Eine Liebesgeschichte geht zu Ende
Vladimir Malakhovs Abschied von Berlin · Von Gisela Sonnenburg
Vladimir Malakhov und Berlin – eine Liebesgeschichte mit abzusehendem Ende. Denn kommende Spielzeit verlässt der derzeitige Ballettintendant das Berliner Staatsballett und wird künstlerischer Berater des Tokyo Ballet. Derzeit glänzt der aus der heutigen Ukraine stammende Star aber nicht nur auf der Bühne, sondern auch in einem neu erschienenen Buch.
Vladimir Malakhov mit Beatrice Knop. Foto: Bettina Stöß
Sein künstlerisches Abschiedsgeschenk war die Gala „Malakhov & Friends – The Final“. „Malakhov & Friends“-Abende waren „Vladis“ Berliner Markenzeichen. Sie garantierten bei ausverkauften Premieren und Vorstellungsserien hochkarätigen Genuss. Für „The Final“ stießen Meistertänzerinnen und -tänzer aus Übersee, Russland, England, Tokio und München zu Berliner Solisten. Letztere stellten einmal mehr unter Beweis, dass Malakhov in den zehn Jahren, die das Berliner Staatsballett unter seiner Leitung existiert, eine hervorragende Truppe aufbaute. Insider loben sein „brillantes Auge“ für Talent; tatsächlich gibt es unter den Solisten und auch im Ensemble viele individuell starke Ballerinen und Ballerinos, die zudem eine ballettmeisterlich fantastisch trainierte Mischung ergeben.
Malakhov trat in seiner Abschiedsgala unter anderem mit „Leda und der Schwan“ auf, einem Duett aus „Ma Pavlova“ von Roland Petit. Die Berliner Supraballerina Nadja Saidakova tanzte die lyrisch-zarte Leda, während Malakhov mit großer Bühnenpräsenz den als Schwan getarnten, liebesgeil lockenden Gott Zeus darstellte. Schon einmal gab Malakhov den Schwan: im speziell für ihn kreierten Solo „The Dying Swan“ von Mauro de Candia. Die vorgeschobenen Ellenbogen bei abgewinkelten Handflächen als stilisierte Schwanenschwingen passen denn auch hervorragend zu seiner filigranen, aber männlichen Armarbeit.
Die war auch in Malakhovs neuem Solo „Icarus“ von Sidi Larbi Cherkaoui zu bewundern. Darin stürzte er nicht nur als unglücklich Fliegender ab, sondern auch, im metaphorischen Sinn, als unglücklich Liebender. Ein transparentes schwarzes Top betonte die melancholische Autoerotik. Geschickt kommt die Choreografie für den 47-Jährigen zudem ohne große Sprünge oder blitzschnelle Verrenkungen aus. Denn bei einem reifen Tänzer zählt Anderes: Aura, Grazie, Ausdruck. Und Malakhov vermag noch immer eine Opernbühne mit seiner Persönlichkeit stumm beredt auszufüllen. Das zeigte auch sein Gala-Schluss, das pointenreiche Stück „The old Man and Me“, eine Parodie aufs Anbaggern von Hans van Manen. Das Stück ist für Tänzer, die deutlich über 40 sind, schon fast ein „must“, wenn sie ihr Publikum von der Auseinandersetzung mit dem Altern profitieren lassen wollen. Malakhov hatte mit Beatrice Knop eine hinreißende und auch altersmäßig passende Partnerin; auch für sie naht das Ende der aktiven Tänzerkarriere. In „The old Man and Me“ schwingt sie keck die Hüften, kauert flirtend auf der Parkbank, versucht, den gealterten Macker neben sich scharf zu machen. Das Stück ist zum tiefsinnigen Schmunzeln gemacht, und diesen Effekt hatte es auch in Berlin.
Den Knüller der Gala boten allerdings Lucia Lacarra und Marlon Dino mit dem „Schwarzen Pas de deux“ aus John Neumeiers „Kameliendame“: mit sanfter Sexiness aufgeladen, bei höchster technischer Raffinesse. Julie Kent und Sascha Radetsky vom American Ballet Theater boten dagegen ganz Entspanntes zu Sinatra-Swing, die Japanerin Mika Yoshioka war eine liebenswerte „Schwanensee“-Odile. Die Berliner Stars Mikhail Kaniskin und Elisa Carrillo Cabrera interpretierten ein modernes Pas de deux von David Dawson mit Bravour; ihr Kollege Vladislav Marinov, der Berliner Komiker Nummer Eins, bot eine astreine Ballett-Satire, vom Stuttgarter Ensembleleiter Eric Gauthier kreiert („Ballet 101“).
Als Überraschung kam nach der Premiere André Schmitz, damals noch Berlins Staatssekretär für Kultur, auf die Bühne. Er verlieh Malakhov den Titel „Berliner Kammertänzer“. „Vladi“, zu Tränen gerührt, dankte seinem Publikum, das ihn bejubelte. Bisher gab es mit Oliver Matz und Gregor Seyffert nur zwei Tänzer mit diesem Titel, und es ist eine typische Eigenart der Berliner Kulturpolitik, Abschiede zu versüßen: Sei es mit hohen Abfindungen oder mit solchen Auszeichnungen.
Die Verliebtheit zwischen Malakhov und Berlin ist somit auch nach zehn Jahren nicht beendet. Noch einige Vorstellungen wird der Superstar tanzen. Fans bleibt zudem die Möglichkeit, seine DVDs und Bücher zu genießen, vor allem das neu erschienene Resümee von Jan Stanislaw Witkiewicz. „Vladimir Malakhov und das Staatsballett Berlin 2004-2014“ heißt es schlicht. Der polnische Autor versteht etwas von Ballett! Er führte Interviews mit Malakhov, seinen Ballettmeisterinnen und Tänzern. Da wird mal hinter die Kulissen geschaut, offen über schmerzende Körper, überteuerte Lizenzpreise und die Rolle des Glücks in Karrieren geredet. Aufführungsfotos vom Staatsballett ergänzen das – unsentimental, aber gefühlvoll.
Gisela Sonnenburg
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