Besuch ihrer Webseite www.irenekurka.de lohnt sich. Hier dokumentiert sie ihre Ideen und Projekte. Barbara Haack sprach mit ihr für „Oper & Tanz“ über ihren künstlerischen Werdegang, ihren Umgang mit der neuen Musik und ihr Dasein als freiberufliche Künstlerin.

Oper & Tanz: Sie haben sich schon früh dem Gesang und der neuen Musik zugewandt. Wie kam es dazu?

Irene Kurka: Ich habe schon als Kind sehr gern gesungen. In meinem musischen Gymnasium bin ich schon sehr früh mit neuer Musik in Kontakt gekommen. Einer meiner Musiklehrer hat sich sehr für die neue Musik interessiert und auch selbst komponiert. Als junges Mädchen habe ich in einem sehr guten Chor gesungen, da wuchs bereits die Leidenschaft für das Singen und für die Bühne. Am Opernhaus habe ich dann schon Kinderrollen gesungen.

O&T: Zu der Zeit hatten Sie bereits Gesangsunterricht?

Irene Kurka. Foto: Thomas Götz

Irene Kurka. Foto: Thomas Götz

Kurka: Nein. Damals war es noch so, dass man mir, als ich 14 oder 15 Jahre alt war, die Stimme nicht kaputt machen wollte. Mir wurde gesagt, ich solle mit 17 oder 18 Jahren mit dem Unterricht beginnen. Das hat sich heute völlig verändert. Gesang habe ich erst in München an der Hochschule studiert und bekam dann ein Stipendium für die USA, zunächst in Dallas/Texas, danach noch in Vancouver. Ich bin auch dort immer wieder der neuen Musik begegnet. Die Studierenden der Kompositionsstudiengänge haben immer Sänger gesucht. Außer mir hat sich keiner getraut, das zu singen. Allerdings würde ich das, was damals in Dallas als neue Musik galt, heute gar nicht mehr so nennen. Es war sehr konservativ und postromantisch, es gab höchstens ein paar Intervallsprünge, die man bei Mozart nicht findet. Wir hatten dort auch ein Neue-Musik-Ensemble. Eigentlich mussten das alle belegen, um wenigstens einen Einblick zu bekommen. Aber die anderen, vor allem die Sängerinnen, sind nie erschienen. Am Anfang habe ich ewig gebraucht, um so ein Stück zu lernen. Dann wurde ich aber immer besser und schneller, und das hat sich auch herumgesprochen. Schließlich kamen alle Kompositionsstudenten, wenn sie etwas für Stimme geschrieben hatten, zu mir. Es hieß dann immer: Da ist so eine „crazy german“, die das Zeug singt.

In Vancouver gibt es eine sehr große asiatische community. Da bin ich mit Instrumenten aus dieser Region in Kontakt gekommen. Das fand ich faszinierend, weil ich wieder ganz neue Klangwelten kennengelernt habe. An der neuen Musik hat mir immer gefallen, dass es andere und überraschende Klangwelten gibt. Ich mag auch andere Musik, aber da weiß ich schon im Vorhinein, was passiert. Bei der neuen Musik weiß ich es oft nicht. Das fordert mich noch einmal anders.

O&T: Nach dem Studium sind Sie dann nach Deutschland zurückgegangen?

Kurka: Ja, in Nürnberg, am Studio Franken des Bayerischen Rundfunks, gab es damals einen tollen Redakteur, Klaus Hashagen. Er hat viele Sendungen über neue Musik gemacht und Aufträge vergeben. Auch vom Konservatorium sind immer gute Komponisten abgegangen. Da gab es eine fränkische Szene. Dadurch bin ich auch früh an Studioaufträge im Bayerischen Rundfunk gekommen, die damals noch sehr gut bezahlt wurden. Das hat sich auch verändert.

Mir ist irgendwann bewusst geworden, dass viele Methoden des Atmens oder andere Methoden, von denen ich dachte, sie seien extrem, eigentlich Dinge des Alltags sind.

Erst als ich nach Düsseldorf gezogen bin, hatte ich das Gefühl, dass ich wirklich mit Avantgarde-Musik in Kontakt kam, mit immer extremeren Dingen.

O&T: Sie sprechen von „Extremen“ in der neuen Musik. Was ist extreme neue Musik aus Ihrer Sicht?

Kurka: Mittlerweile würde ich das wohl gar nicht mehr so nennen. Anfangs war für mich alles, was vom schönen Gesang wegging, extrem. Mir ist aber irgendwann bewusst geworden, dass viele Methoden des Atmens oder andere Methoden, von denen ich dachte, sie seien extrem, eigentlich Dinge des Alltags sind. Extrem war für mich zum Beispiel, wenn ich gesäuselt oder gezischt oder gekeucht habe. Aber wenn man sich mit den Techniken vertraut macht, wird es irgendwann normal.

O&T: Das Publikum kommt in der Regel ins Konzert, weil es gerade das schöne Singen hören will. Wie viel muten Sie den Zuhörern zu, wenn Sie sich davon entfernen?

