Der Sänger als Kunde
Martin Geißler von der ZAV Künstlervermittlung im Gespräch
Die ZAV – Zentrale Auslands- und Fachvermittlung – ist
heute für das verantwortlich, was früher der Künstlerdienst
und die ZBF taten: Es geht um Stellenvermittlung für Künstler.
Eine eigene Abteilung ist spezialisiert auf die Themenfelder „Sänger“ und „Musiktheater“.
Barbara Haack sprach mit dem in Stuttgart für diesen Bereich
Verantwortlichen, Martin Geißler.
Oper & Tanz: Sie sind tätig für die ZAV-Künstlervermittlung – das
steht für Zentrale Auslands- und Fachvermittlung –,
dort für den Bereich Musiktheater und speziell für den
Chor. Was ist Ihr Aufgabenfeld?
Martin Geißler: Wir betreuen
den Bereich, der früher
ZBF hieß. Wir kümmern uns im Wesentlichen um das Musiktheater
und speziell um Sänger im Chor- und im Solo-Bereich. Die ZAV
ist ein Bestandteil der großen Bundesagentur für Arbeit.
Finanziert wird das Ganze also aus den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung. O&T: Wer beauftragt Sie? Die
Arbeitnehmer oder die Arbeitgeber? Wann werden Sie aktiv?
Geißler: Wir sind für beide Seiten tätig. Die Arbeitgeber
in meinem Bereich sind die Theater in Süddeutschland, in der
Schweiz und in Frankreich. Durch Vorsingen wiederum lerne ich die
Sänger kennen. Konkret rufen die Theater an, wenn bei ihnen
zum Beispiel eine Chorstelle frei wird, und ich versuche dann,
entsprechende Bewerber zu vermitteln.
Bei uns in Stuttgart findet einmal monatlich ein Vorsingen statt.
Es melden sich junge Sänger, darunter viele Studierende, Sänger,
die wechseln wollen, oder Sänger, die aus dem Ausland kommen.
Dann entscheide ich, ob sie in unsere Datenbank aufgenommen werden,
ob man ihnen Stellen anbieten kann.
O&T: Welchen beruflichen Hintergrund haben Sie für diese
anspruchsvolle Aufgabe?
Geißler: Ich habe zunächst
eine Kirchenmusik-Ausbildung gemacht. Dann habe ich Gesang studiert
und war 15 Jahre lang Solist
an verschiedenen deutschen Theatern. Als ich bereits absehen konnte,
dass ich mich – damals bei der ZBF – auch um den Chorbereich
kümmern würde, war ich eine Zeit lang als Opernchorsänger
in Mannheim tätig, um selbst zu erleben, in welches Metier
ich eigentlich vermittle. So kann ich die Sänger aus
eigener Erfahrung heraus beraten und ihnen sagen, worauf sie sich
einstellen müssen.
Ein Sänger an sich
O&T: Sortieren Sie die Sänger, die zu Ihnen kommen, nach
Qualität bzw. verschiedenen Vermittlungs-Kategorien?
Geißler: Ja, bei mir singen
ja nicht nur Chorsänger
vor. Ich betrachte jeden zunächst als Sänger an sich.
Dann entscheiden wir gemeinsam innerhalb eines Vorsingens: Was
ist möglich? Wie gut ist die Stimme? Was ist das für
ein Typ? Kann er oder sie Solist sein? Oder ist es für sie
oder ihn besser, im Chor zu singen? Danach erfolgt die Einstufung.
O&T: Gibt es dabei auch Sänger, die mit Ihrer Einschätzung
oder Einstufung nicht einverstanden sind, weil sie sich etwas ganz
anderes vorgestellt haben?
Geißler: Das kommt vor. Das
ist auch legitim, und jeder muss das für sich entscheiden. Natürlich kann die Marktlage
solche Entscheidungen beeinflussen. Aber es gibt gerade unter den
Studierenden viele, die unbedingt Solisten werden wollen. Ich versuche,
sie darin zu unterstützen – wenn es denn möglich
ist. Denkbar ist es auch, das Theater als Opernchorsänger
auszuprobieren und sich dann nach einigen Jahren ins solistische
Fach umzuorientieren. O&T: Gibt es auch ältere Sänger, die zu Ihnen kommen?
Geißler: Ja, es kommen eigentlich
alle Altersstufen. Es kommen auch Opernsänger, die von Hartz IV leben müssen. Auch
denen versuchen wir natürlich zu helfen.
O&T: Wie steht es mit deren Chancen?
Geißler: Es kommt auf die Lebensumstände, auf den einzelnen
Menschen an. Es gibt problematische Fälle, Menschen, die sehr
darunter leiden, kein Engagement zu haben. Wenn diese Menschen
dann schon über 50 Jahre alt sind, ist es schwer, für
sie etwas zu tun. Aber auch da gibt es die Möglichkeit, in
andere Theater-Berufe zu vermitteln. Es kommen auch Solisten, die
kein Engagement mehr haben und gerne in einem Opernchor singen
möchten.
Finanzierung
O&T: Zahlen die Theater etwas für die Dienstleistung?
Geißler: Nein, die ZAV funktioniert
so wie die Bundesagentur für Arbeit in anderen Berufsfeldern und finanziert sich aus
den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung sowie aus Steuermitteln.
Ich betreue die Arbeitgeber, also die Theater, allerdings sehr
intensiv. Ich besuche alle mindestens einmal in der Spielzeit,
frage sehr genau nach, was sie brauchen und suche auch dementsprechend
sehr genau aus. Das ist es, was sich die Theater von uns wünschen.
