Auf ein Wort mit...
Christoph Dittrich, Generalintendant der Chemnitzer Theater
Der gebürtige Dresdner Christoph Dittrich studierte Tuba, Gesang, Pädagogik und Musikwissenschaften. Als Musiker und dramaturgischer Mitarbeiter bei der Elbland Philharmonie Sachsen arbeitete er zugleich an innovativen Projekten zur kulturellen Bildung. Im Jahr 2002 wurde er zum Intendanten und Geschäftsführer der Neuen Elbland Philharmonie berufen, seit dieser Spielzeit ist er Generalintendant der Theater Chemnitz. Dittrich ist auch Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen des Deutschen Bühnenvereins und Mitglied des Sächsischen Kultursenats. Barbara Haack und Gerrit Wedel sprachen mit dem neuen Intendanten.
Oper & Tanz: Sie sind als Generalintendant noch recht frisch am Theater Chemnitz. Wie sind Ihre ersten Eindrücke und Erlebnisse?
Christoph Dittrich. Foto: Dieter Wuschanski
Christoph Dittrich: Ich habe nominell als Geschäftsführer schon Mitte April angefangen. Da lag die künstlerische Verantwortung noch bei Bernhard Helmich. Seit 1. August bin ich Geschäftsführer und Generalintendant, aber natürlich lag die Planung für diese Spielzeit schon in meiner Hand. Meine ersten Eindrücke bestätigen das, was ich schon von außen beobachten konnte, nämlich die sehr große Bandbreite des Repertoires, die in einer positiven Selbstverständlichkeit und auf einem sehr hohen Niveau abgeliefert wird. Dazu kommt eine beglückende Begeisterung für die künstlerische Materie. Ich erlebe in der Regel ein selbstverantwortliches Tun der Mitarbeiter im Sinne des Gesamtprodukts, das wir auf die Bühne stellen wollen, sei es nun Oper, Musical, Schauspiel oder auch ein Ballett. Das habe ich an anderen Häusern auch anders erlebt, an denen dann doch eher auf Regeln geschaut oder Machtsituationen ausgetestet wurden. Wir sind natürlich trotzdem ein Theater… Aber der Tenor ist einer, der den künstlerischen Produktionen gegenüber sehr aufgeschlossen ist.
O&T: Wie ist das Standing des Hauses in der Stadt Chemnitz?
Dittrich: Der Theaterplatz wird immer wieder als die Wohnstube der Chemnitzer bezeichnet, als einer der ganz wichtigen Identifikationsplätze. Auch das Theater selbst spielt eine wichtige Rolle, ob für Besucher oder auch Nicht-Besucher. Ich werde häufig nach meiner ästhetischen Richtung gefragt, ob diese eher traditionell oder experimentell sei. Darauf kann ich mit ganzem Herzen antworten, dass ein Stadttheater dafür da ist, ganz vieles zu bedienen, ohne allerdings zu einem Gemischtwarenladen zu werden.
Es gibt eine Tendenz bei uns, die auch schon von meinen Vorgängern geprägt wurde, hin zu einem gewissen Exklusivitätsanspruch in Ausgrabungen oder Erstaufführungen. Das spiegelt auch den Geist der Stadt wider: etwas Exklusives, das dem Selbstbewusstsein dient. Bestes Beispiel ist die deutschsprachige Erstaufführung von „Der Weg der Verheißung“ von Kurt Weill. So etwas steht in der Vita des Hauses eingemeißelt. Oder in der letzten Spielzeit die tolle Wahrnehmung von Meyerbeers „Vasco da Gama“. Diese Produktion hat hier im Haus wirklich alle Ensembles gefordert und war trotz der außergewöhnlichen Ausmaße des Werkes sowohl bei der Kritik als auch beim Publikum ein Renner. Wir sind auf jeden Fall bemüht, dies aufrechtzuerhalten und uns nicht in eine anbiedernde Ästhetik fallen zu lassen, die vermeintlich erst mal besser Kasse macht.
Für die erste Produktion dieser Spielzeit, „Le Grand Macabre“ von Ligeti, gab es überregionale Aufmerksamkeit für ein sehr schweres Werk. Wir hatten ein internationales Publikum hier. Teilweise hat der Name Baselitz gezogen, der das Bühnenbild gemacht hat, teils auch einfach das Werk von Ligeti. Und das Interesse reißt nicht ab.
O&T: Gilt das auch für das Chemnitzer Publikum?
Dittrich: Ja. Wir haben eine Auslastung von 70 Prozent. Das ist nach der Premiere absolut überzeugend.
O&T: Wie hoch ist die Auslastung insgesamt im Schnitt?
