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Zwei Große nehmen Abschied
Über Sir Peter Jonas und Klaus Zehelein · Von Gerhard
Rohde
Eigentlich hätte jeder der beiden einen eigenen Rückblick
verdient: dreizehn Jahre lang war Sir Peter Jonas Intendant der
Bayerischen Staatsoper München, noch zwei Spielzeiten länger
Klaus Zehelein Intendant der Stuttgarter Oper. Schon diese ungewöhnlichen
Zeiträume signalisieren Entscheidendes: Abgesehen davon, dass
es heutzutage fast unmöglich geworden ist, dass sich Künstler
in leitenden Positionen so ewig gegen alle Widrigkeiten, die der
Opernbetrieb mit sich bringt, behaupten – gegen interne Widerstände,
aber auch gegen die oft unerträglichen Anmutungen der politischen
Instanzen, so erscheint ein Zweites gravierender: Es braucht Zeit,
bis sich eine kontinuierliche Opernarbeit durchsetzt: gegen ein
meist beharrungssüchtiges Stammpublikum und, was wichtiger
ist, um ein ästhetisches Konzept für das „Kunstwerk
Oper“ zu formulieren, zu entwickeln und auszuformen. Peter
Jonas und Klaus Zehelein können am Ende ihrer aktiven Opernzeit
mit Befriedigung („Stolz“ klingt ja immer ein wenig
nach „dumm“) feststellen, dass ihre Häuser nicht
nur blendend dastehen, dass sie darüber hinaus für das
Weiterbestehen und die Lebendigkeit der Kunstform Oper noch nicht
abschätzbare Energievorräte erschlossen haben. Ihren Nachfolgern
sind damit zugleich hohe Verpflichtungen auferlegt worden, nach
dem alten Goethe-Wort vom Erbe der Väter, das man erwerben
muss, um es zu besitzen.
Die Bilanz, die Jonas und Zehelein am Ende ihrer Zeit vorlegen
können, ist mehr als imposant, und die Bewunderung wird noch
größer, wenn man daran erinnert, dass auch diese Opernhäuser
trotz ihres großen künstlerischen Renommees und ihrer
bemerkenswerten wirtschaftlichen Organisation mit hohen Auslastungszahlen
sich schmerzliche Etatkürzungen durch die öffentliche
Hand gefallen lassen mussten. Wenn Peter Jonas am Ende seiner Zeit
mit ungewöhnlicher Bitterkeit hierüber sogar öffentlich
Klage führte, so spricht das Bände.
Ähnlichkeiten
Wer meint, zwischen Peter Jonas und Klaus Zehelein bestünden
doch wohl erhebliche Unterschiede in der Formulierung einer ästhetisch
relevanten, für die Zukunft der Oper entscheidenden Positionierung,
irrt: Wer die künstlerischen Konzepte beider Intendanten beurteilen
möchte, darf ihre ästhetische Herkunft nicht außer
Acht lassen: Zehelein war vor seiner Berufung nach Stuttgart zehn
Jahre lang als Chefdramaturg der intellektuelle Kopf der inzwischen
legendären Gielen-Ära am Frankfurter Opernhaus. Peter
Jonas wurde, nach Assistenz-Direktionsjahren bei Georg Solti und
dem Chicago Symphony Orchestra 1984 als General Director der English
National Opera (ENO) nach London berufen. Unter seiner Leitung entwickelte
sich das Haus gleichsam zu einer englischen Gielen-Oper. Regisseure
wie David Alden, Nicholas Hynter, Richard Jones, Tim Albery oder
David Pountney prägten mit ihren Inszenierungen das ENO, unterzogen
das tradierte Repertoire neuen Sichtweisen und Interpretationen.
Peter Jonas vernachlässigte aber auch das zeitgenössische
Schaffen nicht, erwies sich zugleich in ökonomischer Hinsicht
als Glücksfall für das meist finanzschwache Opernhaus.
Empörung und Jubel
Seine Berufung nach München barg gleichwohl ein Risiko: Wie
würde das Münchner Publikum, behaglich-behäbig gebettet
in die eher ruhige Sawallisch-Zeit, auf die ungewohnte Quirligkeit
von jenseits des Kanals reagieren? Natürlich zunächst
verstört, empört, mit Abwanderung der Alt-Abonnenten.
Zehelein hatte schon zwei Jahre zuvor in Stuttgart ebensolche Erfahrungen
gesammelt. Der „Knall“ bei der Händel‘schen
„Giulio Cesare“-Aufführung ist noch in bester Erinnerung.
Dass danach die Barock-Oper Händel‘scher Prägung
dank des Dirigenten Ivor Bolton und phantasievoller Regisseure zu
einem umjubelten Markenzeichen der Münchner Oper avancierte,
beweist Peter Jonas’ Eigensinn: nur nicht vorzeitig aufgeben.
Sogar das traditionsreiche Bayerische Staatsorchester lernte Barockspielen
auf historischen Instrumenten und entwickelte dabei mit der Zeit
bemerkenswerte Fertigkeiten.
