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Liquidation der Kriminalisten
Franz Hummels „Der Richter und sein Henker“ in Erfurt · Von
Gerhard Rohde
Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig“: Der
Titel eines 1920 erschienenen Romans von Franz Werfel kam einem
in den Sinn, als Anfang der 50er-Jahre des vorigen Jahrhunderts
Friedrich Dürrenmatts Kriminalroman „Der Richter und
sein Henker“ in acht Folgen in einer Schweizerischen Wochenzeitschrift
erschien. Die Handlung ist komplex und ziemlich verwirrend. Ein
alter Kriminalkommissar in Bern namens Hans Bärlach verliert
seinen besten Mitarbeiter: Dieser wird erschossen auf einer Landstrasse
aufgefunden. Bärlach, krank und geschwächt, beauftragt
seinen Assistenten mit den Ermittlungen. Dieser aber ist selbst
der Mörder und lenkt deshalb den Verdacht auf einen Lobbyisten
namens Gastmann, der in der Nähe des Tatortes wohnt und zudem
eine etwas diffuse nationalsozialistische Vergangenheit hat. Gastmann
stand mit dem erschossenen Mitarbeiter unter falschem Namen in
Kontakt, weil dieser gegen Gastmann ermittelte.
Dürrenmatt verkompliziert die Handlung noch weiter. Bärlach
und Gastmann wetteten einmal, Gastmann werde ein Verbrechen begehen,
das der Kriminalkommissar ihm nicht nachweisen könnte. Gastmann
tötet daraufhin einen Unbeteiligten und stellt dessen Tod
als Selbstmord dar. Der Wettstreit zwischen Kommissar und Verbrecher
geht weiter. Bärlachs Assistent, genötigt, von seiner
eigenen Tat abzulenken, erschießt in einer Konfrontation
Gastmann samt Dienerschaft, anschließend aber überführt
Bärlach den Assistenten, der daraufhin Selbstmord begeht.
Dürrenmatt sieht in seinen Kriminalromanen – außer
dem „Richter“ noch „Der Verdacht“ und „Das
Versprechen“ – die Figur des Detektivs äußerst
kritisch. Richtige Ermittlung führt zum falschen Ergebnis,
falsche Ermittlung zum richtigen Ergebnis. Der Detektiv wird zum
großen, desillusionierten Einzelgänger. Simenons „Maigret“ oder
Chandlers „Einsame“ schimmern durch. Bärlach steht
in dieser Reihe, und seine kritisch-engagierte Haltung als Schweizer
gegenüber dem Nationalsozialismus verlieh dem Roman zugleich
eine politische Dimension. Ein Fazit könnte sein: Gerechtigkeit
lässt sich mit kriminalistischen und legalen Methoden nicht
herstellen. Dürrenmatts Blick ist bei allem auch streng auf
Schweizer Verhältnisse gerichtet, wirkt dabei insgesamt doch
leicht historisch und beinahe schon harmlos in den kritischen Implikationen.
Einer aktuellen Veroperung des sechs Jahrzehnte alten Kriminalromans
stehen also einige ästhetische Schwierigkeiten entgegen. Franz
Hummel und seine Librettistin Sandra Hummel griffen deshalb zu
einem dramaturgischen Trick, um Dürrenmatts überkonstruierte
Krimi-Dramaturgie zu unterlaufen: Die fast schon grotesken Albträume
des Autors von der Justizmaschinerie werden auf die Ebene einer „alltäglichen
Schizophrenie“ versetzt. Das klingt spannend und lässt
an Goethe denken: „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage“ – was
die Ergebnisse juridischer Tätigkeiten betrifft. Dürrenmatts
Figuren wirken bei Hummel wahrhaft hochgradig schizophren in ihren Äußerungen
und Handlungen. Ihre Psyche befindet sich damit in einem sehr aktuellen
Zustand. Wie aber findet man für dieses komplexe und verwirrende
Quid pro quo eine adäquate Musiksprache, die sowohl das Oberflächlich-Groteske
der Aktionen wie die psychischen Deformationen der Figuren reflektiert?
Franz Hummel ist seinerzeit einmal mit Jarrys „König
Ubu“ eine griffige musikalische „Übersetzung“ gelungen,
findet aber für Dürrenmatts „Richter-Henker“-Vorlage
keine ebenso griffige Musiksprache. Er „opert“ munter
drauflos, mischt Stile zwischen grotesk, nostalgisch-ironisch und
musical-nahe und wird bei allem doch nie richtig aggressiv und
böse.
Die Erfurter Uraufführung ließ der Novität alle
Sorgfalt zukommen. Im Bühnenbild von Carl Friedrich Oberle
inszenierte Rosamund Gilmore ein doppeltes Figurenspiel: Die realen
Personen begleiteten und umtanzten dunkelgekleidete Pantomimen,
deren Gesten und Motionen die doppelte Realität der Figuren
demonstrierten. In das oft recht quirlige Spiel war auch der engagiert
singende Chor unter Andreas Ketelhut eingebunden.
Das Orchester unter Gerd Herklotz sicherte Hummels Partitur alle
nur denkbaren Wirkungen. Die Mixtur der Stile und Ausdrucksweisen
wurde lebendig realisiert. Die Sänger-Darsteller – hier
wirklich einmal in der doppelten Bedeutung des Begriffs – ließen
sich durch ihre doppelten Schatten zu ebenso beweglichen, körperbetonten
Aktionen animieren, wozu sie auch noch schwung- und lustvoll sangen:
Petteri Falck als Bärlach, Marwan Shamiyeh als „Assistent“,
Robert Wörle als Gastmann. Und so wie Hitchcock in seinen
Filmen spielt auch Dürrenmatt in der Oper mit: Olaf Müller
sitzt mit einem Schreibblock an der Seite und beobachtet das kriminalistische
Verwirrspiel, greift auch schon einmal ein und vor allem: schaut
irgendwie wie Dürrenmatt aus.
Gerhard Rohde
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