Dittrich: Für die angelaufene Spielzeit ist das noch ein bisschen früh zu sagen. Aber was schon gespielt wird, funktioniert sehr gut. Ein Glücksfall ist zum Beispiel die Wiederaufnahme von Elton Johns „Aida“. Es gelingt offensichtlich, die Fans dieses Musicals neu zu aktivieren. Ich finde es bemerkenswert, dass die Mitarbeiter sich dem absolut konsequent und stringent widmen. Die „Aida“ wird genauso ernsthaft behandelt wie Ligeti.
Die Auslastung im Vorjahr war sehr ordentlich, sie lag über dem 70-Prozent-Bereich. Dazu hat auch der große Erfolg von „Vasco da Gama“ und der drei Wagner-Opern beigetragen, die wir alle innerhalb von einer Woche im Programm hatten. Solche Ideen tragen wir weiter. Wir planen zum Beispiel, zu Ostern große Opernblöcke zu etablieren. Das machen wir auch ein bisschen mit Blick auf Dresden: Seit wir wissen, dass die Staatskapelle ihr Osterfest zukünftig in Salzburg verbringt, sagen wir: Die Opernfreunde können gerne nach Chemnitz kommen. Wir bieten große Oper und wollen das zu Ostern etablieren.
O&T: Gibt es für Sie ein ganz persönliches Ziel?
Dittrich: Ja, wieder den „Ring“ zu machen. Wenn wir den Hype um das Wagner-Jahr hinter uns haben, ist das für das Haus und die Stadt etwas, das sich mit weit über die Stadt hinausreichendem Interesse verbindet. Immer wieder fragen mich Leute: „Wann machen Sie den Ring?“ Nicht ob, sondern wann…
Das Orchester beherrscht die Tonsprache für Wagner-Opern ebenso wie der Chor, auch wenn wir gerade im Männerbereich den „Parsifal“ gar nicht alleine stemmen können. Aber dennoch ist der Chor ein Ensemble, das sehr gut und in einer großen Intensität zur Verfügung steht. Zum Beispiel im „Macabre“, wo die Sänger sich durch den Zuschauerraum arbeiten müssen, was ja auch von der musikalischen Seite her eine Herausforderung ist.
Stellenwert
O&T: Einerseits scheint der Stellenwert des Theaters in der Stadt, in der Bevölkerung sehr hoch zu sein. Auch die Auslastung ist gut, und das Haus hat eine überregionale bis internationale Ausstrahlung. Wenn wir dann gleichzeitig über einen Haustarifvertrag und damit die auskömmliche Finanzierung des Hauses verhandeln und sich dies sehr mühsam gestaltet, muss man sich schon fragen: Wie kann denn eine Stadt durch die nicht auskömmliche Finanzierung diesem Stellenwert gerade keinen Ausdruck verschaffen? Das ist ein eklatanter Widerspruch. Wenn man sagt: Wir wollen große Werke, auch große Chor-Opern spielen, aber wir leisten sie uns nicht. Der Chor hat derzeit 44 Mitglieder, die Zahl soll aber noch um vier Stellen gesenkt werden.
„Le Grand Macabre“ mit Kouta Räsänen als Astradamors und Susanne Thielemann als Go-Go. Foto: Dieter Wuschanski
Dittrich: Diese Frage ist völlig berechtigt. Es gehört zu den schwierigsten Situationen für einen Intendanten und Geschäftsführer, wenn er neu an ein Haus kommt, nicht nur über künstlerische Fragen nachzudenken, sondern auch über eine wirtschaftliche Stabilisierung. Wenn es keine Notwendigkeiten gäbe, keine Einschränkungen und Forderungen seitens des Trägers, würde man natürlich als Intendant niemals in irgendeiner Weise Hand anlegen.