Kurka: Ich habe gerade einige Konzerte mit Dominik Susteck gemacht. Viele der Zuhörer waren nicht an neue Musik gewöhnt. Sie waren beeindruckt, dass man so mit der Stimme umgehen, sie so beherrschen kann. Ich lote heute viel mehr Facetten der Stimme aus, anstatt nur schön zu singen. Auch wenn ich mir eine klassische Oper anhöre, liebe ich Darsteller, die mit ihren Farben spielen. Ich mag es nicht, wenn alles einheitlich schön klingt, aber mich nicht berührt.

O&T: Ein Projekt, bei dem das besonders deutlich wird, ist das Beethoven-Projekt, bei dem Sie erst „schön singen“, nämlich Lieder von Beethoven, und dann in eine andere Sphäre wechseln und die beiden Welten einander gegenüberstellen. Macht diese direkte Gegenüberstellung dem Publikum etwas deutlicher?

Metropolitan-Projekt. Foto: Sonja Schwolgin

Metropolitan-Projekt. Foto: Sonja Schwolgin

Kurka: Ich finde Projekte immer schön, bei denen wir ein klassisches Werk der neuen Musik gegenüberstellen. Das öffnet das Hören für Zuhörer, für die die klassische Musik das Vertraute ist. Beim Beethoven-Fest habe ich Beethoven-Lieder gesungen, die Karin Haußmann sehr gekonnt arrangiert hat – und dann ihre eigenen Kompositionen dagegen gesetzt. So haben wir die Briefe an die so genannte unsterbliche Geliebte Beethovens beleuchtet.
Ein anderes Projekt ist ein Programm mit Musik von Hildegard von Bingen und John Cage. Für die Zuhörer klang das wie aus einem Guss: Man merkt diese tausend Jahre Unterschied nicht. Ich persönlich finde so etwas spannend. Ich bin neugierig, ich mag das Neue, und wenn ich auch Beethoven anders hören kann als vorher, freue ich mich.

O&T: Wie funktioniert diese Wechselwirkung?

Kurka: Es gibt ein schönes Stück von Carola Bauckholt, in dem ich ein Baby nachmache. Am Schluss muss ich quietschen. Beim Üben dachte ich am Anfang, hier wäre eine Grenze erreicht, jetzt müsste meine Stimme leiden. Dann habe ich, nachdem ich das Stück geübt habe, Händel-Arien gesungen und festgestellt, dass ich den Händel besser singen konnte. Insofern sehe ich immer vor allem die Erweiterung meiner Möglichkeiten.

O&T: Wenn man sich mit dem Fach der neuen Musik nicht beschäftigt hat, liegt es ja nicht so fern, anzunehmen, man mache sich mit diesen neuen Arten des Gesangs oder Lautgebens die Stimme kaputt…

Kurka: Diese Frage wurde mir des Öfteren gestellt. Ich habe immer wieder darüber nachgedacht und immer mehr Belege gefunden, warum das nicht so ist. Manches, was wir auf der Bühne machen, sind Alltagsgeräusche. Da ist gar nichts dabei. Ich glaube, man macht sich etwas kaputt, wenn man Angst davor hat.

O&T: Wie haben Sie sich solche Techniken angeeignet?

Kurka: Das war alles learning by doing. Es gab niemanden, den ich hätte fragen können. Ich habe ein gutes Gehör und habe vieles einfach ausprobiert. Ich habe sehr viel über das Hören gelernt und durch das Hinfühlen: Wie geht es mir und meiner Stimme damit?

O&T: Finden Sie in der neuen Musik immer wieder etwas tatsächlich Neues?

Kurka: Ja, ich liebe es weiterhin und werde weiterhin überrascht. Ich liebe es auch, mit Komponisten oder Komponistinnen Dinge zu entwickeln. Die neue Musik – das kommt mir auch sehr gelegen – hat sich sehr stark aufgesplittet. Früher war das, gerade in Deutschland, viel dogmatischer. Jetzt ist fast alles zu finden: von meditativ bis lustig, Avantgarde oder Crossover mit Rock und Pop. Da kann ich mich austoben und alle meine Facetten zeigen.

O&T: Sie entwickeln auch eigene Projekte?

Kurka: Ich arbeite gerne thematisch und hatte immer Themen im Kopf, die ich umsetzen wollte. Das habe ich ab 2010 gemacht, gestartet mit „Stabat Mater“, mit den „Salome-Extrakten“ oder zum Beispiel auch mit dem Metropolitan-Projekt in Stationen der Düsseldorfer U-Bahn. Ich habe mir dann die richtigen Kooperationspartner gesucht. Ich selbst habe zwar Ideen, kann singen und auch gut organisieren – aber ich bin keine Komponistin und keine Regisseurin.

O&T: Wie läuft das genau? Sie haben eine Idee, suchen sich die Menschen, die dazu passen – und dann jemanden, der das Projekt finanziert?

Kurka: Genau.

O&T: Und das klappt?

