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Schwerpunkt: Musiktheaterbau

Lokalitäten. Globalitäten

Anmerkungen zum Kulturbau im 21. Jahrhundert

„Uebrigens ist dieses Concert wie alle andere öffentliche Concerte beschaffen, ausser daß der Eingang etwas mystisches hat, indem man durch eine gemeine Herberge einen Gang heraufgeführt wird, nach dem man eher ein heimliches Halsgericht vermuthen sollte, als einen hellen Saal voll galanter Gesellschaft, die vielleicht ein wenig mehr gepudert ist, ein wenig steifer sitzt, und ein wenig unverschämter über die Musik raisonniert, als in anderen grossen Concerten geschieht.“

Im später von der Stadt entsprechend ausstaffierten Gewandhaus sollte alles förmlicher und erhabener werden: Res severa verum gaudium. Doch was der preußische Hofkapellmeister Johann Friedrich Reichardt hier 1774 naserümpfend über die Leipziger Ausweichspielstätte schreibt, dürfte seinerzeit für viele Konzertstätten gegolten haben. Es waren in der Regel Gastronomiebetriebe, etwa das Zimmermannische Caffe-Hauß (Telemann, Bach) oder deren angeschlossene Ballsäle wie in der Mehlgrube (Mozart, Beethoven), sofern nicht Adlige oder anders Vermögende adäquate Räumlichkeiten bereitstellten. Abonnements, Billets, Verzehr und Selbstausbeutung bildeten zudem eine prekäre Geschäftsgrundlage für Unternehmer, Musiker wie Komponisten, wobei sich auch die künstlerische Wertstellung problematisch gestaltete. Es wurde halt geplaudert und räsoniert, im höfisch geprägten Opernbetrieb gleichermaßen, sodass Sinne und Aufmerksamkeiten breit gestreut waren.

Theaterbau von Fellner & Helmer: Opernhaus Zürich. Foto: Dominic Büttner

Theaterbau von Fellner & Helmer: Opernhaus Zürich. Foto: Dominic Büttner

Dass und wie diese gesammelt wurden, lässt sich an vielen Orten Europas das 19. Jahrhundert hindurch verfolgen: Nicht immer gleichzeitig und regional unterschiedlich, bedeutet es dennoch eine Ära der Akkumulation von privatem wie öffentlichem Kapital, von Arbeit und Aufmerksamkeit, auch medial, zugunsten einer musikalischen Kultur, die auch die verschiedensten Begehrlichkeiten und Bedürfnise zu erfüllen hatte, nicht zuletzt in Form repräsentativer Bauten. Einzigartig jedoch, dass die zeitgleiche künstlerische Produktion so mächtig über das kulturelle Ziel hinausschoss in ihrem Anspruch auf Nachvollzug komplexer Verläufe und das Nacherleben all der gewaltigen Hörabenteuer, auf die sie das Publikum mitnahmen. Beethoven, natürlich. Aber auch Chopins Klavierwerk sprengt den Salon ebenso ins Unermessliche auf wie Wagners Musiktheater das Opernhaus. Diese Entgrenzung, dieser Hang zum bedeutsamen Überschuss, bei Bach, Haydn und Mozart ja bereits vorbereitet, bricht sich nun Bahn, und was Konzert- wie Opernhäuser hinfort ins Werk setzen, das ist das fortwährende dialektische Wechselspiel von Einhegung und Übertritt, einengender Praxis und überschießender sinnlicher Erfahrung – fokussiert, kontemplativ, still. Das brachte zwar dem Bürgertum säkularisierten Religionsersatz und Distinktionsmerkmale ein, doch allein mentalitäts- oder sozialgeschichtlich sind etwa die Sinfonien von Bruckner oder Mahler nicht annähernd ausgeschöpft: ihr Überschuss.