Sparten-Erhalt
Man muss sich die Chemnitzer Geschichte anschauen: Die Stadt hat sehr viele Einwohner seit der Wende verloren. Von etwa 315.000 Einwohnern sind es jetzt noch etwas mehr als 240.000. Das Haus war– auch durch den Rückhalt der Wirtschaft, konkret auch der Wismut AG – sehr gut aufgestellt. Die Zeiten verändern sich aber, das Haus ist immer noch vergleichsweise gut ausgestattet. Ich fürchte aber, dass wenn man den Realitäten nicht ins Auge schaut, es zu Instabilitäten kommen kann, die das Gesamte gefährden. Es ist notwendig, sich einer tendenziellen Verkleinerung zu stellen – natürlich mit dem Ziel zu erhalten, was das Haus ausmacht. An anderen Standorten gibt es ja ähnliche Fragen. Die Finanzkraft der Kommunen wird zwar in absoluten Zahlen nicht geringer, aber die für kulturelle Aufgaben zur Verfügung stehenden Mittel werden durch pflichtige Aufgaben insbesondere im sozialen Bereich geknebelt. Auch die Stadt wird regelmäßig von ihrer Aufsicht, der Landesdirektion, in die Pflicht genommen. Deshalb war ich schon sehr dankbar, dass es möglich war, ein grundsätzliches Bekenntnis zum Theater zu erhalten und auch eins mit tendenziell wachsenden Fördermitteln. Dass das nicht reicht, um Flächentarifverträge zu bezahlen, ist mir bewusst. Das ist auch nicht schön. Ich setze mich gerne dafür ein, dass es anders wird. Auf der anderen Seite darf man den gesellschaftlichen Kontext nicht übersehen. Auch das Publikum, selbst wenn es die Theaterkunst schätzt, sieht Kultur differenzierter. Ein Theater ist nicht mehr der alleinige Kulturträger in einer Stadt.
Es ist völlig legitim, dass die Gewerkschaften dort ihre Kraft einsetzen und im Sinne der Mitarbeiter und auch der Kunst wirksam werden. Das ist wichtig und richtig, es sind die Gepflogenheiten unseres zum Glück demokratischen Gemeinwesens.
O&T: Sie haben ja durch das Konzept, das Sie vorgelegt haben, schon erreicht, dass eine Million Euro zusätzlich in Aussicht gestellt wurden. Trotzdem: Es besteht in diesem Theater seit 13 oder 14 Jahren ein Haustarifvertrag, der zum Teil einen ganz erheblichen Verzicht der Mitarbeiter zur Folge hatte und hat. Sehr viele Mitarbeiter sind bereits abgebaut worden, fast ein Drittel im Vergleich zur Situation vor 15 oder 20 Jahren. Die Stadt selbst muss natürlich sparen und für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den verschiedenen Gruppen beziehungsweise Aufgaben sorgen. Es ist dennoch so, dass die Beschäftigten des Theaters von der Stadt anders behandelt werden. Von einem ausgewogenen Verhältnis zu sprechen, mag dann auch ein bisschen zynisch klingen.
Chemnitzer Erfolgsproduktion der letzten Spielzeit: Meyerbeers „Vasco da Gama“. Foto: Dieter Wuschanski
Dittrich: Zynisch nicht. Aber es ist in der Tat ein Widerspruch. Das hat strukturell mit der Größe des Hauses zu tun. An anderen Orten ist der Abbau von Sparten erwogen oder durchgesetzt worden. Sowohl meine Vorgänger wie auch ich haben darum geworben, das nicht zu tun. Wenn man um die Sparten ringt, wird man allerdings auch angreifbar. Da gibt es wirtschaftliche Gegenargumente. Ich habe mich trotzdem dazu entschlossen, eine Priorität im Spartenerhalt zu sehen und muss mich nun auch selbst darum kümmern…
O&T: Wir können im Theaterbereich immer schwer den unmittelbaren Gegenwert dessen bemessen, was aus der Kunst – auch materiell – herauskommt. Stichwort Umwegrentabilität. Wenn die Mär umgeht, dass eine Karte mit mehreren hundert Euro subventioniert wird, muss man überlegen: Welche Faktoren gibt es noch? Eigentlich ist so ein Theaterstandort gar kein Zuschussgeschäft, sondern erhöht die Attraktivität für die Kommune und bringt auch einen wirtschaftlichen Gewinn. Für uns ist es deshalb immer schwierig, die Notwendigkeit solch erheblicher Verzichtsgrößen darzustellen.
Dittrich: Ich gebe Ihnen vollständig recht: Umwegrentabilität ist das eine. Ich spreche auch immer von der Messlatte des intellektuellen Niveaus, das in einer Stadt vorhanden ist. Das wird durch ein Theater immer mitgeprägt.
Wir haben kürzlich ein KPMG-Gutachten erhalten – mit einer schwierigen Tendenz für das Haus. Die haben noch ganz andere Vorschläge gemacht… Die KPMG hat das als knallharte Wirtschaftsanalyse durchgezogen und die Fragen des Images, der Umwegrentabilität und so weiter einfach komplett beiseite geschoben.
Konkurrenz oder Kooperation?
O&T: Wenn man sich die geografische Lage des Hauses anschaut, stellt man fest, dass Sie umgeben sind von „Konkurrenten“. Allein im Musiktheaterbereich gibt es Dresden, Leipzig, Zwickau, Freiberg, Annaberg-Buchholz, im Schauspiel sind es noch mehr Häuser: Trägt das zur Gefährdung des Hauses bei – mit dem Argument: So viele Theater brauchen wir einfach nicht in dieser Region?