Kurka: Ja, immer öfter. Wir haben hier das Kulturamt Düsseldorf, wir haben die Kunststiftung NRW. Ich stelle Förderanträge, und scheinbar stelle ich mich dabei einigermaßen geschickt an. Wenn man einmal damit anfängt, Förderanträge zu stellen, dann baut man Netzwerke und Vertrauen auf, so dass bestimmte Stiftungen sagen: Was sie beim letzten Mal gemacht hat, war gut. Deshalb bekommt sie auch für ein weiteres Projekt Geld.

O&T: Sie sind als freiberufliche Künstlerin unterwegs, leben ein freies Patchwork-Dasein. Wie geht es Ihnen mit dem Thema Unsicherheit?

Kurka: Einer meiner höchsten Werte ist die Freiheit. Wenn ein Mensch sehr freiheitsliebend ist, ist das wichtiger als Sicherheit. Ich weiß, dass es auch andere Persönlichkeiten gibt, die sollten dann so ein Leben nicht führen.

O&T: Sie sind auch Ihre eigene Agentin. Dazu gehört das Thema Marketing. Haben Sie das gelernt? Wie gehen Sie das an? Viele Künstler wollen mit diesem Thema nichts zu tun haben. Sie lehnen es ab, sich zu verkaufen.

Kurka: Früher habe ich über den Begriff gar nicht nachgedacht, sondern habe einfach Dinge gemacht und immer wieder auch Bewerbungen aktiv verschickt. Im Lauf der Zeit kommt dann mehr und mehr von selbst. 2018 habe ich dann einen Podcast gestartet: „Neue Musik Leben“, um neue Musik bekannter zu machen und Hintergründe von Musikern oder auch des Musikbusiness‘ zu zeigen oder über Themen zu sprechen wie Zeitmanagement, Eifersucht, Veränderung. Ich bin mit dem Podcast nicht an den Start gegangen, weil es ein gutes Marketing-Tool ist. Später habe ich erst gemerkt, dass es das eben auch ist. Ich bin dadurch präsent, habe eine neue Hörerschaft, andere Fans. Teilweise kommen die dann auch in meine Konzerte oder senden mir Zuschriften. Reichweite und Aufmerksamkeit sind gewachsen, und ich kann natürlich auch über meine Projekte sprechen.

O&T: Wenn wir über Marketing reden, dann gibt es auch einen Markt. Wie sieht der Markt für neue Musik, speziell für Gesang und neue Musik aus? Wie groß ist er? Wie groß ist das Interesse?

Kurka: Es gibt auf jeden Fall einen Markt. Es schießen ja auch immer wieder Neue-Musik-Festivals aus dem Boden, und es gibt die etablierten Sachen. Gerade für Sopran wird sehr viel geschrieben. Es ist natürlich immer noch ein kleinerer Markt als der Klassikmarkt. Aber ich wünsche mir, dass das wächst.

O&T: Indem Sie in Ihrem Podcast über neue Musik sprechen, kann sich Interesse ja auch neu entwickeln.

Kurka: Auf jeden Fall. Ich habe Hörer aus unserer Fachwelt, die das toll finden. Ich habe aber auch „Laienhörer“, die das so spannend finden, dass sie sich dann doch mal in ein Konzert mit neuer Musik trauen. Ich glaube schon, dass da eine Hemmschwelle aufgehoben wird. Es gibt immer noch Kollegen, die finden, dass die neue Musik in den Elfenbeinturm gehört. Ich sehe es eher so, dass sie in die Gesellschaft, in die Welt hinein soll. Das Genre an sich verändert sich und kommt aus dem Elfenbeinturm heraus.

O&T: Sie arbeiten auch mit Komponisten, die etwas für Sie schreiben. Entwickeln Sie das dann gemeinsam, oder schreibt jemand, der Ihre Stimme kennt, etwas für Sie?

Kurka: Das ist unterschiedlich. Manchmal schreiben sie einfach etwas, von dem sie denken, dass es zu mir passt. Manchmal entwickeln wir auch etwas gemeinsam, zum Beispiel mit Christina C. Messner. Das ist sehr unterschiedlich. Das macht es ja auch wieder spannend.

O&T: Wie würden Sie anderen, gerade auch jüngeren Sängerinnen Mut machen, sich an die neue Musik zu wagen?

Kurka: Selbst wenn jemand nur klassischen Gesang studiert und danach ein Engagement in einem Opernhaus anstrebt, ist es so, dass die meisten Spielpläne zumindest einmal im Jahr zeitgenössische Opern aufs Programm setzen. Man kommt nicht daran vorbei. Deshalb fände ich es sinnvoll, wenn auch die Hochschulen schon im Studium den Studierenden viel mehr mitgeben. Es geht nicht unbedingt darum, Spezialisten auszubilden, sondern eine Ahnung davon zu bekommen. Dann empfehle ich einfach, mit viel Neugier und Offenheit ranzugehen. Man kann dabei sehr viel über seine Stimme erfahren und entdecken. Eventuell singt man dann auch den Mozart viel besser als vorher.

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