Und so sind Kulturbauten, wenn auch einem Bruchteil der Bevölkerung zugedacht, mit Industriebauten, Mietskasernen und verkehrstechnischer Infrastruktur die hervorstechendsten Baudenkmäler des langen, sich weit ins folgende ziehenden 19. Jahrhunderts. Was Stadt heißen sollte, musste auf jeden Fall einen Bahnhof haben sowie ein Theater, einen Konzert- oder Versammlungssaal als nice to have obendrauf. Besonders erfolgreich dabei das Wiener Büro von Fellner & Helmer, welches in vierzig Jahren Mitteleuropa mit über fünfzig Kulturbauten belieferte, mit Schauspiel- und Opernhäusern, jedoch auch mit der Tonhalle in Zürich sowie den Konzerthäusern in Ravensburg und Wien. Angefangen mit dem Stadttheater Varaždin 1871 bis zum Wiener Akademietheater 1913 bauten Fellner & Helmer nicht nur in KuK-Landen, sondern auch in Wiesbaden, Augsburg, Hamburg, Berlin, Gießen oder Fürth. Sie bauten einfach, modular, preis- wie qualitätsbewusst, stets auf die städtebauliche Situation ausgerichtet, weswegen die meisten Bauten von Fellner & Helmer heute noch stehen und auch bespielt werden.

Musiktheater im Revier (Gelsenkirchen). Foto: Pedro Malinowski

Musiktheater im Revier (Gelsenkirchen). Foto: Pedro Malinowski

Um ein anderes Beispiel herauszugreifen: Bochum. Das heutige Schauspielhaus eröffnete 1909 als Varietétheater unter anderem mit einer Tigerschau als kulturelles Zentrum des Neubauviertels Ehrenfeld, vom Immobilienspekulanten Clemens Erlemann geplant für Beamte und leitende Angestellte, die nun auch vermehrt ins Arbeiterrevier zogen. Den technisch omnipotenten Gesten heutigen Bauens ähnlich besaß das Gebäude gemeinsam mit dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal eine der größten freitragenden Betonkuppeln der Zeit. 1919 dann, nach unternehmerischen Pleiten und dem Krieg, zogen die Stadt als Träger und die Hochkultur endgültig ein; 1944 ging es im Bombenhagel unter, um dann nach dem Krieg im Stil der 50er-Jahre wiederaufgebaut abermals eines der bedeutendsten Sprechtheater zu beherbergen – bis heute: von Saladin Schmitt an und auch im Nationalsozialismus, so über Zadek und Peymann bis Johan Simons.

Während die 1919 gleichfalls in städtische Obhut genommenen Bochumer Symphoniker beinahe hundert Jahre auf ihre eigene Spielstätte warten mussten, das 2016 eröffnete Anneliese Brost Musikforum. Die Gesamtkosten, erstaunliche 38 Millionen Euro, wurden finanziert von Stadt, Land, EU sowie zu mehr als einem Viertel durch Spenden und Mäzene wie den Lottounternehmer Norman Faber und die WAZ-Verlegerin Anneliese Brost. Ein Ressourcen bündelnder Bau, der Vorhandenes wie eine aufgelassene Kirche integrierte, eine städtebauliche Wunde schloss, einen starken Impuls der abgleitenden Innenstadt verlieh und nicht zuletzt die Erfüllung zahlreicher lang gehegter Wünsche versprach.

„Du bist keine Weltstadt“, so Herbert Grönemeyer 1984 in seinem legendären Song „Bochum“, wobei die Hoffnung, dass der heimische VfL mit „seinem Doppelpass jeden Gegner nass macht“, schon damals jenseits des Wünschbaren lag. Der beinahe hundert Jahre laufende Doppelpass im Bochumer Kulturbau indessen kann schon wegweisend sein, dadurch dass er ebenso regional passgenau wie vorderhand unspektakulär ist. Er macht Stadt. Umspielt, wie sie ist beziehungsweise zu was sie geworden ist, auf ein erst noch kommendes, allerdings nicht völlig unabsehbares Weiter. Anders als etwa Valencia, das sich 2006 mit 1,3 Milliarden Euro den Doppelschlag von Opern- und Konzerthaus im Palau de les Arts Reina Sofiá gönnte und mit Santiago Calatravas umwerfendem Entwurf eher nach der Internationalen Immobilienmesse in Cannes schielte, als auf die Bedürfnisse vor Ort zu blicken. Etliche Immobilien- und Finanzkrisen sowie eine Pandemie weiter ist Valencia nicht in der Lage, den Betrieb zu unterhalten, sind erhebliche Mängel am ambitionierten Bau aufgetreten, er ist undicht und für alternative Nutzungen unbrauchbar. Darauf wetten, dass er in hundert Jahren noch steht, so wie aller Wahrscheinlichkeit nach Theater und Konzerthaus in Bochum sowie allerlei von Fellner & Helmer, sollte man nicht. Und gleichermaßen auch nicht auf die Elbphilharmonie. Dazu sind solcherlei Bauten zu extravagant im Entwurf, zu unbescheiden bei Platz- und Ressourcenverbrauch, zu komplex im technischen Betrieb, zu kostspielig im Unterhalt, im schieren Rohbau zu wenig nachhaltig: just too big not to fail. Dass sich aber anspruchsvolle Entwürfe mit eher bescheidenen Ressourcen vor Ort, mit hohem Kunstwillen und realistischen Entwicklungschancen sehr wohl verbinden lassen, das kann man neuerdings am zur oberpfälzischen Musikmetropole sich entwickelnden Blaibach verfolgen oder etwa an der Tauberphilharmonie in Weikersheim.

