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Berichte

Mehr als eine Jazz-Oper

„Jonny spielt auf“-Premiere in Hagen

Fluch und Segen zugleich, das bedeutete die Oper „Jonny spielt auf“ für Ernst Krenek: Fluch, weil das nur allzu schnell mit dem Etikett „Jazz-Oper“ versehene Werk ihn als Komponisten in eine Schublade zwängte, in die er nicht wollte. Segen, weil das häufiger als Kurt Weills „Dreigroschenoper“ gespielte Werk ihm einen großen finanziellen Erfolg und damit auch Unabhängigkeit bescherte. Kaum hat nun das Jahr begonnen, stand schon am Theater Hagen die erste Premiere ins Haus. Das dortige Stadttheater hat sich bereits des Öfteren durch eine kluge und mutige Programmpolitik hervorgetan und – etwa im letzten Jahr mit Samuel Barbers Oper „Vanessa“ – höchstes Kritikerlob dafür eingeheimst.

In Kreneks 25. Todesjahr ist es nun vorgeprescht und hat die Oper „Jonny spielt auf“ durch Roman Hovenbitzer inszenieren lassen, ein ziemlich schillerndes Werk, das in vielen Details auch autobiografische Bezüge aufweist. Ein Werk, so schillernd mithin wie die Persönlichkeit Kreneks selbst: Der 1900 geborene und 1991 gestorbene Komponist erwies sich nicht selten als stilistisches Chamäleon und wurde nicht ganz unzutreffend als „Ein-Mann-Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. Die musikalische Seite liegt in Hagen in den Händen von Florian Ludwig, der als GMD bislang einen nicht immer bequemen, aber zweifelsohne nachhaltigen Weg gegangen ist, und der sich auch mit diesem Werk treu bleibt.

Nathalie Gehrmann, Alma Edelstein Feinsilber und Julia Karnysh als Tänzerinnen mit Kenneth Mattice als Jonny. Foto: Inka Vogel

Nathalie Gehrmann, Alma Edelstein Feinsilber und Julia Karnysh als Tänzerinnen mit Kenneth Mattice als Jonny. Foto: Inka Vogel

Denn leichte Kost ist Kreneks stilistisch aus dem Vollen schöpfende Musik trotz des vorschnell zuerkannten Jazz-Etiketts nicht. Im Gegenteil, die Partitur ist hochkomplex und bietet zusammen mit dem vom Komponisten selbst verfassten Libretto zahlreiche Anspielungen und selbstironische Seitenhiebe auf die Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts. Das Philharmonische Orchester Hagen spielt die munter zwischen vielen Stilen changierende Musik mit großartigem Schwung, auch wenn hier und da noch einige Ecken und Kanten zu Tage treten. Was das Orchester leistet, ist nicht nur grundsolide, es vermag unter Florian Ludwigs stringenter Stabführung durchaus zu fesseln.

Der Plot der Oper ist gewissermaßen eine ineinander verschachtelte Doppel-Dreiecksgeschichte par excellence: Eine Diva liebt einen Komponisten, zwischen die beiden drängt sich jedoch ein Stargeiger. Hinter dessen wertvollem Instrument ist ein Jazzgeiger her, der es zudem auf die Diva, aber auch auf jedes andere weibliche Wesen in seiner Reichweite abgesehen hat. Hier bietet sich reichlich Raum für Komik und dramatische Entwicklungen, was die im Grundsatz handwerklich solide Inszenierung von Roman Hovenbitzer jedoch nur zum Teil ausnutzt. Eher domestiziert wirken viele recht brav choreografierte Ensemble-szenen. Da fehlt ein bisschen das Anstößige und Verruchte, durch die sich das Showbusiness nicht selten auszeichnet. Die szenischen Ansätze dafür sind zwar da, nur lässt Hovenbitzer sein Ensemble dann ein wenig wie mit angezogener Handbremse statt mit Vollgas spielen. So ist es mehr Geschäft als Show, umgekehrt wäre es eindrucksvoller.

Ernst Krenek wurde nicht ganz unzutreffend als »Ein-Mann-Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts« bezeichnet.

Auch sonst zeigt sich die Inszenierung etwas unentschlossen. Der zeitliche Bezug auf die 1920er-Jahre als Entstehungszeit der Oper ist nicht zuletzt durch Kostüme und Bühnenbild (Jan Bammes) nicht von der Hand zu weisen, wird jedoch immer wieder durch kleine handwerkliche Schnitzer, wie etwa die Verwendung von Handys, torpediert. Mit passenden Bildern, aber insgesamt recht konventionell, ist der erste Akt inszeniert, deutlich spannender indes der zweite. Hier greift Hovenbitzer am dramatischen Kulminationspunkt der Oper zu einigen wirklich genialen inszenatorischen Kniffen, die das Geschehen nicht nur szenisch bebildern, sondern es in geistreicher Weise entschlüsseln. Und auch das Schlussbild bleibt nachhaltig in Erinnerung. Hier wird der ganze Hokus Pokus letztendlich entzaubert und die hochfliegenden Träume des Protagonisten von der Glitzerwelt des Showgeschäfts symbolisch zerstört.

Opern- und Extrachor des theaterhagen, Andrew Finden als Daniello und Rainer Zaun als Manager. Foto: Inka Vogel

Opern- und Extrachor des theaterhagen, Andrew Finden als Daniello und Rainer Zaun als Manager. Foto: Inka Vogel

Durchweg großartig ist das Sängerensemble. Edith Haller als divenhaft auftretende Sängerin Anita und Hans-Georg Priese als von Selbstzweifeln geplagter Komponist Max singen ihre überaus schwierigen Partien mit überragendem stimmlichen Tiefgang und geben ihren Figuren auch schauspielerisch ein sehr prägnantes Profil. Alleine diese beiden machen den Abend zu einem Ereignis. Sehens- und hörenswert sind aber auch Maria Klier als Zofe Yvonne mit zuweilen soubrettenhaftem Charme, Kenneth Mattice als windiger Jazzgeiger Jonny, der in symbolhafter Weise stets von einigen sich lasziv räkelnden Animierdamen umschwärmt wird, und Andrew Finden, der dem schmierigen Stargeiger Daniello mit baritonaler Grandezza eine stimmige Kontur verleiht. Der Chor zeigt zuweilen eindrucksvoll, wozu er stimmlich fähig ist, klingt an anderer Stelle aber wieder eher verhalten.

Insgesamt lohnt sich die Fahrt nach Hagen. Hier wird mutiges Musiktheater auf einem insgesamt ausgezeichneten Niveau gemacht. Und auch wenn die Inszenierung im ersten Akt ein wenig schwächelt, die inszenatorischen „coups de théâtre“ im zweiten machen diesen Makel mehr als wett. Da bietet dieser Hagener „Jonny“ eben jene Gänsehautmomente, derentwegen man in die Oper geht.

Guido Krawinkel

 

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