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Der Ursprung des Verbrechens
„Tannhäuser“ in Düsseldorf · Von Christoph Zimmermann
Das Wagnersche Bühnenoeuvre ist fest abgesteckt, da kann sich auch im Jubiläumsjahr kaum eine Überraschung einstellen. Bei „Tannhäuser“ in Düsseldorf gibt es insofern einen besonderen interpretatorischen Akzent, als GMD Axel Kober das Werk bald auch in Bayreuth leiten wird. Beim Ouvertürenbeginn frappieren Farbenreichtum und Klanghomogenität der Bläser, auch sonst gelingt Kober ein überzeugender romantischer „Sound“, eine großformatige, musikalisch-dramatische Perspektive. Dem verstärkten Chor der Deutschen Oper am Rhein wird es nicht schwer gemacht, seine Highlights wohltönend zu absolvieren (bei leichten Intonationstrübungen der Pilger), weil er von Regisseur Burkhard C. Kosminski (Schauspielintendant in Mannheim) ganz simpel an die Rampe gestellt wird.

Daniel Frank als Tannhäuser, Ensemble und Statisterie. Foto: Hans Jörg Michel
Freilich ist zu differenzieren. Als moderner Regisseur ist Kosminski zwangsläufig auch auf eine gewisse Patina des Sujets gestoßen. Besitzt die Liebe als Fleischeslust (Venusberg), so fragt er sich, heute noch eine derart demoralisierende Kraft, dass von einem „furchtbaren Verbrechen“ (Landgraf im 2. Akt) gesprochen werden kann, die Absolution durch den Papst erforderlich wird? Es ließe sich eine durchaus zugespitzte Akzentuierung dieses „sündhaften“ Verhaltens vorstellen, Kosminski indes hat nach einer alternativen Schuldsituation gesucht und sie auch gefunden. Das „Verbrechen“ ist für ihn eine Verstrickung in den Nazi-Terror, ein von Tannhäuser auch erkanntes Schuldverhalten, welches ihn traumatisch verfolgt. Daniel Frank liegt gleich zu Anfang auf der Vorderbühne und wälzt sich konvulsivisch. Nach Aufgehen des Vorhangs sieht man zur Musik des Pilgerchores (!) hinter Folien schemenhaft nackte Menschen, die als Opfer von Gaskammern auszumachen sind. An einer Stelle hält der Regisseur die Musik an. Die sehr lange Pause dient ihm für die Exekution einer Familie, welche Tannhäuser auf Weisung der Aufseherin Venus höchstselbst vornimmt.
Im ersten Akt stecken die meisten Denkanstöße. Das verliebte Paar Tannhäuser/Elisabeth zur Venusbergmusik sich miteinander vergnügen zu sehen, deckt tiefere Emotionsschichten sinnvoll auf. Den Hirten mit dem Kind der erschossenen Familie zu identifizieren, setzt Gedankenarbeit frei. Zu dem „Geliebter komm, sieh dort die Grotte“ wird eine über die Bühne gespannte Leinwand mit Blut übergossen – da friert es einen. Das Vorspiel zum dritten Akt, bei dem man Elisabeth als Nonne sieht (also aus weiterhin lodernder Liebe der Welt abhanden gekommen) endet mit einer Vergewaltigung durch Wolfram (durchaus musikkonform). Später wird ihr dieser ein Messer in die Hand drücken und ihr die Brust darbieten. Ein nochmals starker Akzent. Diese Szene zeigt allerdings auch, dass sich Kosminskis Nazi-Spuk als interpretatorische Umdeutung nicht durchhalten lässt, dass das „Verbrechen“ eben doch immer wieder auf Tannhäusers anarchisches Lustempfinden hinausläuft. Viele der anvisierten und im Programmheft durchaus plausibel zu lesenden Gedanken werden auf der Bühne nicht umgesetzt oder bleiben vage wie die Verbrennung der Selbstmörderin Elisabeth, die der Welt als Heilige bewahrt werden soll.
Es ist aber auch eine Fülle an inszenatorisch-handwerklichen Defiziten zu bilanzieren. Der zweite Akt (in der Wirtschaftswunder-Zeit nach 1945 angesiedelt) stellt geradezu ein Musterbeispiel an defizitärer Regie dar. Hier findet auch die funktionale Hässlichkeit von Florian Ettis Ausstattung einen deprimierenden Höhepunkt. Wie die Rheinopern-Besucher mit dieser letztlich misslungenen Produktion leben werden, wäre einer statistischen Nachforschung wert. Zu hören war fürs erste, dass der öffentlich gemachte Eindruck von der Generalprobe zu vielen Kartenrückgaben führte.
Bleiben die Sänger. Das Gefolge des Landgrafen (Thorsten Grümbel mit reduzierter vokaler Autorität) geht in Ordnung. Der weniger abgehobene als handfeste Wolfram von Markus Eiche (kerniger Bariton) sagt zu, Elisabet Strid ist zwar mehr Isolde als Elisabeth, offeriert aber reichen, üppigen Sopranklang. Elena Zhidkova gibt mezzogleißend die Venus als „iron lady“, Svenja Lehmann entzückt mit ihrer Unschuldsstimme als Hirt. Der Schwede Daniel Frank war ein Jahrzehnt lang Rocksänger, gab erst 2009 sein Operndebüt und dies auch noch als Bariton. Sein relativ helles Tenororgan lässt das fast unglaubhaft erscheinen. In der Premiere begann er zurückhaltend, fast etwas unsicher, um dann aber imponierend „aufzudrehen“. Zusammen mit seiner imaginativen Darstellung ergibt sich ein packendes Tannhäuser-Porträt.
Christoph Zimmermann |