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Zeitgemäß: Geschichte als Show
Brechts und Dessaus „Lukullus“ an der Komischen Oper · Von
Frank Kämpfer
Im Paradies läuft es anders, als die Ideale von gestern gebieten.
Es ist nicht mehr der humanistische Gegenentwurf, sondern eine
Welt ohne Hoffnung, in der das Entertainment regiert. Das Reich
der Schatten demnach nicht als Fiktion, sondern realiter, die Welt
hingegen entwirklicht, das heißt zur Illusion von Nachrichtenmedien
heruntergekommen zu zeigen – auf diese Formel lässt
es sich bringen, wie Katja Czellnik (Regie) und und ihr Team sich
dem sozialistischen Klassiker nähern. Es ist die zweite Inszenierung
der Oper nach der Öffnung der Mauer, die erste an der Komischen
Oper Berlin. Sie beginnt auf dem Videoschirm: Der Trauer- und Triumphzug
des antiken Soldaten wird als heutiges Medienspektakel kenntlich
gemacht. Die Collage aus Nachrichtenbildern lässt prominente
Begräbnisse aufblitzen, Paraden, Putin und Bush, schöne
Raketen und Intifada-Randale. Partiturgetreu kommentiert ein Clochard;
Brechts Text, 1939 in Schweden notiert, wirkt ganz unpassend nicht.
Die Oper wurde 1951 in Berlin/DDR aus der Taufe gehoben und in
Ost wie West hin und wieder als Antikriegsstück gespielt.
Im Werk geht es um die soziale Vision, dass ein (mit einst Unterdrückten
besetztes) Totengericht die Taten eines verstorbenen Kriegshelden
misst und über dessen Verbleib in der Geschichte entscheidet.
Czellnik dreht den Spieß hier einmal ganz und gar um: Lukullus
steht nicht ernsthaft Rede und Antwort, vielmehr sorgt er – perfekter
Wahlkampf! – mit allen Mitteln für ein makelloses Bild
in der Öffentlichkeit. Tenor Kor-Jan Dusseljee spielt und
singt die Figur als raffinierten Manipulator, der je nach Lage
der Dinge Charme oder rohe Gewalt, Stimmkraft und Kulinarik einzusetzen
versteht. Ein zweiter „Medienprofi“ ist ihm zur Seite
gestellt: der Kommentator, der den zentralen Vorgang der Handlung,
das Verhör des Feldherrn, als Gerichtsshow anmoderiert. Markus
John, Schauspieler, gibt einen Clown, der in Gestus, Kostüm
und Charakter sehr farbenreich changiert.
In der Oper, die Dessau und Brecht unter politischem Druck um
eine Verurteilungsszene ergänzten, entzündet sich am
Triumph-Fries des Feldherrn ein Diskurs über den Begriff der
Geschichte, die bekanntlich stets im Dienste der jeweils Herrschenden
steht. Brechts Ansinnen war es, bei den Toten zumindest einmal
die Opfer zu Sprache und Recht gelangen zu lassen. Dass in Czellniks
Regie von dieser Utopie nicht sehr viel bleibt, wirkt als sensibler
Reflex auf jüngste Geschichte und die gegenwärtige Entwicklung
der Welt. Bühnenbildner Hartmut Meyer hat die Unterwelt-Szenen
in ein leeres Studio verlegt, in dem es in der Art von Gewinnshows
zugeht. Auch entsprechende Personage ist zugegen: Gegängelte,
Looser, Gescheiterte verkörpern ein manipulierbares Volk,
das unterhalten, jedoch nicht aufgeklärt werden soll.
Paul Dessaus Theatermusik kann die Reduktion auf das Clownsspiel
bestens verkraften. Gast Eberhard Kloke am Pult des Orchesters
der Komischen Oper bringt sinnliche wie zirzensische Momente gut
auf den Punkt. Der Chor des Hauses ist weniger szenisch als musikalisch
gefordert – vor allem die gespenstischen Massenspektakel
stemmt er sehr konzentriert. Das Hauptpotenzial der Musik, Figuren
und Vorgänge zu persiflieren, verdeutlicht sich bis ins Detail – zum
Beispiel, wenn die Musik die Gattung Oper zitiert und Lukullus
vom Belcanto-Tenor in den Hysteriker kippt. Nur einmal stockt dessen
hyperaktives Gebaren: wenn nämlich das Fischweib, die Mutter
des im Kriege Vermissten, die Szene betritt und einen Moment dominiert.
Die Partie ist mit Gabriela Maria Schmeide besetzt – einer
Schauspielerin, die ihrem Gesang alles Sentimentale auszutreiben
vermag. Angesichts der Wahrhaftigkeit dieser Frauenfigur zieht
der Feldherr seine wichtigste Karte. Er packt die Elenden bei ihrem
wundesten Punkt, beim Hunger, und führt eine hypermoderne
Kochzeile vor. Höchstselbst drapiert er die Vorspeisen, die
Schöffen, Zeugen und Opfer bald ohne Unterschied verschlingen.
Die Kirschbaum-Szene danach, die letzte Station vor dem Urteil,
schreibt seinen VIP-Status fest: Die mit zahllosen Toten erkauften
Früchte sind Mode, Lukullus wird Kult, der Moderator spielt
selber den Kirschbaum und der eingangs vom Pöbel geteerte
und gefederte Richter reibt sich den Körper mit Fruchtsäften
ein. Die Hölle – einst Wunschbild, jetzt Quizshow – scheint
ganz aus den Fugen zu sein. Genau dies wäre das optimale Finale.
Hier zu schließen und das chorische Rondo „Ins Nichts
mit ihm“ (wie auch andere Szenen der Oper) zu streichen,
hat die Komische Oper dann leider doch nicht gewagt. Bedauerlich – man
hätte so einen Ur-„Lukullus“ zu bieten gehabt
und – wie von den Autoren gedacht – ein eigenes Weiterdenken
erforderndes offenes Ende.
Frank Kämpfer
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