Peter Jonas verlor aber auch die Zukunft der Oper nicht aus dem
Blick: Ein halbes Dutzend Uraufführungen und mehr bewies das,
und sein Chefdramaturg Hanspeter Krellmann richtete im Marstall
eine experimentelle Reihe für neue Musiktheaterstücke
und für Neue Musik ein, die dem Münchner Haus zusätzlich
ein modernes Profil verlieh. Dass Jonas bei allem auch wirtschaftlich
erfolgreich war, beweisen einige Zahlen: in der Saison 1999/2000
ein Einspielergebnis von 45 Millionen Euro, das waren 30 Prozent
des Gesamthaushalts. In seiner letzten Spielzeit 2005/2006 erreichte
die Bayerische Staatsoper bei der Platzausnutzung ein Traumergebnis:
97 Prozent.
Die Münchner Oper wollte sich in der Vergangenheit immer
gern mit den großen Häusern der Welt vergleichen, mit
Mailand, New York, Paris, London. Heute hat sie, nicht zuletzt dank
Peter Jonas, die Konkurrenten weit überflügelt: Welches
Haus schafft es schon, bei Opernfestspielen in dreißig Tagen
dreißig verschiedene Werke auf die Bühne zu stemmen,
wie zuletzt München zum Abschied für Peter Jonas. Welches
Haus, außer Wien, spielt noch über dreihundert Vorstellungen
in der Saison? Natürlich kann man bei dieser Fülle auch
über Qualitätsfragen diskutieren. Nicht jede Vorstellung
in München (und in Wien) entspricht der Vorstellung von einer
Staatsopernleistung. Solche Schwankungen lassen sich bei diesem
alten Prinzip eines Repertoiretheaters nicht vermeiden. In der Summe
aber bleibt die Hochachtung vor einer großen Leistung. Peter
Jonas hat alles getan, um die vierhundertjährige „Oper“
in eine vitale Zukunft zu führen.
Strenger Analytiker
Dieses Lob gebührt auch Klaus Zehelein. Zehelein, hochintelligent,
als geborener Frankfurter Adorno- und Habermas-infiziert, was kein
Nachteil ist, betrachtet die Oper nicht nur als kulinarisches Phänomen,
für ihn ist die Oper ein äußerst komplexer Gegenstand,
in dem sich alle Künste, außerdem gesellschaftliche,
philosophische, historische, utopische und andere Aspekte vereinen.
Diese Komplexität gilt es wahrnehmbar, sichtbar, erfahrbar
werden zu lassen, und deshalb werden alle Werke, die auf die Bühne
gelangen, zuvor einer strengen Analyse unterzogen. Wer nun meint,
dass dabei nur ausgedünnte, ausgeklügelte Aufführungen
zustande kommen könnten, der hat die Zehelein-Ära in Stuttgart
versäumt. Martin Kusej und Jossi Wieler, Christof Nel, Peter
Konwitschny und Joachim Schlömer hießen die prägenden
Regisseure. Und Pamela Rosenberg sorgte dafür, dass auch die
gesangliche Kulinarik nicht zu kurz kam: Stuttgart versammelte ein
hervorragendes Ensemble, das die riskantesten szenischen Erkundungen
engagiert mittrug. Und in Lothar Zagrosek fand Zehelein einen Generalmusikdirektor,
der im gleichen Geiste die Opernarbeit mitzuformulieren verstand.
Zagroseks „Ring des Nibelungen“, bei dem gleich vier
Regisseure jeweils einen „Abend“ interpretierten, bleibt
als überragende Leistung in Erinnerung. Hans Neuenfels’
„Entführung aus dem Serail“ mit ihren intelligenten
Figurenverdopplungen und Zagrosek am Pult überragte an Intelligenz
und theatralischer Vitalität fast alles, was in diesem Sommer
zum Beispiel bei „Mozart 22“ zu erleben war.
Eine wichtige, vielleicht die zukunftsträchtigste Idee Zeheleins
war die Einrichtung des Forums für Neues Musiktheater in einem
eigenen Theater außerhalb der Staatsoper in Cannstatt im Römerkastell.
Hier wurden nicht nur neue Werke einstudiert und vorgestellt, wichtiger
war der Arbeitscharakter der Institution: ein Laboratorium, in dem
junge und auch nicht mehr so junge Komponisten ihre Ideen entwickeln
und mit Musikern, Sängern, Tänzern und neuen Medien in
szenische Realität umsetzen konnten. Hochinteressante Projekte
wurden so realisiert, in der letzten Spielzeit ragten Hans Hollmanns
„fremd“, Teil einer fünfteiligen Adaption des Medea-Stoffes,
eine Trakl-Adaption von Hans Tutschku sowie Younghi Pagh-Paans zum
ISCM-Festival uraufgeführtes Musiktheater „Mondschatten“
hervor.
Dass die künftige Arbeit des Forums derzeit ungeklärt
ist, gehört zu den Unfassbarkeiten kulturpolitischer Entscheidungen.
Klaus Zehelein darf mit Recht darüber empört sein. Doch
einen Trost gibt es für ihn: In Frankfurt interessiert sich
Bernd Loebe für sein Frankfurter Opernhaus für das Musiktheaterforum:
Das wäre dann so etwas wie eine Rückkehr zu den Quellen
für Klaus Zehelein. Im Gegensatz zu Peter Jonas, der sich,
wie er verlauten ließ, den Vergnügungen des Privatisierens
hingeben möchte, besteigt Klaus Zehelein den Everding-Thron
im Münchner Prinzregententheater: als Präsident der Bayerischen
Theaterakademie. Zeheleins Wort und Autorität könnten
zukünftig entscheidendes Gewicht erhalten, wenn es um die Existenz
des deutschen Theaters geht.
Gerhard Rohde
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