Kirche im Konzertbau: Anneliese-Brost-Musikzentrum in Bochum. Foto: Mark Wohlrab

Kirche im Konzertbau: Anneliese-Brost-Musikzentrum in Bochum. Foto: Mark Wohlrab

Durch das Gegeneinander lokaler Kons-tellationen einerseits und globaler Einflüsse andererseits müssen so auch die Renovierungen bestehender Kulturbauten manövriert werden, und was deren immateriellen Wert vor Ort ausmacht, darf nicht kleingerechnet werden zugunsten angeblich großer Würfe, die dadurch auch nicht billiger werden: in Köln beim Riphahn-Bau nicht, und auch nicht bei der Stuttgarter Staatsoper Littmanns oder in Frankfurt. Hier wie andernorts auch, etwa beim fabelhaften Gelsenkirchener Musiktheater von Werner Ruhnau, finden architektonische Qualität, städtebauliche Wirkung, gesellschaftliches Potenzial, gegenwärtiges Leben und nicht zuletzt vielfältigste künstlerische Tradition (ja, die auch!) reale öffentliche Schauplätze wie sonst kaum. Auch für Konflikte darüber. Aber Digitalisierung, allein dadurch, dass sie das Wünschbare mit dem Machbaren virtuell zur Deckung bringt, tut das ihrige bei der Verdrängung hin zum Globalen, zugunsten mächtiger Zeichen für eine ebenso vernetzte wie dystopische Welt. Und so lassen sich in Shandong und Ningxia ebenso Weingüter und Chateaux nachbauen wie in Wuhan auf Wunsch des Bürgermeisters Akustik und Anmutung des Wiener Musikvereinssaales.

Da führt Kulturkritik nicht weiter, eher schon die Frage, wie sich solche technogenen Vorstellungen bezahlen lassen, Vorstellungen, weniger den Leuten vor Ort als dem spekulativen Blick gewidmet. Beispiele wie Dubai oder Shenzhen zeigen, dass die Faszination des All-Machbaren, die solcherlei Architektur ausstrahlt, nur um den Preis der unendlichen materiellen Deckung zu haben ist; etwas, was zumindest in solcherlei Fällen vorzügliches Kennzeichen von Diktaturen ist, Ausdruck pharaonischer Gesten, unbekümmert der notwendigen Ressourcen. Öffentliches Bauen und demokratisch legitimierte Finanzierungen funktionieren anders. Hamburg hat es noch hinbekommen. Aber um welchen Preis? Womöglich auch um den der Hintanstellung der Inhalte, stammte doch das maßgebliche erste Konzeptpapier „Musikstadt Hamburg“ von der Industrie- und Handelskammer. Solcher Kulturbau unterliegt eben solchen Kalkülen: Immobilienwirtschaft, Standortmarketing, Metropolenkonkurrenz und dergleichen mehr.

Und keiner sage, das hätte keine Auswirkungen auf die Kunst… Yasuhisa Toyota, der Akustiker der Elbphilharmonie, sprach etwa davon, dass „die Akustik des Saales mit der Digitalaufnahme konkurrieren“ müsse. Damit aber trug er bloß Rechnung dem Warenfetisch einer weltweit verfügbaren normierten Musik, deren Erlebnisdichte und überschüssige Erfahrungswelten gekappt wurden zugunsten von Sound und Überwältigung. Indes, die Akustik etwa eines Amsterdamer Concertgebouw oder die Eleganz eines Musiktheaters im Revier müssen mit nichts konkurrieren, so wie auch die anderen Kulturbauten bestenfalls zu sich selbst finden müssen. Was dann an ihnen spektakulär gerät, ist den Inhalten und dem Überfluss geschuldet, die sie vor Ort spenden.

Bojan Budisavljevic

 

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