Dittrich: Solche Meinungen gibt es. Ich denke aber, dass darin für Chemnitz kein Problem besteht. Ich würde eher Potenziale für künftige Entwicklungen sehen, für Kooperationen oder auch für Erweiterungen des Spielbetriebs. Schon allein, weil viele Häuser den Wunsch haben, wirtschaftliche Effekte zu generieren.
O&T: Gibt es Absprachen im künstlerischen Bereich?
Dittrich: Das ist ein sehr schwieriges Feld. Es kommt immer wieder zu den hinterher bedauerlichen Doppelungen von Stücken. Der Spielplan, den man sich ausdenkt, ist gewissermaßen das Schatzkästlein. Es ist natürlich besonders schön, wenn sich die Spielpläne ergänzen. Das klappt ja auch zu 90 Prozent. Es kann immer mal zu Überschneidungen kommen, was wiederum für den Kenner ja auch reizvoll sein kann.
O&T: Wenn man Ihre Biographie anschaut, stellt man fest, dass Sie viel im pädagogischen Bereich tätig waren. Ist das für Sie eine Herzensangelegenheit?
Dittrich: Ja. Ich benutze gerne den Begriff Musikvermittlung – auch für Erwachsene. Das mache ich sehr gern: das eigene begeisterte Erleben mit Kunst anderen zu ermöglichen. Wenn das gelingt, wenn man bei jemandem Emotionen für ein Stück wecken kann, das ihm vielleicht vorher verschlossen war, dann bewegt mich das sehr.
O&T: Gibt es denn bei Ihnen neben dem Kinder- und Jugendtheaterprogramm auch Ideen, ein neues Publikum unter Erwachsenen zu generieren?
Dittrich: Ja, das ist auch eine Erkenntnis, die ich aus den demografischen Beobachtungen ableite. Wenn wir weniger Kinder haben, aber ein größeres älteres Publikum, müssen wir natürlich auch die Vermittlungsfragen dort stellen. Es gibt ja ein Bedürfnis. Mein Beispiel sind immer die Erwachsenen, die wahnsinnig gerne „Peter und der Wolf“ sehen, aber ihre Kinder als Ausrede brauchen, weil sie sich schämen, alleine hinzugehen. Es gibt ein Bedürfnis, Dinge kennenzulernen, aber oft stellt man sich dem nicht mehr, weil man scheinbar aus dem Alter des Lernenden hinaus ist.
Am Haus entwickeln wir zum Beispiel Projekte, bei denen wir die etablierten Bühnen verlassen. Das gemeinsame Erforschen unbekannter Orte lockt ein neues Publikum. Da schwindet die Schwellenangst. Im Opernhaus würde der Besucher schon wieder vor Fragen stehen: Was ziehe ich an? Wann darf ich klatschen?
O&T: Sie sind Generalintendant – aber Sie inszenieren nicht selbst.
Dittrich: Nein. Ich bin von Haus aus Musiker, Sänger und Musikwissenschaftler, aber kein Regisseur.
O&T: Wie würden Sie das Aufgabengebiet des Generalintendanten beschreiben: Sind Sie Manager, Finanzverwalter, Künstler, Mediator…?
Dittrich: Das Aufgabengebiet eines Intendanten gliedert sich in drei ziemlich gleichwertige Teile. Das eine ist das künstlerische Profil des Hauses. Das verbindet sich automatisch mit der Wirtschaftlichkeit. Und das dritte ist die politische Arbeit. Die hat viel mit Repräsentation, mit Wahrnehmung zu tun. Politik heißt auch Öffentlichkeit. Diese Bereiche sind nicht immer gleich stark. Es gibt Zeiten, das sind die glücklichen, da überwiegen die künstlerischen Belange. Und es gibt Zeiten, da muss man sich nahezu ausschließlich um wirtschaftliche Fragen kümmern, in der Regel verbunden mit Fragen der Politik.
O&T: Gibt es ein ganz persönliches Anliegen, das Sie für sich als wichtig erachten?
Dittrich: Was mir spontan einfällt, ist ein Wunsch, nämlich dass es eine stärkere Annäherung von Wissenschaft und Kunst gibt. Da stoße ich häufig auf Berührungsängste: Die technische Seite wird als etwas Feststehendes, als etwas mathematisch Beschreibbares angesehen und die Kunst als etwas, was sich dieser festen Beschreibung entzieht und deshalb auch nicht so viel wert sein darf. Von einer stärkeren Verbindung würden sicher beide Seiten profitieren. Ich würde mir wünschen, dass alle Welt weiß, dass ein Ingenieur mit Abo der bessere Ingenieur ist. |