Wir sind deutschlandweit aufgestellt und haben eine gemeinsame
Datenbank, so dass wir auf jeden Kunden, egal, wo er vorsingt,
zugreifen und ihn weitervermitteln können.
O&T: Wie positionieren Sie
sich gegenüber anderen Möglichkeiten
der Stellenangebote und -suche. Es gibt zum Beispiel Stellenanzeigen,
es gibt Vorsingen in den Häusern selbst. Gehen die Sänger
bei der Stellensuche mehrgleisig vor?
Geißler: Mit Sicherheit.
Sie informieren sich natürlich
auch über Anzeigen oder über das Internet. Unser Vorteil
ist: Die Theater sagen uns genau, was sie haben wollen. Sie suchen
Sänger, die ganz bestimmte Qualitäten haben müssen.
Wir filtern dann im Rahmen unserer Vermittlungstätigkeit genau
aus. Wenn mich ein bestimmtes Theater kontaktiert und sagt: Wir
brauchen einen ersten Sopran, dann weiß ich mittlerweile
ziemlich genau, was sie wollen. Ich weiß auch, dass ich bestimmte
Sänger nicht dorthin schicken muss.
Marktlage
O&T: Wie schätzen Sie die momentane Marktlage für
Sänger ein?
Geißler: Es ist auf jeden
Fall für die Sänger schwieriger
geworden. Zahlreiche Theater haben zurzeit Einstellungsstopps,
die auch für den Opernchor gelten. Vakante Stellen werden
nicht nachbesetzt. Es gibt natürlich immer noch Stellen – aber
es gibt auch viele Bewerber.
Es war für Chordirektoren allerdings immer schwierig, sehr
gute Sänger zu finden. Das wird im Moment sogar leichter.
Die richtig guten Sänger mit solistischem Niveau finden oft
keine Stelle mehr im Solo-Bereich und fragen jetzt verstärkt
nach Möglichkeiten, im Chor-Bereich zu singen. Selbst die
kleineren Chöre haben also inzwischen das Glück, sehr
gute Sänger zu bekommen.
O&T: Was machen denn diejenigen,
die keine Stelle bekommen?
Geißler: Die Leute, die wirklich keine Chance auf ein Engagement
haben, merken das meistens schon relativ frühzeitig und orientieren
sich um. Wenn solche Sänger zu uns kommen, sagen wir ihnen
das. Man sollte einem mittelmäßig gut disponierten Sänger
auch nicht unbedingt raten, Gesang zu unterrichten. Das ist dann
aber
die Entscheidung des Einzelnen.
O&T: Wie beurteilen Sie die Ausbildungssituation
für Chorsänger
in Deutschland?
Musikhochschulen
Geißler: Einen Studiengang „Chorgesang“ gibt
es in Deutschland nicht. Es gibt natürlich die Hochschulchöre,
die aber wenig mit den Gesangsstudenten zu tun haben. Es wäre
wünschenswert, frühzeitig und konkret auf den Chorgesang
hinzuweisen und das Ensemblesingen zu schulen. Es gibt ja besondere
chorspezifische Erfordernisse: Wie höre ich? Wie binde ich
meine Stimme in den Ensembleklang ein? Wie rhythmisch genau bin
ich? Wie ist meine Intonation? Man muss das trainieren und begreifen,
dass man nicht so frei ist wie ein Solosänger. Und die Rückmeldungen
der Chordirektoren von den Vorsingen lassen erkennen, dass es Defizite
gibt.
O&T: Was ist Ihr Wunsch an
die Hochschulen?
Geißler: Wir als Vermittler
und die Professoren an den Hochschulen müssen den Studierenden klar machen, dass der Sängerberuf
nicht nur der Beruf des Solisten ist und dass es einen sehr anspruchsvollen
professionellen Chor-Bereich gibt.
O&T: Es geht also auch um den
Stellenwert des Chorgesangs in den Hochschulen und bei den Hochschullehrern?
Geißler: Das ist ganz wichtig.
Wenn es uns gelingt, diesen Stellenwert noch mehr in die Hochschulen
hineinzutragen,
dann haben
wir auch bessere Angebote für die Chöre. Wir initiieren
in Baden-Württemberg gerade eine neue Idee: Der Opernchor
Mannheim und der Staatstheaterchor Stuttgart bieten ab der nächsten
Spielzeit ein Schnupperpraktikum für junge Studierende an,
die für eine kurze Zeit im Opernchor mitmachen. Sie werden
staunen, wie toll und professionell die Opernchöre arbeiten.
Ich habe in diesem Fall den Kontakt zwischen den Opernchören
und den Hochschulen hergestellt und beteilige mich noch insofern,
als ich Workshops mit arbeitsmarktlichen Themen anbiete.
O&T: Klären Sie auch über die Mitgliedschaft in Gewerkschaften
wie der VdO auf?
Geißler: Selbstverständlich, das ist aus meiner Sicht
Teil des Sängerberufs. Und es ist wichtig zu wissen, dass
man als Chorsänger abgesichert und tariflich geschützt
ist. Das ist ja auch ein wichtiger Unterschied zum Beruf des Solisten – ebenso
wie die klaren Probezeiten und Rechte, die bei den Solisten ja
doch so klar nicht definiert sind. Für die Lebensplanung der
Studierenden können diese Informationen durchaus Bedeutung
haben. Aber wir sind als staatliche Vermittlungseinrichtung dem
Neutralitätsprinzip verpflichtet und so trete ich nicht als
Werber für die eine oder andere Organisation auf, sondern
informiere über Möglichkeiten.
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