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Kulturpolitik

Wotans Rückkehr nach Walhall

Zum Tode von Hans Hotter · Von Gerhard Rohde

Hans Hotter ist tot. Man möchte es kaum glauben. Seine hohe, imponierende Gestalt, das markante Gesicht, noch stärker vergeistigt von der Würde des Alters – Hans Hotter nahm auch nach dem Abschied von Bühne und Konzertpodium rege, neugierig und kritisch beobachtend bis zuletzt am künstlerischen Leben teil. Noch im letzten August traf man ihn in Bayreuth, wo er mit der Überreichung des Wilhelm Pitz-Preises der VdO für seine Verdienste um das deutsche Operntheater und die Gesangspädagogik geehrt wurde.

Als Wieland Wagner den am 19. Januar 1909 in Offenbach am Main geborenen Sänger 1952 als Wotan nach „Neu-Bayreuth“ verpflichtete, lagen immerhin schon mehr als zwei Jahrzehnte Sängerleben hinter Hans Hotter, nach Lehrjahren in Troppau, Breslau und Prag entscheidende, prägende Engagements an den Staatsopern in Hamburg und München. In München, wo die Hausdirigenten Clemens Krauss und, nach dem Krieg, Hans Knappertsbusch hießen, sang Hotter alle großen Wagner-Partien seines Bass-Bariton-Fachs, er sang auch in den Ensembles zweier Strauss-Premieren, als Kommandant im „Friedenstag“ und als Dichter Olivier im „Capriccio“.

Neues Pathos

 

 
 

Hotter als Borromeo in „Palestrina“. Foto: Bayerische Staatsoper

 

Die Begegnung mit Wieland Wagner bedeutete für den Sänger Hans Hotter einen entscheidenden Umbruch. Hotter hat oft anschaulich geschildert, wie schwer er sich zunächst mit dem neuen Bayreuther Stil tat: Allein auf der unendlich weiten, leer geräumten Szene, angehalten, den gesanglichen Vortrag nicht wie gelernt gestisch zu begleiten, sondern mit kleinsten Zeichen und Bewegungen die jeweilige dramatische Figur aus der Zusammenführung von Musik, Gebärde, Mimik und Körperhaltungen als Einheit zu formen. Aus dieser strengen Formung und Bewusstheit des Gestaltens konnte Hotter dann auch wieder etwas gewinnen, was zu diesem Zeitpunkt eher verpönt war: ein neues Pathos, nicht als hohle, aufgesetzte Gebärde, sondern als gesteigerte, von innen nach außen dringende Expression. Diese emotionale Bewegtheit verwandelte den Sing-Schauspieler Hans Hotter in einen großen Menschendarsteller: Holländer, Hans Sachs, Amfortas und immer wieder Wotan und Wanderer – da stand nicht der Sänger auf der Bühne und führte eine Theaterfigur vor, da identifizierte sich der Sänger mit der Figur, verschmolz mit ihr zu einer unauflöslichen Einheit. Wer Hotter auf dem Theater als Wotan erlebt hat, konnte sich der Wirkung des Auftritts nur schwer entziehen. Da stand wirklich ein Gott, machtvoll, herrisch, zornig auf der Bühne, der seine Würde auch dann noch behauptete, als das verschlungene Spiel um Macht und Liebe schon verloren war.

Nicht nur Wotan

Schon im fortgeschrittenen Alter hat sich Hans Hotter noch zwei Operngestalten zugewandt, denen er durch seine Persönlichkeit und künstlerische Autorität eine zusätzliche Dimension verlieh: In Frankfurt am Main verkörperte er in Vaclav Kasliks Inszenierung von Schönbergs „Moses und Aron“ den Moses: in einer subtilen, gleichsam gestischen Deklamation, die durch ihre Vergeistigung faszinierte. Und in München überredete ihn Günter Rennert noch zum Schigolch in Alban Bergs Oper „Lulu“ – was manche Hotter-Verehrer irritierte. Dabei liegt die Schigolch-Figur gar nicht so weit entfernt von Wagners Wanderer, dem unstet durch die Welt schweifenden Gott Wotan. Auch der wie ein Clochard durch die „Lulu“-Szenen geisternde Schigolch wirkt wie eine Chiffre des unbehausten Menschen. Hotters „Wanderer“ war mit Schigolch in Samuel Becketts moderner, also unserer Welt angekommen. Wunderbar, wie hier bei Hotter eigene Lebens- und Rollenerfahrungen sich in zwei Theaterfiguren trafen.

Innere Größe

Hans Hotters Lebensweg als Sänger steht für eine unendlich lange Periode auch der Opernkunst, in der letztere zum Teil bemerkenswerte Umbrüche erfuhr. Schmerzlich war es für Hans Hotter sicherlich, in den späten Fünfziger- und dann in den Sechziger- Jahren den allmählichen Zerfall des traditionellen Ensemble-Gedankens zu erleben. Der Zug der Zeit, mit dem schnellen Flieger rasch heute hier und morgen da zu gastieren, war für viele Sänger zu verführerisch. Als Gesangslehrer hat Hotter bis zuletzt versucht, dem Nachwuchs etwas von der physiologischen Natur der menschlichen Stimme zu vermitteln: wie man lernt, mit seinem Organ sinnvoll und pfleglich umzugehen. Er selbst hat natürlich auch an den großen Opernbühnen der Welt immer wieder, aber mit Bedacht gastiert, beherrschte fast 120 Partien, darunter nicht nur Wagner, sondern auch Mozart und Verdi. Wie Hotter bei Schubert die Stimmfärbungen mischte, zwischen fahlem Verdämmern, verzweifeltem Ausbruch und leuchtend schimmernd, das besitzt auch noch auf den historischen Schallplatteneinspielungen eine innere Größe, die unser musikalisches Empfinden tief zu bewegen vermag. Am 8. Dezember ist Hans Hotter im Alter von 94 Jahren gestorben.

Gerhard Rohde

 

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